"Kuba will die Kontrolle zurückgewinnen"
8. Februar 2021DW: Herr Amor, einen Monat nach einer Währungsreform hat das kommunistische Regime in Havanna hat eine Arbeitsmarktreform bekanntgegeben, die es den Bürgerinnen und Bürgern erlaubt, die allermeisten Beschäftigungen selbständig auszuüben. Lediglich 124 Tätigkeiten, darunter illegale wie Kinderarbeit und die Ausbeutung geschützter Tier- und Pflanzenarten sowie strategische Sektoren wie Gesundheitsversorgung und Medien, sollen ausgenommen bleiben. Das klingt zunächst einmal wie das, was viele Ökonomen, Sie eingeschlossen, seit Jahrzehnten von Havanna fordern. Wie zufrieden sind sie mit dem neuen Gesetz?
Elías Amor: Ich habe die Entscheidung mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Einerseits ist es ein richtiger Schritt, privates Wirtschaften weitgehend zu erlauben. Auf der anderen Seite ist erlauben nicht gleich ermöglichen. Wir können nicht davon ausgehen, dass es in Kuba plötzlich einen freien Markt geben wird, auf dem findige Unternehmer sich durchsetzen. Eine starke Privatwirtschaft würde der Ideologie des Regimes diametral entgegenlaufen.
Gibt es nach mehr als sechs Jahrzehnten Planwirtschaft überhaupt noch so etwas wie einen Unternehmergeist in Kuba?
Jedes Mal, wenn der Staat eine private Tätigkeit zugelassen hat, haben die Kubaner umgehend passende Projekte mit großer unternehmerischer Kreativität auf die Beine gestellt. Im Exil finden die allermeisten Kubaner sehr schnell ihren Weg, etablieren sich, prosperieren und werden nicht selten erfolgreiche Unternehmer. Die Motivation, die sie als Selbständige entwickeln, fehlt ihnen in staatlichen Unternehmen allerdings, weil niemand so recht mitbekommt, wer von ihrer Arbeitsleistung eigentlich profitiert. Im Übrigen gab es auch vor der Revolution eine ganze Menge mittelständischer Unternehmen in Kuba.
Inwieweit sind die Reformen denn geeignet, die Wirtschaft zu stärken?
Die Aufhebung des Betätigungsverbots für die allermeisten Sektoren ist sehr wichtig. Allerdings sind die Umstände bisher vollkommen unklar: Wir wissen bisher praktisch nichts über Finanzierungsmöglichkeiten, Besteuerung, sektorspezifische Regulatorien und so weiter. Rechtssicherheit sieht anders aus, zumal die kubanische Verfassung weiterhin vorsieht, dass der Staat über die Verteilung des Vermögens entscheidet.
Unternehmen sind also von der Gnade des Staates abhängig, wenn sie Produktionsmittel erwerben oder Rücklagen bilden wollen?
Wir sehen schon heute, dass der Staat selbständige Landwirte daran hindert, größere Anbauflächen zu erwerben. Dabei sind sie es, die die Kubaner derzeit ernähren, während staatliche Latifundien vielfach brach liegen. Viele privat bewirtschafteten Parzellen sind so klein, dass ihre Besitzer doch wieder darauf angewiesen sind, sich den staatlichen Kooperativen anzuschließen.
Sind die Reformen also eine Nebelkerze?
Wir wollen es nicht hoffen, müssen aber davon ausgehen. Noch einmal: Eine starke Privatwirtschaft ist nicht im Interesse des Regimes. Dementsprechend besteuert es Selbständige: Seit 2016 ist der Umsatz des Privatsektors in Kuba um gerade einmal 18 Prozent gestiegen, die Steuereinnahmen daraus aber um 158 Prozent. Das zeigt: Der Staat will also vor allem seine eigene Position stärken und die Kontrolle über die Wirtschaft zurückgewinnen. Denn unter seiner Anleitung sind die Kubaner offensichtlich nicht in der Lage, ihre Bedürfnisse zu decken.
Sie meinen also, das Regime will die unternehmerische Kreativität nutzen, um die Staatskassen zu füllen?
Das Regime hat seine Staatswirtschaft lange Zeit weitgehend durch Hilfen aus dem verbündeten Ausland finanziert. Zuletzt waren das vor allem Öllieferungen aus Venezuela, und diese Quelle ist seit 2016 nach und nach versiegt. Nun hat die Corona-Krise auch noch die zweite große Devisenquelle, den Tourismus, abgewürgt. Hinzu kam Anfang des Jahres eine Währungsreform, mit der das Regime die kubanische Wirtschaft einer regelrechten Schocktherapie unterzieht. Die Inflation hat bereits angezogen - vor allem bei den ohnehin knappen Lebensmitteln.
Die Arbeitsmarktreform ist also einerseits wohl tatsächlich ein verzweifelter Versuch, die Wirtschaft anzukurbeln. Aus den genannten Gründen zweifle ich allerdings an seinem Erfolg. Andererseits ist es ein - ebenfalls zweifelhaftes - Signal an ausländische Investoren, dass Kuba sich öffnet mit dem Ziel, Devisen nach Kuba zu locken.
Der Exilkubaner Elías Amor Bravo ist Präsident der Kubanischen Liberalen Union (ULC) und Wirtschaftsprofessor im spanischen Valencia. Auf seinem Blog Cubaeconomía schreibt er regelmäßig über die wirtschaftliche Situation seiner Heimat.