"Die Lage ist ernst"
14. November 2015Offenbar hält es Bundesinnenminister Thomas de Maizière für möglich, dass noch weitere Attentäter unterwegs sind. "Ich freue mich, wenn wir morgen früh eine friedliche Nacht konstatieren können", sagte er am Samstagnachmittag in einer Pressekonferenz nach einem einstündigen Krisentreffen im Kanzleramt. Es sei noch nicht klar, ob es neben den bekannten acht Tätern noch weitere gebe. Er gehe von internationalem Terrorismus des IS aus, so de Maizière. "Mein Herz ist schwer von Trauer und Mitgefühl."
Aufklärung und Vorsicht seien nun das Gebot der Stunde. Die Lage sei ernst. Es gelte nun zusammenzustehen - die Regierung, das Parlament, die Bevölkerung und Europa. Eine konkrete Einstufung der Terrorgefahr aber vermied der Innenminister. Er habe immer wieder darauf hingewiesen, dass der gesamte Westen, also auch Deutschland im Fadenkreuz des internationalen Terrorismus stehe. Die Gefährdungslage bleibe unverändert hoch.
Gibt es einen Bezug zu Deutschland?
Über eigene Erkenntnisse zu den Attentätern verfügten die deutschen Sicherheitsbehörden nicht, sagte de Maizière. Das sei Sache der französischen Behörden, mit denen man im dauernden Austausch stehe. Deutschland habe jegliche Hilfe angeboten. Gemeinsam arbeite man daran, mögliche Bezüge zu Deutschland herauszufinden.
Der Mann, der vor einer Woche in Bayern mit schweren Waffen in seinem Auto gefasst wurde und dessen Navigationssystem ein Fahrtziel in Paris zeigte, sitze nun in Untersuchungshaft. Noch sei aber nicht klar, ob es einen Zusammenhang zur Terrorserie gebe. Das brauche Zeit, so der Innenminister.
Außerdem hätten die französischen Behörden den Namen eines Attentäters mit der Bitte um Abgleich mit den deutschen Fahndungsdateien übermittelt. Das Ergebnis sei negativ gewesen.
Der Tag danach: Schutzmaßnahmen und Krisentreffen
Seit vergangener Nacht seien in Deutschland "gebotene" Schutzmaßnahmen ergriffen worden, so de Maizière. Sie sollen bis auf weiteres gelten. Dazu gehören eine verstärkte Präsenz der Bundespolizei an Flughäfen und großen Bahnhöfen. Die Polizei wird außerdem "robuster" ausgestattet, das heißt mit Schusswesten und Maschinengewehren. Die Grenzkontrollen des Verkehrs auf Straße, Schiene und in der Luft vor allem von Frankreich nach Deutschland seien hochgefahren worden. Außerdem werde die Überwachung bekannter Islamisten und auch der rechten Szene, die auf die Anschläge reagieren könnte, verstärkt. Weitere "operative Maßnahmen", die üblicherweise bei terroristischen Anschlägen im Ausland ergriffen würden, seien eingeleitet worden. Aus Sicherheitsgründen könne er diese aber nicht weiter ausführen. Wie zu hören war, hat de Maizière dies zuvor ausführlich im Kanzleramt gemacht.
Dort hatte Kanzlerin Merkel das sogenannte Sicherheitskabinett zusammengerufen, unter anderem mit dem Innen- und der Verteidigungsministerin. Zuvor hatte auch ein Krisenstab im Auswärtigen Amt getagt und sich von den Sicherheitsbehörden die Lage erläutern lassen. Auch diese außergewöhnlichen Maßnahmen zeigen, wie besonders die Pariser Terrornacht in Deutschland bewertet wird.
Ob es weitere Treffen an diesem Wochenende oder zu Wochenbeginn geben werde, ließ der Minister offen. Man müsse aber gewappnet sein für schnelle Reaktionen, sollte es die Lage erfordern.
Politische Folgen für die Flüchtlingsdebatte?
Eindringlich bat der Innenminister, in der jetzigen Situation nicht vorschnell irgendeinen Bezug zur Debatte um Flüchtlinge aus Syrien zu ziehen. Alle sollten jetzt innehalten und überlegen, was sie sagen oder tun.
Doch erste Äußerungen dazu hat es bereits gegeben. Der bayerische Ministerpräsident und Vorsitzende von Angela Merkels Koalitionspartner CSU, Horst Seehofer, forderte einen stärkeren Schutz der Grenzen. "Wir müssen wissen, wer durch unser Land fährt." Seehofer tritt derzeit für eine deutliche Reduzierung der Flüchtlingszahlen in Deutschland ein und hatte schon an anderer Stelle mit strengeren Grenzkontrollen geliebäugelt. Auch in Merkels eigener Partei, der CDU, wird die Debatte geführt. "Eine unkontrollierte Einreise darf es nicht mehr geben - gerade im Lichte der Ereignisse," sagte der sächsische Ministerpräsident am Samstag.
Solidaritätsbekundungen in Berlin
Die Berliner Polizei verstärkte unterdessen die Sicherheitsvorkehrungen vor französischen Einrichtungen in der Hauptstadt. Anders als nach dem Anschlag auf die Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" zu Jahresbeginn konnten die Menschen deshalb nicht mehr direkt am Eingang zur französischen Botschaft ihr Beileid bekunden.
Das Brandenburger Tor ist an diesem Abend als Zeichen der Solidarität in den Farben der französischen Flagge beleuchtet. Bereits seit dem Mittag sind die Fahnen über dem Reichstag und in allen Bundesministerien auf Halbmast gesetzt.