Internet als Waffe der Opposition in Russland
10. Januar 2008Der Kampf zwischen der russischen Opposition und der Staatsmacht ist zu einem „Cyberwar“ geworden. Die neue Internetseite „hroniki.info“ ist nun das Hauptaufmarschgebiet der oppositionellen Bewegung „Anderes Russland“. Vor kurzem wurde sie vom Führer der „Vereinigten Bürgerfront“, Garri Kasparow, dem Direktor der „Stiftung für Unterstützung von Toleranz“ in Nischnij Nowgorod, Oksana Tschelyschewa, sowie dem einstigen Leiter der inzwischen verbotenen „Gesellschaft für russisch-tschetschenische Freundschaft“, Stanislaw Dmitrijewskij, der Öffentlichkeit vorgestellt. Sie teilten mit, es würden nun regelmäßig Informationen über politisch verfolgte Menschen in Russland im Internet erscheinen.
Tschelyschewa erklärte, das heutige Regime verfüge über genügend Mittel, um gegen die Opposition vorzugehen. So würden Strafverfahren gefälscht, meist seien diese auch völlig unbegründet. Oft würde eine Untersuchungshaft wegen Ordnungswidrigkeiten verhängt oder man weise Menschen in Psychiatrien ein. Ferner würden Oppositionelle auf der Straße zusammengeschlagen. Tschelyschewa zufolge liegen Menschenrechtlern Informationen darüber vor, dass Kriminelle im Auftrag der Miliz Oppositionelle überfallen.
Sowjetische Unterdrückungs-Methoden
Die Betreiber der Internetseite „hroniki.info“ beklagen, dass es immer mehr beachtenswerte Fälle gebe. Dass sowjetische Methoden der Unterdrückung von Dissidenten zurückkehrten, beweise der Fall des Nationalbolschewisten Artjom Basyrow, der in einer Psychiatrie gefangengehalten worden sei. Basyrow wurde nach einer Aktion der Bewegung „Anderes Russland“ im November vergangenen Jahres festgenommen. Die angebliche Behandlung dauerte einen Monat. Letztendlich wurde der junge Mann ohne Angabe von Gründen aus der „Heilanstalt“ entlassen. Ähnlich war der Fall der Menschenrechtlerin Larissa Arap.
Neu ist, dass Oppositionelle nun auch in der Armee „weggeschlossen“ werden. Erstes Opfer wurde der Koordinator der Bewegung „Verteidigung“, Oleg Koslowskij. Aus Gesundheitsgründen hätte er eigentlich für den Wehrdienst als untauglich eingestuft werden müssen. Aber ein Milizionär nahm ihn auf der Straße fest und brachte ihn zur Armee. Jetzt befindet sich der junge Aktivist in einer Militäreinheit nahe Rjasan.
Kaum Schutz vor Hacker-Angriffen
Die neue Internetseite selbst kann nicht geschützt werden. Die dort veröffentlichten Informationen würden vor Gericht nicht akzeptiert, sage der Menschenrechtler Stanislaw Dmitrijewskij, obwohl das Material, das von Journalisten zusammengetragen und bearbeitet wurde, von internationalen Gerichten berücksichtigt werde. „Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nimmt gerne in Form von Berichten die freundschaftliche Hilfe von Menschenrechtsorganisationen an“, so Dmitrijewskij. Die schwache Finanzlage von Nichtregierungsorganisationen, ganz zu schweigen von der unsicheren Rechtslage, in der sie sich seit Inkrafttreten des neuen NGO-Gesetzes befänden, erlaube es zudem nicht, die Internetseite zu einem vollwertigen Instrument auszubauen.
Die Seite selbst, wie auch andere Internetseiten der Opposition, sind vor Hacker-Angriffen nicht geschützt. Kasparow, Führer der „Vereinigten Bürgerfront“, ist überzeugt, dass die Angriffe von der Staatsmacht geplant sind: „Manchmal kommt es einem vor, als würde sich die Staatsmacht heute auf den Tag-X vorbereiten, um mit einem Schlag gegen die oppositionellen Seiten der Opposition die letzten Informationskanäle zu nehmen.“ Kasparow meint, es werde der Staatsmacht nicht gelingen, die Seite völlig zu vernichten. Realistisch seien aber Störungen, über Stunden oder Tage.
Jegor Winogradow, DW-Russisch