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PolitikEuropa

Interview: Putins Taktik in Syrien und der Ukraine gleich

Mikhail Bushuev
18. April 2022

Die Militärtaktik der Russen in Syrien und jetzt in der Ukraine weist frappierende Parallelen auf, sagt Hanna Notte vom Vienna Center for Non-Proliferation and Disarmament (VCDNP). Sie auszuwerten sei jetzt nützlich.

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Ukraine | Kriegsschäden in Charkiw
Bild: Alex Chan Tsz Yuk/SOPA/ZUMA/dpa/picture alliance

Erst Tschetschenien und Syrien, jetzt die Ukraine. Experten ziehen seit Beginn des Ukraine-Kriegs Parallelen zwischen den vorherigen Kriegen der Russen und dem aktuellen. Hanna Notte, Expertin beim Vienna Center for Non-Proliferation and Disarmament (VCDNP), setzt sich schon länger mit Aspekten der Sicherheit und der Rüstungskontrolle auseinander und ist dabei besonders auf Russland und den Nahen Osten fokussiert. Mit der DW hat sie über Gemeinsamkeiten des russischen Vorgehens in Syrien und jetzt der Ukraine gesprochen - und was man daraus ableiten kann.

 

DW: Sie sehen Parallelen im russischen Vorgehen in Syrien und der Ukraine. Welche?

Hanna Notte: Fünf Parallelen habe ich ausgemacht. Die erste: Russland geht den Krieg sequentiell, in einzelnen Phasen an.

Zweitens: Die Taktik, Städte einzuzingeln, zu belagern und zu bombardieren, um dann, ich zitiere, "humanitäre Korridore" einzurichten. Bei dem Begriff muss man vorsichtig sein.

Drittens: Ausländische Krieger. Das ist ein komplexes Thema, weil Russland einerseits der Gegenseite vorwirft, Fremdenlegionäre anzuheuern, es dann aber auch selbst tut.

Parallele vier und fünf betreffen die Desinformation, wenn es um die Behauptung geht, dass der Gegner Menschen als Schutzschilder missbrauche. Russland hat schon oft Terroristen beschuldigt, sie würden Menschen als Schutzschilder benutzen. Jetzt tun sie das gleiche mit dem Asov-Bataillon in Mariupol. Und Russland nutzt Desinformation: Es wirft der Gegenseite vor, verdeckte chemische Attacken zu fahren. Bei allen Parallelen ist es aber auch wichtig, die Unterschiede beider russischer Einsätze, in Syrien und der Ukraine, zu sehen. Sowohl, was die Ziele angeht, als auch, was die Größe angeht.

Was genau meinen Sie mit "sequentiellem Krieg"?

In Syrien haben wir beobachtet, dass das Assad-Regime und das russische Militär, das im September 2015 eingegriffen hatte, immer wieder die Kämpfe in Teilen des Landes pausiert hatte, um anderswo aktiv zu werden. Anfang 2017 schufen sie so genannte "Deeskalationszonen" im Westen Syriens, was dem Assad-Regime die Möglichkeit gab, Ressourcen zusammenzuziehen, um im Osten des Landes Territorium einzunehmen. Aber auch, um sich neu zu ordnen und Ressourcen aufzufüllen. 2018 kam das Assad-Regime, unterstützt von Russland, zurück und nahm diese "Deeskalationszonen" wieder ein, mit Ausnahme von Idlib, das bis heute nicht unter der Kontrolle der syrischen Regierung steht.

Ukraine Krieg, Hanna Notte, Militärexpertin
Militärexpertin Hanna NotteBild: Hanna Notte

In der Ukraine hat Russland angekündigt, dass die erste Phase der "Spezial-Militäroperation" abgeschlossen sei und man sich nun auf die "Befreiung", ich zitiere, des Donbass konzentriere. Und tatsächlich haben sich russische Truppen aus der Umgebung Kiews und dem Norden der Ukraine zurückgezogen. Wenn ich jetzt auf diese Parallele der Sequenzierung des Kriegs aufmerksam mache, dann nicht so sehr, weil ich glaube, dass wir genau so etwas wieder sehen werden. Ich möchte eher vor voreiligem Optimismus warnen und vor der Annahme, dass nur weil die Russen gesagt haben, sich jetzt auf das Donbass konzentrieren zu wollen, die Kämpfe in anderen Landesteilen endgültig vorbei seien.

Die Versuche humanitäre Korridore aus belagerten Städten, speziell Mariupol, einzurichten, sind mehrfach gescheitert. Aus russischer Perspektive: Welche Strategie könnte dahinterstehen?

