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Wie es ist, in China Journalistin zu sein

Sabine Peschel tbl
14. August 2017

Als TV-Journalistin war Audrey Jiajia Li in China erfolgreich und bekannt. Doch um ihre Meinung frei äußern zu können, kündigte sie. Im Interview erzählt sie, wo sie an Grenzen stößt und welche Freiräume sie hat.

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Chinesische Journalistin  Li Jiajia (Audrey Jiajia Li) erhält das Stipendium Elizabeth Neuffert Fellowship
Bild: IWMF

Audrey Jiajia Li ist Journalistin und Independentfilmerin. Sie lebt abwechselnd in Singapur und der chinesischen Metropole Guangzhou. Als langjährige TV-Journalistin erlebte sie, wie sich die Pressefreiheit in China täglich verschlechterte. Als Reaktion darauf und um in ihrer inhaltlichen Arbeit weniger eingeschränkt zu sein, machte sie sich im vergangenen Jahr selbständig. Seitdem schreibt sie Kolumnen über Politik und Kultur für Medien außerhalb Festlandchinas, darunter die South China Morning Post aus Hongkong oder Lianhe Zaobao, die größte chinesischsprachige Zeitung Singapurs. 

Als Filmemacherin drehte sie die Dokumentation "LA, Say Goodbye to Smog", die in China verboten wurde. Außerdem ist sie Autorin des Buchs "Zhege Shidai, Zhexie Ren" ("Diese Zeiten, diese Menschen"), in dem sie sich mit der Bevölkerung und der politischen Lage in Festlandchina auseinandersetzt.

DW-Autorin Sabine Peschel hat Audrey Jiajia Li in Hamburg getroffen.

DW: Während die Zensur in China immer weiter zunimmt, berichten Sie über soziale Gerechtigkeit und sprechen sich gegen Zensur und für die Meinungsfreiheit aus. Können Sie in China noch etwas veröffentlichen?

Audrey Jiajia Li: Es ist kompliziert. In China sagt einem niemand, wo der Grat zwischen dem verläuft, was erlaubt ist, und dem, was verboten ist. Es ist eine unklare Linie. Aber meiner Meinung nach bietet eine unklare Linie mehr Möglichkeiten als eine klare. Also kann ich veröffentlichen. Ich habe noch immer meinen Weibo-Account mit mehr als 720.000 Followern. [Anm. d. Red.: Weibo ist ein chinesischer Mikroblogging-Dienst, vergleichbar mit Twitter.] Ich kann also meine Kommentare auf dem Festland schreiben. Trotzdem muss ich mich dabei selbst zensieren. Ich muss genau überlegen, was passieren wird, wenn ich einen Artikel poste. Wenn ich also über Liu Xiaobo schreibe, veröffentliche ich das nicht auf dem Festland, sondern in Hongkong oder Singapur.

Ein schwarz-weiß-Bild von Liu Xiaobo in Hongkong, daneben viele weiße Blumen. (Foto: picture-alliance/AP Photo/Kin Cheung)
Trauer um Liu Xiaobo in Hongkong im Juli 2017Bild: picture-alliance/AP Photo/Kin Cheung

Zwei Wochen nach dem Tod Liu Xiaobos am 13. Juli haben sie einen Artikel in der South China Morning Post veröffentlicht, in dem Sie Chinas Umgang mit ihm beklagten, und ihn mit Gandhi und Nelson Mandela verglichen. Ich zitiere: "Sein Leben endete, aber sein Vermächtnis soll weiterleben und von denen in Ehren gehalten werden, die an seine Vision von Demokratie, Freiheit, an die Gesetze und ein Ende der Zensur glauben." Diese Worte können in Festlandchina für denjenigen, der sie ausspricht, sehr gefährlich sein. Sie leben in Guangzhou, haben Sie keine Angst? Viele Menschen, selbst solche, die außerhalb Chinas leben, sind für solche Aussagen verhaftet worden.

Doch, ein bisschen Angst habe ich schon.

Wollen Sie China mit Ihrer Arbeit verändern?

Natürlich kann ich davon träumen, mein Land zu einem besseren Ort zu machen, wenn es um die Meinungsfreiheit geht. Aber derzeit bin ich sehr pessimistisch, was die Zukunft angeht. Noch vor fünf oder sechs Jahren war die Situation eine andere: Die Menschen konnten sogenannte sensible Themen online diskutieren - auf Weibo und anderen Plattformen. Aber heute ist jeder sehr ängstlich, weil man in jedem Moment dafür bestraft werden kann. Vor ein paar Tagen erst ist ein Professor der Beijing Normal University wegen seiner Online-Kommentare entlassen worden: Shi Jiepeng. Er hatte Mao Zedong auf Weibo kritisiert. Ich denke, einige Linksnationalisten haben das den Behörden gemeldet, und daraufhin hat ihn die Universität entlassen.

Ich finde das irgendwie lächerlich. Er ist Professor. Lehrer und Studenten sollten Meinungsfreiheit ausleben dürfen. Seit 2012 hat sich die Situation immer weiter verschlimmert und es gibt keine Anzeichen dafür, dass sie sich bessert. Es wird nach dem 19. Parteikongress keine Lockerungen geben. [Anm. d. Red.: Der 19. Parteikongress der Kommunistischen Partei wählt im Herbst 2017 eine neue Parteiführung.] Insofern bin ich ziemlich pessimistisch. Aber vor fünf Jahren hatte ich die Hoffnung, China könnte in den Genuss von ein bisschen Freiheit und Demokratie kommen.

