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PolitikAsien

Indisch-deutsche Wertepartnerschaft mit Grenzen

Christina zur Nedden
7. Dezember 2022

Mit ihrem Besuch bekräftigte Außenministerin Baerbock den Wunsch Berlins nach engeren Beziehungen zu Indien. Aber das Land verfolgt seinen eigenen Weg in den aktuellen Herausforderungen.

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 Außenministerin Baerbock und ihr indischer Amtskollege Subrahmanyam Jaishankar tauschen unterzeichnete Verträge aus
Außenministerin Baerbock und ihr indischer Amtskollege Subrahmanyam Jaishankar Bild: Carsten Koall/dpa/picture alliance

Kaum in Neu Delhi gelandet, besuchte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock als erstes die Gandhi-Smriti-Gedenkstätte. Dort lebte der indische Unabhängigkeitsführer Mahatma Gandhi das letzte halbe Jahr vor seinem gewaltsamem Tod 1948. Baerbock ehrte Gandhi, indem sie Rosenblätter niederlegte. Sie schmeichelte Indien bei ihrem ersten Besuch  seit ihrem Amtsantritt mit den Worten, sie fühle sich, "als würde man einen guten Freund besuchen".

Außenministerin Annalena Baerbock verstreut Rosenblätter im Gedenken an Mahatma Gandhi im Innenraum der Gedenkstätte Gandhi Smriti. Hier hatte der Freiheitskämpfer zuletzt gewohnt.
Außenministerin Annalena Baerbock verstreut Rosenblätter im Gedenken an Mahatma Gandhi im Innenraum der Gedenkstätte Gandhi Smriti. Hier hatte der Freiheitskämpfer zuletzt gewohnt.Bild: Carsten Koall/dpa/picture alliance

Aber nur wenige Wochen zuvor hatte Baerbock Indien verstimmt, indem sie in Berlin auf einer Pressekonferenz mit ihrem pakistanischen Amtskollegen für eine friedliche Lösung des Kaschmir-Konflikts "mit Hilfe der Vereinten Nationen" warb. Indien betrachtet den Grenzkonflikt mit Pakistan als interne Angelegenheit und reagierte empört, woraufhin Baerbock ihren Amtskollegen, Subrahmanyam Jaishankar, anrief, um die Wogen zu glätten. Auch hinsichtlich des russischen Überfalls auf die Ukraine haben Indien und Deutschland Meinungsverschiedenheiten.

Dauerthema Marktchancen 

Baerbock möchte Indien, wie zuvor auch schon Bundeskanzler Olaf Scholz, im Angesicht der russischen Bedrohung und als Gegengewicht zu China stärker an den Westen binden. "Indien zu besuchen heißt ein Sechstel der Welt zu besuchen", sagte Baerbock über ihren Gastgeber. Schon im nächsten Jahr werde das 1,4-Milliarden-Land Indien China als bevölkerungsreichstes Land der Welt ablösen. Am 1. Dezember übernahm Indien den G-20-Vorsitz  der führenden Industrie- und Schwellenländer.

Baerbock hilft in einer Gemeinschaftsküche in einem Sikh-Tempel in der Altstadt von Neu Delhi.
Baerbock hilft in einer Gemeinschaftsküche in einem Sikh-Tempel in der Altstadt von Neu Delhi. Bild: Carsten Koall/dpa/picture alliance

Bereits seit 2011 finden in zweijährigem Rhythmus indisch-deutsche Regierungskonsultationen statt - zuletzt Anfang Mai in Berlin. Seit dem Jahr 2000 gibt es eine strategische Partnerschaft. Indien ist wichtiger Geschäftspartner und ein riesiger Markt.  Seit Jahren wird an einem deutsch-indischen Freihandelsabkommen  gefeilt, seit diesem Jahr wieder mit mehr Nachdruck. Während ihres Besuchs unterzeichneten Baerbock und der indische Außenminister Jaishankar ein Migrations- und Mobilitätsabkommen, das unter anderem die Einwanderung indischer Fachkräfte in Deutschland beschleunigen und vereinfachen soll. Zugleich soll es deutschen Investoren und Unternehmen leichter gemacht werden, in Indien präsent zu sein.

