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Indian Summer und die jungen Wilden in der Heide

Anja Steinbuch
16. Oktober 2020

Junge Großstädter ziehen in die Lüneburger Heide und verpassen dem Ausflugsziel im Norden eine Frischzellenkur. Ihre neuen Ideen und Angebote stoßen im Corona-Herbst auf große Resonanz.

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Antje und Arne Soetebier stehen mit VW-Auto in der Heide, Lüneburger Heide, Deutschland
Antje und Arne Soetebier touren mit ihrem Bulli Karl durch die Lüneburger Heide Bild: HeideBulli

Nebel liegt über der Lüneburger Heide. Sonnenaufgang. Die Blätter der Bäume und Büsche haben sich bunt verfärbt. Nach der berühmten lila Heideblüte im Sommer sorgt der Herbst für ein neues Farbspektakel im Naturschutzgebiet südlich von Hamburg.

Antje Soetebier ist auf dem Weg zum Schuppen. Hier stehen Karl, Oskar, Hilde und Frieda. Die engagierte Unternehmerin stemmt die schwere Stalltür auf und begrüßt ihre vier VW-Bullis mit einer kleinen Verbeugung. "Das machen wir immer", erklärt die Mittdreißigerin. Sie ist eigentlich Hotelfachwirtin, hat aber gerade in der Lüneburger Heide den Sprung in die Selbstständigkeit gewagt. Gemeinsam mit ihrem Mann Arne bietet sie Sightseeing in den Nostalgie-Bullis an. Ausgerechnet jetzt, im Corona-Jahr? Das haben viele gefragt, doch ihr Entschluss stand fest: "Wir fahren Hotelgäste zu den Ausflugszielen, zeigen ihnen, wie die Heidschnucken - so heißen die Schafe hier - nach einem Tag in der Heide in ihren Stall zurückfinden. Und wir überraschen unsere Fahrgäste mit einem Picknick oder einer Kaffee- oder Gin-Verkostung." Arne Soetebier fährt Brautpaare und deren Gäste zu den schönsten Foto-Motiven. Frieda, Baujahr 1974, die genau wie die anderen drei Oldtimer der Heidebulli-Flotte nach den Großeltern ihrer Besitzer benannt wurde, ist deshalb auch ein mobiles Fotostudio. "Das kommt bei der Generation Instagram besonders gut an", weiß Antje Soetebier.

Antje Soetebier am Steuer des VW Bulli, Lündeburger Heide, Deutschland
Antje Soetebier hat den Sprung in die Selbständigkeit gewagtBild: Anja Steinbuch/DW

Verstaubtes Image

Seit jeher ist die Lüneburger Heide das klassische Ausflugsziel für gestresste Stadtmenschen aus Hamburg, Hannover, Bremen, Celle und inzwischen auch aus anderen Gegenden Deutschlands. Im Corona-Sommer haben auch viele Reisende aus Süddeutschland den weichen Heidesand als Wanderparadies entdeckt. Mit 23.000 Hektar Fläche gehört die Lüneburger Heide zu den größten und ältesten Naturschutzgebieten Deutschlands. Bereits 1922 trat die Schutzverordnung in Kraft.

zwei Radfahrer in der Heide, Panormablick von oben, Lüneburger Heide, Deutschland | Indian Summer
Die Lüneburger Heide: eines der ältesten Naturschutzgebiete in NorddeutschlandBild: Lüneburger Heide GmbH

Gleichzeitig ist die Heide aber auch als Kaffee-und-Kuchen-Paradies für Ältere bekannt - kurzum: Das Image der Heide ist verstaubt. "Damit räumen wir jetzt kräftig auf", sagt Antje Soetebier. Viele junge Leute, insbesondere aus Hamburg, seien in den vergangenen zehn Jahren in die Dörfer der malerischen Landschaft gezogen. Sie alle haben den Großstadtrummel satt und bringen frischen Wind in die von Kutschfahrten und Spaziergängen müden Gehöfte. Und: Sie ziehen alle an einem Strang. Auch das ist typisch für die Lüneburger Heide, hier kennt man sich und man hält zusammen.

