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Kampf gegen Genitalverstümmelung in Irak

Florian Neuhof / ago4. März 2016

Die Verstümmelung weiblicher Geschlechtsorgane ist unter Iraks Kurden sehr verbreitet. Es sind vor allem Frauen, die die grausame Tradition fortsetzen. Florian Neuhof beschreibt die Versuche, die Menschen umzustimmen.

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Rasul und eine Gruppe Frauen in der Moschee im Dorf Edi Kislar (Foto: DW/F. Neuhof)
Bild: DW/F. Neuhof

Im Dorf Tirpaspyan ruft eine knisternde Lautsprecherstimme die Frauen zur Moschee. Aber es ist nicht die Stimme des Imams, die in dem Bauerndorf in der Nähe der irakischen Kurdenhauptstadt Erbil zu hören ist. Stattdessen ruft die 30-jährige Kurdistan Rasul. Sie hat sich weder von den Dorfältesten, noch von unbändigen Jugendlichen davon abhalten lassen.

Über den Moschee-Lautsprecher hatte Rasul angekündigt, über Gesundheitsthemen zu reden. Doch kaum sitzen die Frauen im Kreis, kommt sie zur eigentlichen Sache. Sie will die Dorfbewohner von der weiblichen Genitalverstümmelung abbringen, die viele Frauen erdulden müssen. Dabei werden die äußeren Geschlechtsorgane ganz oder teilweise entfernt. Rasul zählt die gesundheitlichen Folgen auf. Dazu gehören eine hohes Infektionsrisiko und Unfruchtbarkeit.

Im Alter zwischen vier und sieben

"Als ich ein kleines Mädchen war, wäre es gut gewesen, wenn jemand meine Mutter überzeugt hätte, mich nicht beschneiden zu lassen", erzählt Rasul. Ihr Fall ist typisch. Je nach Umfrage wurden zwischen 41 und 73 Prozent der Frauen verstümmelt, die meisten von ihnen im Alter zwischen vier und sieben Jahren.

Heutzutage ist das Risiko für junge Mädchen, Opfer dieser Praxis zu werden, glücklicherweise deutlich geringer geworden. Untersuchungen der deutschen Entwicklungshilfeorganisation Wadi, für die Rasul arbeitet, zeigen einen massiven Rückgang in vielen Bezirken. In einigen Regionen sei sie sogar ganz verschwunden. Dafür arbeiten Männer und Frauen wie die energische Rasul unermüdlich. Sie hat in den vergangenen zwei Jahren mehr als 400 Dörfer besucht.

Die 13-jährige Ariso aus der Nähe von Tirpaspyan wurde auch Opfer der Beschneidung (Foto: DW/F. Neuhof)
Die 13-jährige Ariso aus der Nähe von Tirpaspyan wurde auch Opfer der BeschneidungBild: DW/F. Neuhof

Als sie unterwegs nach Tirpaspyan nach dem Weg fragt, kommt sie mit einer Familie ins Gespräch. Auch die beiden Töchter, 12 und 13 Jahre alt, sind beschnitten. "Ihr habt ein Verbrechen begangen", hält Rasul den Eltern vor. "Nein, das ist die Tradition", antwortet der gescholtene Vater.

Praxis sehr ungleich verbreitet

Die Genitalverstümmelung bei Frauen ist nicht überall in den irakischen Kurdenprovinzen gleich verbreitet. Nach einem Bericht des UN-Kinderhilfswerks UNICEF sind in den Provinzen Erbil und Suleimanija mehr als die Hälfte der Frauen zwischen 15 und 49 Jahren betroffen. In der ethnisch gemischten Provinz Kirkuk sind es 20 Prozent, während in Dohuk nur zwei Prozent der Frauen in dieser Altersgruppe die Tortur erleiden mussten. Im Südirak kommt die Frauenbeschneidung laut UNICEF gar nicht vor.

Im Dorf Edi Kislar bekommt Rasul am selben Tag zu hören, warum immer noch viele an der blutigen Tradition festhalten. "Wenn eine Frau nicht beschnitten ist, dann ist jedes von ihr geschlachtete Tier haram (verboten)", ruft ein betagter Mann. Auch das Essen und Trinken, das solch eine Frau serviere, sei tabu.

