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Neue Hoffnung für Raif Badawi?

24. März 2021

Das Parlament in Ottawa möchte dem inhaftierten saudischen Blogger Raif Badawi die kanadische Staatsbürgerschaft verleihen. Seine Frau äußert sich im DW-Interview optimistisch, doch Kanadas Regierung zögert.

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Ensaf Haidar, Ehefrau des inhaftierten saudischen Bloggers Raif Badawi, hält ein Bild ihres Mannes in der Hand
Seit 2012 in Haft: der saudi-arabischen Blogger Raif BadawiBild: picture alliance/dpa

Nach außen scheint es ruhig, aber hinter den Kulissen spricht man offenbar schon länger miteinander: Kanada bemühe sich kontinuierlich darum, die Situation für den saudischen Aktivisten Raif Badawi zu verbessern - allerdings nicht immer öffentlich, sondern vor allem auf diplomatischer Ebene.

Dies beteuert ein Sprecher aus dem engen Umfeld der kanadischen Regierung gegenüber der DW. Man fürchte, andernfalls könnte sich der saudische Staat in die Ecke gedrängt fühlen. Das wiederum könne negative Folgen für den inhaftierten Blogger und Bürgerrechtler haben. Kritik an der Regierung, sich nicht ausreichend für Badawi einzusetzen, sei unberechtigt, so der Informant, der auf Anonymität besteht.

Wie engagiert sich die Regierung in Ottawa am effektivsten für Raif Badawi? Über diese Frage ist in Kanada eine öffentliche Debatte entbrannt. In deren Verlauf setzte die Opposition die Regierung immer wieder unter Druck. Aus ihrer Sicht zeigt sich das Kabinett zu zögerlich gegenüber ihrem Vorschlag, dem seit 2012 inhaftierten Blogger die kanadische Staatsangehörigkeit zu verleihen. Dieser Schritt, so die Opposition, könne helfen, Badawi vorzeitig aus seiner zehnjährigen Haftstrafe zu holen und ins kanadische Exil zu bringen. Dort lebt bereits Badawis Ehefrau Ensaf Haidar mit den drei gemeinsamen Kindern. Alle vier haben inzwischen die kanadische Staatsangehörigkeit, nur ihr inhaftierter Mann und Vater hat sie noch nicht.

Kanada Ensaf Haidar
Prinzip Hoffnung: die Ehefrau des Bloggers Raif Badawi, Ensaf HaidarBild: Paul Chiasson/empics/picture alliance

Kritik der Opposition

"Ich habe den Eindruck, die Regierung nimmt den Fall nicht ernst. Das enttäuscht mich sehr", zitierte die kanadische Zeitung "National Post" vor wenigen Tagen den Oppositionsabgeordneten Alexis Brunelle-Duceppe. Ende Januar hatte der Chef seines "Bloc Quebecois", Yves-François Blanchet, die Regierung aufgefordert, im Falle Badawi einen Artikel des kanadischen Staatsbürgerschaftsgesetzes zu nutzen. Dieser ermöglicht es, die kanadische Staatsbürgerschaft an Personen zu verleihen, die sich in einer "besonderen und ungewöhnlichen Notlage" befänden. Das kanadische Unterhaus hatte den Antrag einstimmig unterstützt und der Regierung vorgelegt. Doch diese zögert bisher.

Die Verleihung der Staatsbürgerschaft würde Badawi, der unter anderem 2015 in Abwesenheit mit dem "Freedom of Speech Award" der Deutschen Welle ausgezeichnet wurde, Zugang zu kanadischen Konsulatsdiensten verschaffen. Vor allem könnte sie ihm helfen, Saudi-Arabien nach seiner Freilassung verlassen zu dürfen - obwohl er dort eigentlich einem 10-jährigen Reiseverbot unterliege, erklärte Oppositionspolitiker Brunelle-Duceppe.

Engagement auf vielen Ebenen

In dem Ziel, Raif Badawi aus der Haft zu erlösen, sind sich die kanadische Opposition und Regierung wohl einig. Doch die Regierung bevorzugt ein vorsichtigeres Vorgehen hinter den Kulissen. "Wir verfolgen den Fall von Herrn Badawi eng", heißt es beschwichtigend auch aus der Pressestelle der kanadischen Botschaft in Berlin. "Wir kümmern uns auf höchster Ebene um den Fall und haben wiederholt um milde Behandlung gebeten."

Badawi war 2013 wegen "Beleidigung des Islam" zu 10 Jahren Haft und 1000 öffentlichen Stockhieben verurteilt worden. Die schwere körperliche Strafe war später jedoch - nach 50 ersten Hieben und dadurch hervorgerufenen schweren Verletzungen - bis auf Weiteres ausgesetzt worden. 