Heideröster mit Naturliebe

Der erste Halt von Antje Soetebier an diesem Tag ist die alte Wassermühle in Dierkshausen. Hausherr ist Frank Prohl, bekannt als Franky, der Heideröster. Mit seinem Holzfäller-Hemd, Chucks und Vollbart passt er eher ins Hamburger Schanzenviertel. Der tätowierte Industriemechatroniker hatte viele Jahre einen sicheren Job in einem Konzern in der 60 Kilometer entfernten Hansestadt an der Elbe. "Bis ich vor fünf Jahren eine Familie gründete und den Lärm der Großstadt nicht mehr wollte." Er bildete sich weiter, lernte das Kaffeerösten und eröffnete in der historischen Wassermühle in Dierkshausen seine eigene Rösterei mit Café. Das war 2018. Den charismatischen Vater von zwei Kindern kennt hier jeder. Gemeinsam mit seiner Frau Rieke betreibt er Rösterei, Café und auch einen mobilen Foodtruck. Den kann man für Familienfeiern, Firmenausflüge und für Märkte ordern. Auf die Heide lässt Prohl nichts kommen: "Wo sonst kann ich nachts im Garten sitzen und die Milchstraße sehen?" Auch für die Bulli-Touren brüht er seine beliebten Kaffeemischungen mit den Namen "Schwarze Schnucke", "Schäfers Stunde" oder "Mühlenmischung" auf. Bulli-Fahrerin Antje Soetebier stärkt damit sich und ihre Mitfahrer. Zwar darf sie mit ihren Oldtimern nicht bis in das autofreie Naturschutzgebiet. Aber mit ihren Mini-Bussen kommen Touristen schnell vom Hotel zum Wanderweg oder zu anderen beliebten Ausflugszielen, etwa zum Wilseder Berg, der mit immerhin 169 Metern Höhe Spitzenreiter in der Heide ist.

Fachwerkhaus umsäumt von Wasser und Bäumen, Lüneburger Heide, Deutschland
Wassermühle in Dierkshausen: Kaffeerösterei statt MühlenbetriebBild: Heideröster
Porträt Franky Prohl, Lüneburger Heide, Deutschland
Findet Ruhe in der Heide: Franky Prohl, der Heideröster Bild: Nicole Laka

Dorthin zieht es auch Ariane und Vincent aus Buch bei Koblenz. "Eigentlich wollten wir jetzt auf den Philippinen sein", erzählt die 29-Jährige und seufzt. "Aber hier ist es auch richtig schön. Man hat wirklich viel Platz und trifft auf Wanderungen manchmal keinen einzigen Menschen." Im Internet hat sie nach Bildern von Hotels in der Heide gesucht. "Viele haben wir nicht gefunden", aber der Stimbekhof in Oberhaverbeck hatte viele Bilder im Netz und das gefiel ihr. Dort hat sie sich und ihren Mann für vier Tage eingebucht. Nicht die norddeutsche Großstadt hat das frisch vermählte Paar interessiert. Sie wollten Natur und frische Luft.

Alternatives Reiseziel im Corona-Herbst

Antje Soetebier fährt deshalb regelmäßig Gäste vom Stimbekhof in Oberhaverbeck durch die Wälder und zu den Wiesen und Wanderwegen der Lüneburger Heide. Das kleine Örtchen bei Bispingen ist ein guter Startpunkt. Hier haben vier junge Ex-Hamburger das historische Reetdach-Ensemble Stimbekhof gepachtet und - mitten im Corona-Sommer – vom Staub befreit. Mit Erfolg. Die vier Freunde, sie sind alle gerade mal um die 30 Jahre jung, können sich vor Anfragen kaum retten. Und weil das Bundesland Niedersachsen es erlaubt, dürfen sie ihren Heide-Hof zu 70 Prozent belegen.

Porträt Björn Bohlen, Lüneburger Heide, Deutschlan
Lieber Heide als Hamburg: Björn Bohlen pachtet StimbekhofBild: Anja Steinbuch/DW

Im Kaminzimmer herrscht munteres Treiben um 18 Uhr. Pächter Björn Bohlen schafft es kaum, seinen Pfannkuchen mit Heidschnucken-Käse zu probieren. "Die Heide ist phantastisch zum Entspannen", ist er trotzdem überzeugt. Gerade hat er mit seinem Küchenchef ein herbstliches Heide-Menü entworfen. Seine Mitstreiterin Sabrina bietet Yoga-Kurse an. Für Bohlen ist dieser Betrieb in seinem Haus positiver Stress, wenn fast alle 32 Zimmer belegt sind, und viele Hygienevorschriften umgesetzt werden müssen. "Bei uns macht jeder und jede alles. Sonst könnte das hier nicht klappen", erklärt der sportliche 32-Jährige. Auch er hat eine lukrative Stellung in einem Luxushotel an der Elbe aufgegeben für dieses Abenteuer in Oberhaverbeck.

Deutschland Lüneburger Heide | Indian Summer
Farbenspiel - Indian Summer in der Lüneburger HeideBild: Lüneburger Heide GmbH

Auf dem Gästeparkplatz vom Stimbekhof machen sich Bulli Karl und Fahrerin Antje auf den Weg. Es ist 20 Uhr. Sie haben jetzt nur noch 20 Minuten Fahrtzeit vor sich, dann sind sie wieder Zuhause. Die flinke Fahrt mit dem Bulli führt durch dichte Mischwälder und an Lichtungen vorbei, mit Blicken auf weite Ebenen, die im Sonnenuntergang bunt glänzen. Die Heide hat zu jeder Tageszeit etwas in petto.