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Nicht nur wirtschaftlich will Deutschland näher an Indien rücken. Die Folgen von Russlands Krieg gegen die Ukraine, die Klimakrise, zu große Abhängigkeit von China: Bereits vor ihrem Abflug in Berlin erklärte Baerbock, im Zentrum ihrer Gespräche in Neu Delhi würden "die dringendsten Aufgaben unserer Zeit stehen - die Eindämmung der Klimakrise und die Wahrung unserer auf Regeln basierenden internationalen Ordnung".

Traditionelle Nähe zu Russland

Mit Indien als bevölkerungsreichster Demokratie gebe es großes Potenzial, etwa beim Einstehen für das internationale Recht, sagte die Ministerin. Allerdings trägt die Atommacht westliche Sanktionen gegen Russland, die wegen des Angriffs auf die Ukraine verhängt wurden, nicht mit. Bei UN-Resolutionen zum Krieg hat sich Indien enthalten. Indien verurteilte zwar das Massaker in Butscha,  jedoch nicht den Angriff Putins auf die gesamte Ukraine.

Russland ist seit den fünfziger Jahren Indiens größter Waffenlieferant,  seit Beginn des Ukraine-Kriegs kauft Indien in großem Umfang günstiges Rohöl aus Russland ein. Die G7-Staaten und die Europäische Union haben für russisches Öl einen Preisdeckel von 60 Dollar pro Barrel verhängt, damit Russland weniger Einnahmen für seinen Krieg in der Ukraine zur Verfügung hat. Die Europäer hätten das Recht, ihre Entscheidungen zu treffen, sagte Jaishankar am Montag bei seinem Treffen mit Baerbock. Es sei aber nicht in Ordnung, dass europäische Staaten ihren Energiebedarf vordringlich behandelten, von Indien jedoch verlangten, etwas anderes zu tun. Jaishankar erwähnte den Ölpreisdeckel der EU  nicht, sagte aber, die EU importiere mehr Erdöl aus Russland als Indien. In der Vergangenheit wies Indien darauf hin, dass es seine noch Großteils arme, wachsende Bevölkerung versorgen müsse und deswegen Rabatte wahrnehmen muss.

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Indien unter den ersten drei bei Kohlekraft

Diese Argumentation gilt auch für die Klimakrise. Deutschland wolle Indien dabei unterstützen, bei seinem großen Energiebedarf auf sozial und ökologisch nachhaltige Energiequellen umzustellen, kündigte Baerbock an. Vergangene Woche seien deutsch-indische Projekte für 2023 von einer Milliarde Euro vereinbart worden. Beim Wachstum setzt Indien zunehmend auf erneuerbare Energie im Strommix und baut unter anderem große Solarparks. Aber das Land setzt auch auf mehr Kohle, von der es derzeit vorwiegend abhängt. Diese sei, ähnlich wie bei den Ölkäufen aus Russland, notwendig, um Menschen aus der Armut zu befreien, heißt es in Neu Delhi.

Beim Thema China haben Indien und Deutschland bessere Chancen auf eine Zusammenarbeit. Die deutsche Außenpolitik möchte sich wirtschaftlich von China unabhängiger machen, einerseits um keine zweite Energiekrise wie im Falle Russland zu riskieren und auch, weil China gegenüber Taiwan und seinen maritimen Nachbarn immer aggressiver auftritt und nicht die Werte Deutschlands teilt. Indien hingegen sorgen vor allem Chinas Machtansprüche im indopazifischen Raum und an der indisch-chinesischen Grenze im Himalaya, wo es immer wieder zu tödlichen Zusammenstößen kommt.

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Grenzkonflikt zwischen Indien und China

Wertepartnerschaft

Deutschland wünscht sich Indien, die größte Demokratie der Welt, als "Wertepartner", um ein politisches Gegengewicht zu China zu bilden. Im Unterschied zu China verbinde Deutschland mit Indien bereits eine lange "Wertepartnerschaft", sagte Baerbock. Indien sei "ein natürlicher Partner Deutschlands". Sie wolle gemeinsam mit Indien an der Stärkung der Menschenrechte arbeiten, so die Ministerin. Vorhandene Kritik am Umgang mit religiösen und ethnischen Minderheiten und am Zustand der Pressefreiheit unter dem hindu-nationalistischen Kurs der Regierung Modi griff Baerbock freilich nicht auf.