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Nachholbedarf bei Krankenhaushygiene

5. März 2012

Im weltweiten Vergleich des medizinischen Standards liegt Deutschland in der Spitzengruppe – umso größer die Aufregung, wenn es in Kliniken zu Infektions- oder Todesfallserien kommt.

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Bild: picture-alliance/dpa

"Bloß nicht ins Krankenhaus!" Viele Menschen fürchten sich vor einem stationären Aufenthalt in einer Klinik – und damit haben sie gar nicht einmal so unrecht. Nicht nur deswegen, weil es für den Erfolg einer medizinischen Behandlung oder einer Operation keine Garantie gibt: Ein Krankenhaus ist ganz objektiv ein gefährlicher Ort; ein Ort nämlich mit einem erheblich erhöhten Infektionsrisiko durch Viren und Bakterien. Das gilt für das medizinische und nichtmedizinische Personal, für Besucher – aber vor allem für die Patienten selbst, die von ihrer eigenen Krankheit oder von den Begleiterscheinungen eines chirurgischen Eingriffs geschwächt sind. Offene Wunden oder Infusionskatheder etwa sind besonders heikle Einfallstore für Erreger, aber auch "ganz normale" Tröpfcheninfektionen aus der Atemluft sind möglich – und bedrohliche Keime können von Mitpatienten oder vom behandelnden Personal übertragen werden.

Mindestens 15.000 Todesfälle pro Jahr in Deutschland

Dass der Klinikaufenthalt also noch kränker macht oder sogar das Leben kostet – diese Gefahr ist auch in Deutschland mit seinem hohen medizinischen Standard keineswegs ein seltener Ausnahmefall. Spätestens seit den 70er Jahren habe die Infektionsprävention in deutschen Krankenhäusern einen "sehr, sehr hohen Stellenwert", so sieht es Professor Martin Exner, der Direktor des Instituts für Hygiene und Öffentliche Gesundheit der Universität Bonn. Und dennoch: "Wir gehen davon aus, dass wir jährlich zwischen 500.000 und 700.000 solcher Infektionen nur im Krankenhaus haben, dazu kommen dann noch Infektionen, die im Pflegeheim oder in der ambulanten Versorgung auftreten. Und wir gehen von mindestens – das ist sehr konservativ geschätzt – 15.000 Todesfällen jedes Jahr durch solche Infektionen im Zusammenhang mit der medizinischen Behandlung aus."

Multiresistente Erreger
Der Versuch der Heilung bringt zwangläufig Infektionsrisiken mit sich – erst recht an einem Ort, wo Kranke dicht beieinander liegen, behandelt und gepflegt werden. Das läge in der Natur der Sache und werde sich wahrscheinlich auch niemals völlig ausschließen lassen, betont Martin Exner. Aber eine Zeitlang glaubte die Medizin, dieses Problem gut im Griff zu haben – Bakterien konnte man schließlich seit Mitte des 20. Jahrhunderts mit Antibiotika bekämpfen. Mittlerweile ist die Euphorie gründlich verflogen: Gerade der überzogene, unkritische Einsatz der vermeintlichen Allzweckwaffe hat nämlich dazu geführt, dass immer mehr Bakterienstämme Resistenzen entwickelt haben; im schlimmsten Fall gegen eine ganze Reihe von Antibiotika. Bei diesen "multiresistenten Keimen" wirken die verfügbaren Standardmedikamente schlichtweg nicht mehr, und wenn sich solche Erreger in einem Krankenhaus verbreiten oder einnisten, dann droht die Lage, außer Kontrolle zu geraten.

Kinderhand Krankenhaus
Wer schon schwach ist, fängt sich schneller eine Infektion ein.Bild: Fotolia/Stephan Morrosch

Verschärftes Infektionsschutzgesetz

"Die Infektionsraten mit resistenten Erregern stagnieren in Deutschland auf hohem Niveau und sind im Vergleich zu den Nachbarländern deutlich zu hoch" – so selbstkritisch beschreibt das Bundesministerium für Gesundheit auf seiner Website die Situation. Die Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes vom 28. Juli 2011 soll die Dinge zum Besseren wenden. Bis Ende März haben die Landesregierungen Zeit, ihre Vorgaben an die neue Version des Bundesgesetzes anzupassen: Die vorhandenen gesetzlichen Vorschriften werden demnach in allen Bundesländern vereinheitlicht, bestehende Hygieneempfehlungen werden rechtsverbindlich, Verstöße mit Bußgeldern geahndet. Und die Leiter von medizinischen Einrichtungen haben, so steht es in § 23 des Gesetzes, "sicherzustellen, dass die nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft erforderlichen Maßnahmen getroffen werden," um Krankenhausinfektionen zu verhüten und die Weiterverbreitung von Krankheitserregern zu vermeiden – dazu gehört übrigens auch explizit die Qualifikation und Schulung des Personals sowie "die erforderliche personelle Ausstattung mit Hygienefachkräften und Krankenhaushygienikern."

