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Intersexuelle in Südafrika: Die vielen Semenyas

1. September 2009

Vor der Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Berlin war Caster Semenya noch eine Unbekannte, auch in ihrer Heimat Südafrika. Doch seit der Goldmedaille und der Debatte über ihr Geschlecht ist ihr Name in aller Munde.

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WM-Siegerin im 800-Meter-Lauf: Caster SemenyaBild: AP

Während international daran gezweifelt wird, dass die Läuferin eine Frau ist, steht die südafrikanische Nation geschlossen hinter ihr. Reiner Patriotismus oder Ausdruck für den Respekt gegenüber Menschen, die nicht den klassischen Geschlechter-Stereotypen entsprechen?

Im Schatten des Goldmädchens

Schwule und Lesben demonstrieren für mehr Anerkennung - Gay Pride March in Johannesburg
Homosexuelle demonstrieren für mehr AnerkennungBild: Gay Centre

Sie lief den anderen einfach davon, und dafür wird Caster Semenya in ihrem Heimatland wie ein Star gefeiert. Die 18-jährige ist das Goldmädchen, dem die weite Welt den Erfolg nicht gönnt. Doch was passiert, wenn der Jubel verebbt, fragt sich Nonhlanhla Mkhize, Menschenrechtlerin und Leiterin des Schwulen- und Lesben-Zentrums in Durban: "Ist es nur so, weil keiner momentan einen Zweifel daran aufkommen lässt, dass sie ein Mädchen ist? Was wäre zum Beispiel, wenn sie lesbisch ist? Würde sie immer noch als Mädchen akzeptiert? Als richtiges Mädchen? Oder stimmt dann auf einmal etwas mit ihr nicht?"

Nonhlanhla Mkhise sitzt im Kreis ihrer Mitarbeiter im 27.Stock eines Hochhauses in Durban. Blick über den Hafen am indischen Ozean. Alle hier kennen die Blicke, das Tuscheln hinter dem Rücken, die gesellschaftliche Ausgrenzung, wenn man nicht der Norm entspricht. Zum Beispiel Sibonlong Nxayana, ein schmaler Mitt-Zwanziger mit Polohemd und Afro. Er kennt diese Ausgrenzung aus eigener Erfahrung: "Als kleiner, femininer Junge wurde ich in meiner Nachbarschaft akzeptiert. Allerdings nur bis zu meinem Coming Out. Einige machten den Einfluss der westlichen Kultur dafür verantwortlich, andere meinten, ich sei von bösen Geistern besessen, oder bräuchte medizinische Hilfe."

Liberales Klima in den Metropolen

Traditionelle Heiler in Afrika
Früher oft als Heiler verehrt: TranssexuelleBild: AP

27 Stockwerke weiter unten, im Stadtzentrum Durbans, konkurrieren Minibustaxis um Parkplätze, Passanten drängen sich auf dem Bürgersteig. Hier dreht keiner den Kopf, wenn jemand anders aussieht, nicht in die Kategorie: "Mann, Frau, heterosexuell" passt. Das Klima ist liberal, wie auch in den anderen Großstädten Südafrikas. Vororte, Townships und entlegene Dörfer, wie der Heimatort Caster Semenyas sind dagegen in der Regel konservativer. Laut Verfassung genießen alle Südafrikaner die gleichen Rechte, unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe und explizit auch sexueller Orientierung.

Doch die Gesellschaft ist noch längst nicht so tolerant und aufgeklärt wie der Gesetzestext, betont Nonhlanhla Mkhize: "In den letzten 7 bis 10 Jahren haben wir die Leute über sexuelle Orientierung aufgeklärt: über Schwule und Lesben. Aber schon bei Bisexuellen hörte das Verständnis auf, und Transsexualität begreifen die wenigsten. Denken sie nur an Caster Semenyas Großmutter, die sagt, sie habe schon ihre Windeln gewechselt und überzeugt ist, dass sie ein Mädchen ist. Wenn man ihr sagt, Caster könnte auch trans- oder intersexuell sein, dann kommt sie einfach nicht mehr mit."

Besonders viele Intersexuelle in SA

Deutschland Südafrika Leichtathletik WM Caster Semenya
Caster Semenya wurde wegen ihrer männlichen Erscheinung untersuchtBild: AP

Dabei sind Intersexuelle, auch als Zwitter oder Hermaphroditen bekannt, am Kap gar nicht so exotisch, wie viele denken. Schätzungen zufolge wird einer von 500 Südafrikanern mit uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen geboren – mehr als in den meisten Ländern der Welt. Fast immer werden die Babys operiert, wachsen dann entweder als Jungen oder Mädchen auf. Eine umstrittene Praxis unter Fachleuten und Menschenrechtlern. Eine öffentliche Debatte darüber wird in Südafrika jedoch nicht geführt. Intersexualität ist weitgehend tabu.

Doch das war nicht immer so, sagt Nonhlanhla Mkhize: "Ungqingili, das sind Intersexuelle. Aus dem isiZulu übersetzt bedeutet das Menschen mit zwei Seelen. Der Begriff beweist, dass die Existenz von Intersexuellen vor langer Zeit anerkannt wurde. Und es geht sogar darüber hinaus: Sie wurden als Besonders verehrt und unter anderem mit traditioneller Heilkunst assoziiert. Heute jedoch bestreiten die Leute entweder, dass es Intersexualität gibt, oder sie denken, dass damit Schwule gemeint sind. Es ist verrückt, wie sich die Dinge entwickelt haben."

Traditionelle Bedeutung verloren

Warum die traditionelle Bedeutung von Intersexuellen in Vergessenheit geraten ist, kann Nonhlanhla Mkhize sich auch nicht erklären. Vielleicht war es der Einfluss der Kolonialzeit oder der Apartheid. Sie zuckt mit den Schultern. Doch eines ist sicher: der Fall Caster Semenya bietet eine Chance für eine öffentliche Diskussion in Südafrika.

Autor: Leonie March / Redaktion: Dirk Bathe