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"In die Seele gebrannt"

2. Juni 2009

52 Tage lang prägte die Demokratiebewegung das Bild Pekings. Dann setzte die Regierung die Armee gegen das eigene Volk ein. Viele Aktivisten flohen ins Ausland. Einige setzen auch 20 Jahre danach ihren Kampf fort.

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Jubelnder Demonstrant (Foto: AP)
Aufbruchstimmung unter den StudentenBild: AP

Yang Jianli war gerade 26 Jahre alt, als die chinesische Volksbefreiungsarmee in der Nacht zum 4. Juni 1989 in Peking auf das Volk schoss. Eine Nacht, die er seitdem nicht mehr vergessen kann. Eine Nacht, die sein weiteres Leben geprägt hat. Seitdem sei er sehr sensibel geworden, berichtet er. "Schon emotional aufgeladene Kleinigkeiten reichen aus, um mich zum Weinen zu bringen. Mir kommen oft die Tränen." Yang spricht von einem "fast schon krankhaften Symptom", unter dem viele der Opfer von damals litten.

Neues Leben, alte Wunden

Nach der Niederschlagung der Proteste floh der junge Mann in die USA. Dort hatte er drei Jahre zuvor mit dem Studium begonnen. Inzwischen hat der Politologe zweimal promoviert und lehrt in Harvard das Fach Menschenrechtsstudien. Seinem Jugendtraum von einem demokratischen China ist Yang treu geblieben. Er gründete den Verein "Initiative für China", der sich für die Achtung der Menschenrechte in der Volksrepublik einsetzt. Dennoch ist der Kontakt zu vielen der ehemaligen Weggefährten von 1989 heute abgerissen.

China Flashgalerie Peking Tiananmen Jahrestag 18 April 1989
Bild: AP

Eingebrannte Erinnerung

"Allen, die damals dabei waren, haben sich die Ereignisse tief in die Seele geschrieben", glaubt Yang. Viele seien heute im Bildungswesen tätig, viele verdienten ihr Geld als Beamte oder Geschäftsleute. Die Erlebnisse von damals hätten sie tief in sich begraben – aus Angst oder auch aus rein wirtschaftlichen Interessen. Der Schriftsteller Hu Ping hat Verständnis für diese resignativen Tendenzen. Er lebt in New York und gibt dort das Dissidentenmagazin Beijing Spring heraus. Viele Menschen sähen heute einfach keinen Sinn darin, sich mit der Politik anzulegen, meint Hu – denn so könnten sie ein angenehmes Leben führen. "1989 haben alle noch Freiheit und Demokratie gefordert. Diese Forderungen wurden mit Waffengewalt brutal niedergeschlagen."

Wirtschaftliche Entwicklung an erster Stelle

Die von Exil-Chinesen getragenen Menschenrechtsorganisationen finden für ihre Arbeit nur schwer finanzielle Unterstützung. Viele in den USA beheimatete Organisationen erhalten zwar Zuwendungen vom National Endowment for Democracy, kurz NED. Diese gemeinnützige Institution in den USA wird weitgehend durch die US-Regierung finanziert. Aber in der Wirtschaft lässt sich sehr viel mehr Geld verdienen als bei solchen Organisationen. Viele Exil-Chinesen wollen heute von der rasanten wirtschaftlichen Entwicklung ihrer Heimat profitieren - auch ehemalige Dissidenten. "Die wirtschaftliche Entwicklung vor 1989 wirkte wie ein Katalysator", erklärt Hu Ping. "Sie förderte den Ruf nach mehr Demokratie und Freiheit in China. Nach 1989 kehrte sich das um: Jetzt ist die wirtschaftliche Entwicklung eher ein Hindernis, ein Ersatz für die Forderung nach mehr politischen Rechten."

Falsch verstandene Vaterlandsliebe?

Junges Paar und Panzer (Foto: AP)
Ohnmacht am Tag danach: junges Paar am 5. Juni 1989Bild: AP

Mit dem wirtschaftlichen Erfolg wuchs zudem der Nationalstolz - innerhalb aber auch außerhalb Chinas. Eine Entwicklung, die Yang Jianli besorgniserregend findet. Denn die blutige Vergangenheit werde darüber verdrängt. "Viele Menschen denken, dass Patriotismus gerade in Mode ist. Chinesen sind pragmatisch – und übernehmen diese Vaterlandsliebe." Doch diese Vaterlandsliebe ist falsch, kritisiert Yang. Für ihn sitzen die wahren Patrioten im Gefängnis. Er nennt sie Menschenrechtspatrioten: "Echte Patrioten lieben die Menschen des Landes. Und wenn deren Rechte verletzt werden, dann leiden sie automatisch mit." Das ist für Yang Jianli die einzig aufrichtige Form von Vaterlandsliebe. 20 Jahre nach ihrem blutigen Ende sieht er wenig Chancen für eine Neubewertung der Demokratiebewegung durch die Pekinger Führung. Dafür nämlich wäre eine grundlegende Reform des politischen Systems nötig.


Autor: Gui Hao
Redaktion: Felix Steiner