Industrie 4.0 fordert Juristen heraus
22. Februar 2016Es war nur eine Stichprobe, doch was die Ingenieure des Internationalen Automobildachverbandes FIA kürzlich beim Blick in die Datenbanken von zwei BMW-Fahrzeugen entdeckten, wird so manchem Autofahrer zu denken geben. Von der Maximaldrehzahl des Motors in Verbindung mit dem Kilometerstand, der Zahl der elektronischen Gurtstraffungen, die durch scharfe Bremsmanöver ausgelöst wird, bis hin zu den letzten Parkpositionen mit GPS-Koordinaten fanden sie alles aufgezeichnet.
Für Philipp Haas, IT-Spezialist bei Automobil-Zulieferer Bosch, ist das keine Überraschung. "Wenn man sich ein modernes Auto anschaut, dann ist das vollgestopft mit Sensoren und Steuergeräten", erklärt er. "Das sind jetzt schon rund 50 Steuergeräte. Wenn man es genau nimmt, kann das gesamte Fahrverhalten technisch nachvollzogen werden." Ist das Auto mit dem Internet verbunden, können Daten sogar fortlaufend übertragen werden.
Alle schielen auf die Daten
Ob ein Autofahrer zurückhaltend oder im Grenzbereich fährt, interessiert viele Leute. Die Hersteller, weil sie ihre Fahrzeuge optimieren, aber auch nach Bedienfehlern suchen können, wenn es um eine Gewährleistung geht. Auch Autoversicherungen werden hellhörig, weil sie Policen anbieten könnten, die vom Fahrverhalten abhängig sind.
Auch Zulieferer wie Bosch wittern ein Geschäft. Noch wüssten sie in der Regel nicht, was die Hersteller genau speichern würden, berichtet Philipp Haas. Bosch will daher alle seine Produkte so schnell wie möglich vernetzen. "Die Digitalisierungswelle hat uns voll erfasst. Die Vernetzung, die dadurch entstehende Datensammlung und die dadurch auch möglich werdenden neuen Geschäftsmodelle sind ein riesiges Thema."
Datenschutz hemmt
Da reibt sich der Bürger verwundert die Augen. Sind der Verwendung personenbezogener Daten durch den Datenschutz nicht enge Grenzen gesetzt? Grundsätzlich ja, aber die ökonomischen Verlockungen sind so groß, dass nicht nur die Wirtschaft warnt, Gesetze dürften die Entwicklung und Nutzung digitaler Innovationen, Anwendungen und Geschäftsmodelle nicht beeinträchtigen. "Unser Ziel muss sein, eine vernünftige Balance zwischen Datenschutz einerseits und den berechtigten Anforderungen einer innovationsorientierten Wirtschaft andererseits zu finden, denn Daten sind das Schmiermittel und der Treibstoff für unsere Industrie", sagt EU-Kommissar Günther Oettinger.
Vier Jahre lang hat die EU-Kommission mit den Mitgliedstaaten und dem EU-Parlament über eine Datenschutzgrundverordnung gestritten, die nun 2018 in Kraft treten soll. Jetzt geht es für die Kommission darum, trotz dieser Verordnung einen möglichst gut funktionierenden digitalen Binnenmarkt zu ermöglichen. "Da geht es um Datenhandel, den freien Fluss von Daten, einen Datenverkehr aufzubauen, auch wenn noch kein Mensch weiß, wie das mit dem Datenschutz gehen soll", erklärt der Internet- und Medienrechtler Peter Bräutigam. "Es geht um die Besteuerung von Daten, um Preisfestsetzung mit Daten, also ein riesiges Projekt, das natürlich auch den wirtschaftlichen Gegebenheiten entspricht."
Das Recht hinkt hinterher
Dabei geht es nicht nur um personenbezogene Daten, sondern auch um solche, die etwas über Maschinen, Produktionsprozesse und die sie umgebende Umwelt aussagen. Daten, die im "Internet der Dinge" immer stärker anfallen werden. Für sie gibt es überhaupt noch keine eindeutigen rechtlichen Regeln, dafür werfen sie umso mehr Fragen auf. "Wem gehören sie, wer darf sie nutzen, wer darf mit ihnen Geld verdienen?", sind für Ulrich Grillo, den Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), die besonders nahe liegenden Fragen.
Grillo schlägt den Bogen aber noch weiter: "Was ist, wenn in Zukunft Gegenstände nicht nur Daten produzieren, sondern auch selbständig entscheiden und handeln?" Wer hafte, wenn ein selbstfahrendes Auto oder ein selbststeuernder Roboter einen Schaden verursache? "Haftet bei einem solchen Auto der Fahrer, der Halter, der Hersteller, der Software-Zulieferer?", fragt der Industrie-Präsident.
Ein neues Bürgerliches Gesetzbuch?
Müssen das Haftungs-, das Vertragsrecht, oder auch das Wettbewerbsrechts und das Arbeitsrecht verändert, muss vielleicht sogar das Bürgerliche Gesetzbuch umgeschrieben werden? Die meisten Juristen winken beschwichtigend ab. Wenn ein Roboter einen Schaden anrichte, dann sei das eigentlich vergleichbar mit einem bissigen Hund und könne auch über eine entsprechende Versicherung abgedeckt werden, sagt Heiko Willems, Leiter der Rechtsabteilung beim Industrieverband. "Wenn wir darüber nachdenken, im öffentlichen Raum Systeme zuzulassen, die wir gesellschaftlich wünschen, dann müssen wir immer auch darüber nachdenken, welche Risiken wollen wir akzeptieren."
Eine Versicherungspflicht müsse aber nicht allein den Betreiber treffen, sondern es könne dann möglicherweise auch solidarische Modelle geben. "Vielleicht auch branchenmäßig organisiert, also dass Versicherungs-Fondslösungen auch von Herstellern mit getragen werden."
Wenn Roboter texten und singen
Lösbar scheinen derzeit auch die Probleme im Urheberrecht. Was ist, wenn nicht mehr nur Menschen kreativ sind, Bilder, Musik und Texte erschaffen, sondern wenn Software lernt und sich weiterentwickelt und neue geistige Werte schafft? Hier sehen die Juristen immer noch den Programmierer als rechtmäßigen Besitzer auch des weiterentwickelten geistigen Eigentums, da er am Anfang der Kette steht. Ähnlich lassen sich auch veränderte Anforderungen in anderen Rechtsgebieten entschärfen. Größtes Problem ist und bleibt die Frage, wem in Zukunft welche Daten gehören werden, wer Zugriff haben wird und wer Geschäfte mit Daten machen darf. Hier gibt es noch reichlich Diskussionsstoff.