Weibliche Genitalverstümmelung: Fakten und Hintergründe

Das hat Rasul schon oft gehört. Sie weiß, welches Argument dagegen hilft. Keine von den Frauen oder Töchtern des Propheten Mohammed war beschnitten, erinnert sie die Zuhörer. "Der Islam ist eine wunderbare Religion, und diese Bräuche gehören nicht dazu", betont sie.

Frauenbeschneidung eigentlich verboten

Doch viele Imame sehen das offenbar noch anders, wie Rasul einräumt. Zwar hat die kurdische Regionalregierung im Jahr 2011 die weibliche Genitalverstümmelung im Rahmen eines Gesetzes gegen häusliche Gewalt verboten, aber viele religiöse Führer halten noch daran fest. Schakir Kaka, ein 50-Jähriger aus Edi Kislar, stimmt zu: "Die Hälfte der Religionsvertreter ist immer noch dafür. Überzeuge sie, dann überzeugst du uns."

Obwohl in der kurdischen Gesellschaft die Männer den Ton angeben, sind es vor allem Frauen, die diese Tradition am Leben halten. Es sind Mütter und Großmütter, die die selbsterlittene Qual an die Jüngeren weitergeben. Und es sind die Hebammen, die gut an dem schmerzhaften Schnitt verdienen. "Die alten Frauen zu überzeugen, ist am schwersten", gibt Rasul zu. Um diese Frauen umzustimmen, nutzt sie auch deren Ängste. "Die meisten Männer sagen, dass sie eine zweite Frau wollen, weil ihre erste kein sexuelles Verlangen hat. Deshalb wollen sie eine unbeschnittene Araberin oder Syrerin heiraten ", erzählt sie den Frauen in Tirpaspyan.

Rasul spricht in Tirpaspyan mit Männer wie Frauen (Foto: DW/F. Neuhof)
Rasul spricht in Tirpaspyan mit Männer wie FrauenBild: DW/F. Neuhof

Ihre größte Stärke ist wohl, dass sie auch zu denen freundlich ist, die sie für die Misere verantwortlich macht. In Edi Kislar trifft sie auf die 67-jährigen Azime Pirdawad. Pirdawad war eine der Hebammen, die durch die Dörfer reisen und Mädchen verstümmeln. Rasul zufolge hat sie etwa 5000 Mädchen beschnitten und bewahrt die Klinge dafür noch immer zu Hause auf. "Sie ist eine Schlächterin", sagt Rasul.

Mit dem Koran gegen die Verstümmelung

Dennoch erläutert sie der Hebamme geduldig, dass die Genitalverstümmelung nicht vom Koran gedeckt sei. Das scheint Pirdawad umzustimmen. "Habe ich dann gesündigt, wenn ich beschnitten habe?", fragt die 67-Jährige. "Nein, du wusstest es nicht", beruhigt Rasul sie. Schließlich wirkt Pirdawad überzeugt. "Ich habe zwei Enkelinnen, und ich würde ihnen das nicht antun", sagt sie unter dem Applaus der anderen Frauen.

Für Rasul (r.) ist die Hebamme Azima Pirdawad eine Schlächterin (Foto: DW/F. Neuhof)
Für Rasul (r.) ist die Hebamme Azima Pirdawad eine SchlächterinBild: DW/F. Neuhof

Am Ende der Versammlung umarmt Rasul die Hebamme. "Freundlich zu ihnen zu sein, ist der härteste Teil meiner Arbeit", sagt die ruhelose Aufklärerin. "Tief in mir drinnen will ich ihnen wehtun, aber ich muss das unterdrücken. Wenn ich böse werde, hören sie mir nicht mehr zu und ich kann gar nichts mehr erreichen."

Rasul war selbst lange traumatisiert von ihrer eigenen Beschneidung. Auch heute geht all das Leid, dass sie sieht, nicht spurlos an ihr vorüber. "An vielen Tagen weine ich auf dem ganzen Weg nach Hause."