Transparenz ist wichtig

Was dabei als "Stand der medizinischen Wissenschaft" gilt, das legen die Richtlinien des Robert-Koch-Institutes (RKI) fest. Das Institut ist die zentrale Einrichtung der Bundesregierung auf dem Gebiet der Krankheitsüberwachung und -prävention. Dr. Nils Hübner ist dort der Leiter des Fachgebiets "Angewandte Infektions- und Krankenhaushygiene", und er plädiert vor allem für Offenheit und Transparenz beim Umgang mit dem Thema "resistente Erreger". Im Einzelfall sei nämlich gar nicht auseinanderzuhalten, ob in einer Region oder in einem Krankenhaus die gefährlichen Keime überproportional häufig seien – oder ob man einfach nur deshalb mehr Erreger findet, weil man gründlicher gesucht hat: "Und erst das Wissen um diesen Effekt, sowohl in der Fachwelt als auch in der Öffentlichkeit, haben dazu geführt, dass es Krankenhäusern überhaupt möglich ist, sich um dieses Thema zu kümmern, ohne Gefahr zu laufen, an den Pranger gestellt zu werden."

Kostendruck und Profitorientierung

Prof. Dr. Iris Chaberny von der Medizinischen Hochschule Hannover forscht seit Jahren auf dem Gebiet der Infektionsprävention und der Krankenhaushygiene. Sie begrüßt ausdrücklich die Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes und die entsprechenden Richtlinien des Robert-Koch-Institutes – die müssten nun allerdings auch überall umgesetzt werden: "Einige Häuser glauben noch immer, sie könnten an dem Part etwas Geld sparen. Und das ist zu kurzsichtig gedacht. Denn wir sehen es ja, wenn irgendetwas passiert, dann ist der Aufschrei groß. Wir hätten gern diese hundertprozentige Sicherheit und haben sie eigentlich gar nicht." Letztlich sei aber auch für eine Klinik unter Kostendruck oder mit Profitorientierung bessere Hygiene wirtschaftlich rentabel: Wenn Betten nicht länger belegt werden als nötig, ist wieder Platz frei für neue Patienten – schließlich wird ja mit den Krankenkassen nicht mehr nach Aufenthaltstagen, sondern nach Behandlungen abgerechnet.

Händewaschen kostet Zeit und Geld

Auch Prof. Martin Exner sieht den Kostendruck in den Kliniken sehr kritisch. Die Ökonomisierung der Medizin habe dazu geführt, dass Leistungen immer weiter ausgeweitet wurden: "Aber das Personal, das dafür erforderlich ist, um diese Leistungen mit der notwendigen Qualitätssicherung zu bringen, ist nicht gleichzeitig aufgestockt worden. Und das geht nicht." Allein schon die immer noch allerwichtigste Hygienemaßnahme, das Händewaschen oder die Händedesinfektion bei jedem Wechsel von einem Patienten zum anderen, brauche Zeit – die müsse man dann aber auch entsprechend einkalkulieren.

Pflege Altenheim
Von Patient zu Patient hasten - nicht immer ist dazwischen Zeit zum Händewaschen einkalkuliert.Bild: picture alliance / dpa

Alle drei Experten sind sich übrigens in einem weiteren Punkt einig: Bei der Ausbildung deutscher Medizinstudenten ist das Thema "Prävention" in den letzten Jahrzehnten zu kurz gekommen. An den 36 medizinischen Fakultäten gibt es gerade einmal neun Lehrstühle für Hygiene.

Der Faktor Mensch

Ein Schwachpunkt bleibt übrigens trotz aller wissenschaftlichen Erkenntnisse, trotz strenger Richtlinien und ausgefeilter Hygienestrategien letztlich unkalkulierbar: der Faktor Mensch. Ein einziger Mitarbeiter, eine einzige Mitarbeiterin, als Arzt, Pfleger oder Reinigungskraft, kann im Einzelfall alle Maßnahmen aushebeln – in Unkenntnis einer eigenen Infektion oder aus Nachlässigkeit. Besonders die eingefahrene Routine sei das Gefährliche, meint Iris Chaberny. Und insofern habe auch eine Serieninfektion mit Todesfällen in einem einzelnen Krankenhaus noch einen positiven Aspekt – trotz der Tragik für die Betroffenen: "Alle anderen sind mal wieder wachgerüttelt."

Autor: Michael Gessat
Redaktion: Julia Mahncke