Können Sie denn noch in irgendeinem der offiziellen chinesischen Medien veröffentlichen?

Ich weiß es nicht, ich habe es bisher nicht versucht. Wenn man in den sogenannten offiziellen Medien Chinas etwas veröffentlichen will, muss man sich selbst zensieren und die Redakteure überarbeiten deinen Artikel an vielen Stellen. Ich will das nicht, deshalb arbeite ich momentan nur für Medien außerhalb des Festlands.

Wer ist Ihre Zielgruppe?

Ich denke an die Bewohner des Festlands, die durchschnittlichen chinesischen Bürger. Aber es wird schwieriger, sie zu erreichen. Deshalb bin ich immer auf der Suche nach neuen Wegen, um mich frei zu äußern. Mein Weibo-Account wurde schon dreimal stillgelegt. Daraufhin nutzte ich Wechat. Ich versuche, meine Artikel jetzt auch auf Englisch zu schreiben, denn bei englischsprachigem Material ist die Zensur nicht so strikt. Ich denke, die Zahl an englischsprachigen Chinesen wächst, und sie verstehen, was ich sagen möchte.

Die Studentin Shuping Yang hat im Mai vor Absolventen der Universität Maryland eine Rede gehalten, in der sie Chinas Luftverschmutzung und Mangel an Meinungsfreiheit thematisierte. Die Rede zog Kritik aus China nach sich. Sie haben dazu geschrieben, dass solch ein Auftritt dazu beitragen kann, die Gesellschaft zu verbessern. Wie waren die Reaktionen darauf?

Mein Artikel über Shuping Yang wurde auf Chinesisch und Englisch in der South China Morning Post und der Lianhe Zaobao publiziert. Ich habe ihn auch auf meinem Wechat-Account geteilt, dort ist er aber zweimal gelöscht worden. Mehr als 20.000 Menschen hatten den chinesischen Artikel aber gelesen, ehe er nach drei Tagen verschwand.

Haben Sie einmal etwas über Liu Xiaobo auf Wechat oder Weibo gepostet?

Ich habe einen Satz gepostet, nachdem ich von seinem Tod erfahren habe: "Er war ein Geschenk des Himmels an China, aber wir wussten ihn nicht zu schätzen. Also hat ihn der Himmel wieder zu sich genommen." Das habe ich auf Englisch geschrieben, trotzdem war es nach einer Stunde verschwunden. Ich habe auch ein Emoji gepostet, ein weinendes Gesicht. Auch das wurde gelöscht.

Aus welchen Gründen ist Ihr Weibo-Account blockiert worden?

Es ist dreimal geschehen, das erste Mal im Januar 2013: Das Magazin Nanfang Zhoumo (Southern Weekly) war vom Propaganda-Ministerium in der Provinz Guangzhou zensiert worden und viele Journalisten traten in Streik. Ich habe mehrere Posts veröffentlicht, um sie zu unterstützen, daraufhin wurde ich zwei Wochen zum Schweigen gebracht.

Das zweite Mal wurde ich 2014 während der Occupy-Bewegung in Hongkong blockiert. Ich habe etwas in dem Zusammenhang gepostet, jedoch nicht gesagt, dass ich sie unterstütze. Daraufhin wurde mein Account für einen Monat stillgelegt.

Zum dritten Mal geschah es Anfang dieses Jahres. Ich glaube, ich hatte Donald Trump kritisiert. Viele Menschen in China und vor allem die Behörden mögen Trump, genau wie Putin. Also wurde ich wieder bestraft, dieses Mal für zwei Monate.

Li Jiajia in einer kleinen Gassen in Bremen.
Die chinesische Journalistin Audrey Jiajia Li bei ihrem Deutschlandbesuch im AugustBild: Li Jiajia

Wieso wollten Sie Journalistin werden und auf diesem in China schwierigen Terrain arbeiten?

Es ist besonders in den vergangenen zehn Jahren schwierig geworden, seitdem sehen sich alle Journalisten großen Problemen ausgesetzt - einerseits durch den Druck auf den Markt, andererseits durch die wachsende Zensur. Ich dachte, ich könnte aktiv etwas unternehmen - vielleicht Einfluss auf meine Leser nehmen, meine Zielgruppe - und alternative Sichtweisen zur offiziellen Linie anbieten.

Ich möchte keine Dissidentin sein und auch nicht in Konflikt mit der Stimme des Mainstream stehen. Ich will nur meine Augen benutzen und teilen, was ich beobachte. Vielleicht kann ich mein Land damit ein bisschen offener und demokratischer machen. Das war mein Traum. Ihn zu erreichen, wird immer schwieriger.

Die International Women's Media Foundation (IWMF) hat sie 2017 als Elizabeth Neuffer Fellow ausgewählt. Das bedeutet Stationen für Sie bei beim Boston Globe und der New York Times. Was bedeutet das für Sie?

Das ist eine großartige Möglichkeit, um in den USA zu beginnen und meine beruflichen Fähigkeiten auszubauen. Ich hoffe, ich kann Energie tanken, und eines Tages, wenn mein Land offener und transparenter wird, meinen Beitrag leisten - um China zu einem besseren Ort zu machen.