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Sprachrohr Internet

28. Januar 2007

Besonders bei Krisen und Konflikten suchen Betroffene den Kontakt mit anderen Menschen. Weblogs ermöglichen ihnen eine aktuelle und umfassende Berichterstattung vom ganz alltäglichen Grauen. Drei Beispiele aus dem Irak.

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Screenshot Blogseite
In ihrem Weblog schreibt Najma über alltägliche Probleme eines Lebens im Irak

Der Krieg im Irak hinterlässt seine Spuren: Das Land liegt in Trümmern, Jugendliche sind bereit, sich für ihren Glauben oder ihr Land zu opfern und greifen zur Waffe. Manche fliehen, weil die Situation aussichtslos zu sein scheint. Eine Möglichkeit, in der Welt des Schreckens Gehör zu finden, bietet das Internet. In Internet-Tagebüchern, Weblogs genannt, berichten junge Iraker von ihren Erlebnissen.

Eine junge Mutter erzählt

"Emotionen einer Mutter" - so nennt eine 34-jährige Irakerin aus Mosul ihr Weblog. Adressiert sind ihre Texte, die sie mit "Mama" unterschreibt, an Nachbarn – Menschen aus ihrer Umgebung, ob Muslime oder Christen, ob Sunniten oder Schiiten. Der Appell der Autorin: "Unser Prophet Mohammed hat uns nicht aufgerufen, unsere Kulturen zu separieren; hört auf im Namen der Religion zu töten!"

Sie selbst muss sich täglich um ihre drei Kinder sorgen. Nie kann sie sich sicher sein, ob ihnen nicht auf dem Schulweg etwas zustößt. Gewalt gehört zum Alltag: "Eines Tages brachten einige Männer die Tochter einer Freundin um. Sie war Apothekerin und wurde eiskalt in ihrer eigenen Apotheke erschossen." Der Ehemann des Opfers musste mit ansehen, wie Polizisten auf der anderen Straßenseite untätig herumstanden.

"Wir sind Menschen ohne Rechte", schreibt die Autorin. Die Kinder im Irak seien Gefangene im eigenen Zuhause; auf der Straße zu spielen gleiche einem Selbstmord, selbst in der Schule seien die Kinder nicht sicher.

Hass auf die Heimat

Jo dagegen, gebürtiger Iraker und ehemaliger Heavy-Metal-Gitarrist, lebt zur Zeit in Amman in Jordanien. Er beschäftigt sich intensiv mit seiner eigentlichen Heimat und kann kaum glauben, wie sehr sich alles innerhalb kürzester Zeit verändert hat.

Jo erinnert sich an eine Zeit, in der er glücklich war. Eine Zeit, in der seine Freunde nicht sterben mussten und bevor Dinge passierten, die ihn sein Land hassen ließen. Ein normales Leben ist für ihn im Moment schlicht unmöglich, seine Gedanken drehen sich immer um den Krieg.

Unileben inmitten von Trümmern

Najma ist seit dem Sommer dieses Jahres an der Universität von Mosul eingeschrieben. In ihrem Blog schreibt sie über das Uni-Leben und über Dinge, die sie auf dem Campus erlebt. Sie schreibt über ganz alltägliche Probleme einer jungen Frau, die ihren Platz in der Gesellschaft sucht.

Das Unileben wird Najma durch die Umstände, die im Irak herrschen, nicht leicht gemacht. Einer ihrer Einträge berichtet von einer Explosion, die sich während des Frühstücks in der Nachbarschaft ereignete. Einige Fenster zerbrachen unter dem Druck der Explosion, niemand verletzte sich. Doch sie lebt mit der Unsicherheit, dass jeden Tag eine Bombe in der Nähe ihres Hauses detonieren könnte.

Menschen weltweit erreichen

Portrait Salam Pax (Quelle: AP Photos)
Salam PaxBild: AP

Viele der Irakblogs sind in englischer Sprache geschrieben, um auch ein Publikum im Ausland zu erreichen. Berühmter Vorläufer dieser "Brücken-Blogger" ist der legendäre Salam Pax, der in den Tagen vor der US-Invasion mit seinem Weblog "Where is Raed?" bekannt wurde. In diesem Blog berichtete Pax vom Alltag in Bagdad, griff gesellschaftskritische Themen auf und schrieb auch über seine Homosexualität. Als sein Freund Raed, der in Jordanien studierte, nicht mehr auf seine E-Mails reagierte, hatte er zu bloggen begonnen.

Die internationale Presse reagierte zunächst skeptisch auf das Weblog. Man fragte sich, ob es tatsächlich von einem Iraker stamme oder ob ein Geheimdienst zur Verbreitung falscher Informationen über den Krieg dahinter steckte. Im Sommer 2003 konnte die britische Tageszeitung "The Guardian" jedoch einen 29-jährigen irakischen Architekten aus Bagdad als Autoren identifizieren.

Karin Jürgens, Studiengang Online-Journalismus, Hochschule Darmstadt