Ja, leider zeigt auch hier das Beispiel Syrien, dass solche Korridore mit höchster Vorsicht zu betrachten sind - aus diversen Gründen. Nehmen wir die Belagerung Aleppos 2016. Über sechs Monate dauerte sie an, und auch hier öffneten die Russen Korridore, denen viele Zivilisten aber oft nicht trauten. Ein Problem ist auch, dass die Menschen, die Korridore aus Angst lieber nicht nutzen möchten, wie in den Vorstädten von Damaskus 2018, vom russischen Militär als legitime Angriffsziele angesehen werden. Das Narrativ war: Die Leute hätten ja die Stadt verlassen können. Wer blieb, wurde als "Terrorist" angesehen. Das macht mit Blick auf das, was in der Ukraine weiter geschieht, Sorge.

Wenn wir nach Mariupol schauen und die dortigen Versuche Schutzkorridore einzurichten, wird es kompliziert. In Syrien wurde den Leuten bei Einrichtung der Korridore aus diesen Deeskalationszonen für gewöhnlich zumindest eine Art Option von den Russen angeboten. Die Leute konnten sich ergeben, die Waffen niederlegen und bleiben - oder sie konnten raus. Die meisten gingen dann nach Idlib. Jetzt in Mariupol gibt es das Problem, dass die Zivilisten offenbar gezwungen wurden, sich in Richtung Russland evakuieren zu lassen, dass Busse hunderte Menschen von Mariupol nach Russland brachten. Dort wurden Zivilisten offenbar gezwungen, falsche Beweise für das, was in Mariupol geschehen war, zu liefern.

Kommen wir zum Thema Chemiewaffen. Es gibt große Befürchtungen, dass Russland diese irgendwann einsetzen könnte. Unter welchen Umständen glauben Sie wäre das für Russland eine Option?

Zunächst muss man allgemein sagen: Die rote Linie, chemische Waffen einzusetzen, wurde durch das, was in Syrien passiert ist, deutlich geschwächt. Sogar nachdem Syrien schon gesagt hatte, sie hätten sämtliche Arsenale an chemischen Waffen zerstört, kam es noch zu solchen Angriffen. Und Russland hat Syrien vor der OPCW, der Organisation für das Verbot chemischer Waffen, sogar noch in Schutz genommen. Der UN-Sicherheitsrat und westliche Staaten haben es nicht geschafft, diese rote Linie wieder klar zu ziehen.

Nun steht noch die Frage im Raum: Würde Russland in der Ukraine chemische Waffen einsetzen? Und da geht es nicht darum, ob Russland Konsequenzen fürchten müsste oder nicht.

Ukraine | Ein Mutter trauert am Grab ihres Sohnes in Butscha
Trauer in Butscha (16. April 2022)Bild: Emilio Morenatti/AP/picture alliance

Das Butscha-Massaker hat uns gezeigt, dass Russland sich relativ wenig darum schert, wenn die internationale Gemeinschaft sie solcher Gräueltaten beschuldigt. Die Frage ist: Hält Russland einen Einsatz chemischer Waffen in der Ukraine für sinnvoll? Wann ist eine chemische Waffe eine effektive Option in einem militärischen Konflikt? Nun, wenn man sich ansieht, wann Assad Chemiewaffen eingesetzt hat, dann sieht man, dass es operativ und taktisch eng mit seinem konventionellen Einsatz zu tun hatte. Von der Opposition gehaltene Gebiete sollten eine Kollektivstrafe erhalten. Das geschah parallel zu den Belagerungen und anderen Gewalttaten.

In der Ukraine müssen wir die Frage stellen, ob es zu einem Abnutzungskrieg kommt - und einige Experten würden vermutlich sagen, dass es das bereits jetzt ist - , in dem es darum geht, die Zivilbevölkerung der Gegenseite auf lange Sicht zu demoralisieren. Könnte dann der Einsatz von Chemiewaffen Sinn machen? Besonders, wenn die Kosten für so einen Einsatz nicht all zu signifikant wären?

Lassen Sie es mich abschließend so sagen: Selbst, wenn Russland am Ende keine Chemiewaffen einsetzt, muss man sagen, dass allein die ständigen Falschbehauptungen, dass die Ukraine eine Chemieoffensive vorbereite, für die russische Regierung von Nutzen sind. Erstens, weil es das in Russland von der russischen Propaganda verbreitete Narrativ unterstützt, dass die Gefahr von Massenvernichtungswaffen von der Ukraine ausgeht. Zweitens: Allein die Möglichkeit, dass Russland Chemiewaffen einsetzen könnte, sorgt für Angst und terrorisiert die Ukraine.

Insgesamt also ein recht bequemes Vorgehen für Russland, das relativ wenig kostet.

 

Das Gespräch führte Mikhail Bushuev.

Aus dem Englischen übersetzt von Friedel Taube.