Debatte zum richtigen Zeitpunkt

Derzeit sei ein guter Zeitpunkt, um den Fall Badawi noch einmal aufzugreifen und für seine Freiheit einzutreten - auch in Form der kanadischen Debatte um die Staatsangehörigkeit, sagt der Saudi-Arabien-Experte Sebastian Sons, Forscher beim "Center for Applied Research in Partnership with the Orient" (CARPO) in Bonn. Denn international stehe Saudi-Arabien derzeit unter starkem Druck. So zeige sich die US-Regierung unter Joe Biden dem Königreich gegenüber erheblich strenger als die Vorgängerregierung unter Donald Trump.

"Die Staatsführung spürt starken internationalen Druck. So hat sie ja vor kurzem auch die Frauenrechtlerin Loudschain al-Hathloul aus der Haft entlassen. Das dürfte in Teilen auch auf die internationale Debatte zurückgehen", sagt Sons. Klar sei aber auch, dass Saudi-Arabien auf öffentlichen Druck oft nur zögerlich und keinesfalls immer im angestrebten Sinne reagiere. Auch vermöge Kanada politisch erheblich weniger Druck aufzubauen als die Weltmacht USA.

Saudi-Arabien Skyline Riad
Gesellschaft im Wandel: Blick auf RiadBild: Franck Fife/AFP

Der Kurs der saudischen Behörden in punkto Badawi erscheint derzeit tatsächlich unklar. So hätten sie - einerseits - eine neue Untersuchung gegen Badawi und seine Frau eingeleitet, informiert das in Montreal ansässige Raoul Wallenberg Centre for Human Rights (RWCHR). Demnach würden beide der "Aufwiegelung der öffentlichen Meinung" sowie "Schädigung des Rufs des Königreichs" beschuldigt.

"Die neue Untersuchung ist wahrscheinlich ein Akt der Einschüchterung, der Raif und seine Familie zum Schweigen bringen soll, da das Königreich sich einer wachsenden Gegenreaktion für seine Menschenrechtsverletzungen gegenübersieht", sagte der Menschenrechtsanwalt Brandon Silver vom Wallenberg Centre der kanadischen Zeitung "Star".

Badawis Frau äußert Hoffnung

Andererseits jedoch dürfte die saudische Staatsführung die kanadische Diskussion um Badawi zumindest sehr aufmerksam zur Kenntnis nehmen, meint Experte Sebastian Sons. Sie wisse, dass sie derzeit keine andere Option habe, als ein gewisses Entgegenkommen zu zeigen, und zwar auch in Menschenrechtsfragen. "Seit der Ermordung von Jamal Khashoggi wie auch wegen des Krieges im Jemen steht die saudische Führung enorm unter Druck." Allerdings reagiere sie bisher eher verhalten, so Sons. "So sind einige Aktivisten zwar aus der Haft entlassen worden. Sie stehen aber unter Hausarrest und dürfen sich öffentlich nicht äußern."

Die Ehefrau Raif Badawis, Ensaf Haidar, begrüßt im Gespräch mit der DW ausdrücklich die Initiative, ihrem Mann die kanadische Staatsbürgerschaft zu verleihen. "Da wir - meine Kinder und ich - bereits die kanadische Staatsbürgerschaft besitzen und hier in Kanada leben, gibt mir die Staatsbürgerschaft Hoffnung in Bezug auf eine Familienzusammenführung. Das würde die Dinge natürlich erleichtern und ihm helfen, zu uns zu kommen."

Deutschland, Berlin: Demonstration für Raif Badawi
Schutz durch Öffentlichkeit: Demonstration für Raif Badawi in Berlin, 2015Bild: picture-alliance/dpa/P. Zinken

Sie hoffe weiterhin, dass ihr Mann noch vor Ende seiner zehnjährigen Haftzeit freigelassen werde. "Ich bin immer optimistisch und habe Hoffnung. Und angesichts der derzeitigen Entwicklungen in Saudi-Arabien habe ich sogar noch mehr Hoffnung." Damit spielt sie auf zahlreiche Reformen und Liberalisierungen in Saudi-Arabien in den vergangenen Jahren an, etwa in der Justiz und bei den Frauenrechten. 

Hoffnung könnte sich auch aus einem anderen Umstand speisen: In drei Wochen beginnt der islamische Fastenmonat Ramadan. Er ist Saudi-Arabien traditionell ein Anlass zur Begnadigung politischer Häftlinge.

Schutz durch Öffentlichkeit

Zuletzt sei es um Badawi in der internationalen Öffentlichkeit etwas still geworden, bemerkt Sebastian Sons. "Raif Badawi ist auf diese Öffentlichkeit aber angewiesen, da sie ihn schützt", betont er. Was eine solche Öffentlichkeit bewirken könne, habe sich im Fall von Loudschain al-Hathloul gezeigt: "Ihre Schwester hat sich öffentlich sehr engagiert, hat etwa die EU, Kanada und die USA sowie eine Reihe von NGOs bewegen können, für ihre Schwester einzutreten. Insofern ist eine öffentliche Kampagne durchaus sinnvoll."

Redaktionelle Mitarbeit: Gasia Ohanes

Jennifer Holleis
Jennifer Holleis Redakteurin und Analystin mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika.
DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika