Griechenland: Randerscheinung Klima-Aktivismus
15. November 2022Es ist sonnig an diesem Novembermorgen in Thessaloniki. Für die Umweltaktivistin Elita Fasoula ist das kein Grund zur Freude: Die Temperaturen liegen für die Jahreszeit auch für griechische Verhältnisse weit über dem Durchschnitt. Ganz im Gegenteil zur Niederschlagsmenge: Seit Juli 2022 hat es in weiten Teilen Griechenlands kaum geregnet.
Gerade kommt Fasoula aus einer Lehrveranstaltung. Sie macht ihren Master in Physik und spezialisiert sich auf subatomare Forschung und technologische Anwendungen. Ein Studiengang, der sich unter Umweltschützern und Klima-Aktivisten nicht gerade hoher Beliebtheit erfreuen dürfte. Dabei stehen der Umgang mit und die Erzeugung von Energie im Mittelpunkt der Klimakrise- gerade in Zeiten, in denen Russland am Gashebel sitzt.
"Atomenergie ist heute viel sicherer als früher, die Sicherheitsprobleme der Vergangenheit konnten weitestgehend gelöst werden", erklärt Fasoula. Die größte Herausforderung stelle nach wie vor der nukleare Abfall dar, dafür gebe es keine Lösung. "Trotzdem könnte die Kernenergie eine Alternative zu den Energien sein, die wir zurzeit nutzen, da so weniger Treibhausgase ausgestoßen werden."
Eine Meinung, die zeigt: Fasoula bringt die Lehren aus ihrem Studium direkt in ihr Engagement für den Klima-Aktivismus ein. Dabei kann in ihrer Heimatstadt Thessaloniki von Aktivismus eigentlich kaum die Rede sein. Fasoula ist eins von nur acht Mitgliedern bei Fridays for Future in Griechenlands zweitgrößter Stadt.
Umwelt nicht im Fokus
Klima-Aktivismus ist in Griechenland eine Randerscheinung. Während vergangene Woche tausende Bürgerinnen und Bürger für bessere Löhne und mehr soziale Sicherheit demonstrierten, bleiben Proteste gegen die Auswirkungen der Klimakrise bisher klein. "Den Menschen hier ist die Klimakrise noch nicht wirklich bewusst geworden. Oft wissen sie nicht Bescheid", erklärt Elita Fasoula. Eben auch, weil es an gesellschaftlichen Bewegungen fehle, die gezielt auf Umweltprobleme aufmerksam machten.
Doch nicht nur das: "In der griechischen Gesellschaft haben die Menschen nach wie vor mit großen wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen." In dem südosteuropäischen EU-Land sei in den vergangenen Jahrzehnten eine Krise nahtlos in die andere übergegangen. Außerdem setze die Politik falsche Akzente: "Die derzeitige Regierung rückt ab von wesentlichen demokratischen Werten. Daher nehmen auch die Menschen andere Dinge in den Fokus und verstehen den Stellenwert der Umwelt nicht."
Umstrittene Umweltpolitik
Dabei gibt sich die griechische Regierung gern progressiv, wenn es um Umweltthemen geht. Auch im Sommer 2022 wüteten regelmäßig Brände, wenn auch nicht mit derselben zerstörerischen Kraft wie 2021. Die Verwaltung von Athen ernannte eine Klimabeauftragte, die für Lösungen im urbanen Raum bei extremer Hitze sorgen soll. Im Herbst 2021 nahm mit Christos Stylianides der erste Minister in Europa seine Arbeit auf, der explizit für die Klimakrise und Zivilschutz zuständig ist. Außerdem verfolgt die Regierung einen ambitionierten Plan, überall im Land Photovoltaik- und Windkraftanlagen zu installieren.
Die Griechen selbst stehen diesen Schritten eher kritisch gegenüber. Auf der Insel Tinos blockierten die Bewohner im Dezember 2019 den Bau eines Windparks. Auch andernorts regt sich Widerstand. Die Kritik: Athens Interesse sei profitorientiert. In der Tat würden die geplanten Windparks den Energiebedarf der griechischen Inseln weit übersteigen. Nach den verheerenden Feuern auf der Insel Euböa, bei dem nahezu der komplette Wald im Norden von Griechenlands zweitgrößter Insel zerstört wurde, mutmaßten die Bewohner, Athen selbst sei für die Brände verantwortlich, um Platz für Windräder zu schaffen.
Ebenfalls umstritten ist ein 2020 erlassenes Umweltgesetz. Kritisiert wird, dass die weitreichende Novelle aufgrund der Corona-Maßnahmen kaum parlamentarisch diskutiert wurde. Außerdem seien Bedenken von Experten und Umweltschutzorganisationen von der Regierung nicht berücksichtigt worden. Diese befürchten, dass die im Gesetz beschlossene Verwaltungsreform umweltschädliche Investitionen in Naturschutzgebieten ermöglicht.
Keine grüne Wende ohne die Menschen
Michalis Goudis, der Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Thessaloniki, beobachtet die griechische Umweltpolitik seit Jahren. Er bemängelt dabei nicht zuletzt einen fehlenden Kommunikationswillen der Regierung. Eine grüne Wende sei nicht möglich, ohne auch deren soziale Faktoren zu berücksichtigen und die Menschen in die entsprechenden Prozesse einzubeziehen: "Leider ist dies in Griechenland nicht der Fall, weder beim Kohleausstieg noch bei der Installation von Windturbinen auf bestimmten Inseln", so Goudis zur DW.
Goudis fordert, die Energiewende in Griechenland zu beschleunigen. Dabei aber müsse sichergestellt werden, dass auch Energiearmut bekämpft würde - gerade mit Blick auf einen Winter, der wegen explodierender Energiekosten schon jetzt viel Unsicherheit erzeugt. Außerdem müsse dringend an Problemen wie der öffentlichen Infrastruktur sowie dem alternden Gebäudebestand gearbeitet werden. Schlecht isolierter Wohnraum trage erheblich zum CO2-Austoß bei, unterstreicht Goudis.
Der Traum vom Gas
Athen aber verfolgt derzeit andere Pläne. Im Hafen von Alexandroupolis an der türkischen Grenze soll im März 2023 ein LNG-Terminal ans Netz gehen, um von dort aus Erdgas auf den Balkan und bis nach Europa zu liefern. Außerdem werden in der Ägäis große Gasvorkommen vermutet, ein Thema, das zwischen Athen und Ankara immer wieder zu Spannungen führt, da auch die Türkei Ansprüche auf diese Ressourcen erhebt.
Klimaaktivistin Elita Fasoula kann angesichts dessen die grünen Worte der griechischen Regierung kaum ernst nehmen. Man würde den Menschen vorgaukeln, dass Erdgasbohrungen durch den kalten Winter helfen - dabei seien solcherlei Vorhaben nicht nur schlecht für die Umwelt, sondern zur Lösung der gegenwärtigen Probleme völlig irrelevant.
Elita Fasoula wünscht sich mehr Engagement von ihren Landsleuten, sowohl auf individueller als auch auf gesellschaftlicher Ebene: "In Griechenland denken wir immer noch, dass das Wasser, das von den Bergen kommt, immer da war und auch immer da sein wird." In Larisa, einer der trockensten Regionen des Landes, würden Bauern am Morgen immer noch einen riesigen Schlauch aufdrehen und den ganzen Tag das Wasser laufen lassen, um Felder zu bewässern. Viele Menschen hafteten an alten Gewohnheiten - und eben diese Mentalität müsse man durchbrechen: "Wir haben keine Zeit mehr für kleine Veränderungen. Wir müssen schnell handeln."