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Irak Zukunft

18. Dezember 2011

Nach dem Abzug der amerikanischen Truppen aus dem Irak steht das Land vor großen Herausforderungen. Die Grundlagen für einen selbständigen Staat sind gelegt, aber ob das demokratische Fundament trägt, ist ungewiss.

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Abzugszeremonie in Bagdad (Foto: AP)
Mission accomplishedBild: dapd

Am Sonntag (18.12.2011) verließen die letzten amerikanischen Kampftruppen den Irak. Der US-Fernsehsender CNN zeigte in Live-Bildern, wie der letzte Armeekonvoi die Grenze zu Kuwait überquerte. Schwere gepanzerte Fahrzeuge und Tieflader mit Panzern passierten die Grenzstation. Danach wurde das Grenztor geschlossen.

Als einen "Freudentag für alle Iraker" hatte ein irakischer Oberstleutnant bereits am Freitag den angelaufenen Abzug der amerikanischen Soldaten bezeichnet. Kein Wunder: Fast neun Jahre nach dem Einmarsch der US-Armee übernehmen die Iraker jetzt wieder die Verantwortung für ihren Staat. Doch was viele Iraker seit langem herbei gesehnt haben, ist eine Herausforderung für das ganze Land.

Politische Konsolidierung und sozialer Aufbau

Der Nahost-Experte und Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin, Volker Perthes, meint, dass die innenpolitische Konsolidierung und der soziale Aufbau entscheidend für die Zukunft des Iraks seien. "Die Frage ist, ob sich die politischen Gruppen, Fraktionen, Parteien, Stammes- und Regionalvertreter darauf einigen können, zumindest an den formalen Regeln der Demokratie festzuhalten und alle partizipieren zu lassen", sagt Perthes. Die Regierung von Ministerpräsident Nuri Al-Maliki neige dazu, wichtige Gruppen vom politischen Prozess auszuschließen – und damit undemokratisch zu agieren.

Obama und al-Maliki (Foto: AP)
Gute Beziehungen? US-Präsident Obama (r.) und Iraks Ministerpräsident al-MalikiBild: picture-alliance/dpa

Ebenfalls wichtig sei die soziale Sicherheit. Dafür müsse das im Land erwirtschaftete Geld entsprechend verteilt werden. Die finanzielle Grundlage dafür existiert bereits: Der Irak produziert mittlerweile wieder ähnlich viel Öl wie vor Beginn des Krieges. Doch längst nicht alle profitieren davon. Ein Problem, mit dem sich die Iraker künftig allein auseinandersetzen müssen. "In den vergangenen Jahren hat man die Verantwortung für alles, was schief lief, auf die Amerikaner schieben können", sagt Perthes. "Die USA haben tatsächlich viel Verantwortung und Schuld getragen. Aber es waren letztlich auch irakische Fraktionen und Gruppen, die aufeinander losgegangen sind."

Blutiger Aufstand gegen die Besatzungstruppen

Der Irak ist gezeichnet von einem jahrelangen Bürgerkrieg, unzähligen Anschlägen des Terror-Netzwerks Al-Kaida und Konflikten über die ölreichen Gebiete des Landes. Nach dem Einmarsch der US-Armee in den Irak und dem Sturz des Diktators Saddam Hussein im Jahr 2003 war das Land im Chaos versunken, vor allem nachdem die Amerikaner ein Besatzungsregime eingerichtet und fast alle ehemaligen Beschäftigten im Staats- und Militärdienst entlassen hatten. Deren Positionen nahmen bisher benachteiligte Schiiten und Kurden ein. Statt einer demokratischen Neuordnung und wirtschaftlichem Aufschwung bewirkte der Umsturz zunächst einen blutigen Aufstand gegen die Besatzungstruppen und Auseinandersetzungen zwischen ethnischen und konfessionellen Gruppen, die zu einer katastrophalen Sicherheitssituation führten. Beinahe täglich gab es Tote; die Schätzungen der zwischen 2003 und 2008 getöteten Zivilisten schwanken zwischen 100.000 und einer Million. Darüber hinaus flohen Millionen Menschen in die Nachbarländer Syrien und Jordanien.

Ein irakischer Arbeiter auf der Ölraffinerie in Basra. Die irakischen Ölraffinerien bilden das Rückrat der irakischen Volkswirtschaft (Foto: DW)
Die irakischen Ölraffinerien - das Rückgrat der irakischen VolkswirtschaftBild: picture-alliance / dpa

Vor allem in den Jahren von 2004 bis 2008 sah es so aus, als hätten Attentäter und Terroristen das Land fest im Griff. Dann änderten die USA ihre Strategie: Sie verbündeten sich mit vielen der von ihnen zuvor als Anhänger Saddam Husseins ausgegrenzten sunnitischen Organisationen und Stämmen und stationierten mehr Soldaten im Irak, zeitweise bis zu 170.000. In den vergangenen drei Jahren hat sich die Lage im Land stabilisiert. "Der extremistische Untergrund ist stark zurück gedrängt worden", sagt Henner Fürtig, Direktor des GIGA Instituts für Nahost-Studien in Hamburg. "Er ist nicht vollkommen verschwunden, aber er ist kein landesweites Phänomen mehr." Nach dem Abzug der amerikanischen Soldaten sollen mehr als 900.000 irakische Armee- und Polizeikräfte die Sicherheit garantieren.

Regionalpolitische Herausforderungen

Trotz der gravierenden Probleme im Land haben die Iraker in den vergangenen Jahren eine demokratische Verfassung verabschiedet und landesweite Wahlen abgehalten – eine Entwicklung, die Fürtig durchaus positiv bewertet. "Bei allen Problemen, Schwierigkeiten und Opfern, die das Land seit dem US-Einmarsch erlebt hat – insgsamt steht der Irak im Jahr 2011 besser da als im Jahr 2003, denn einer der blutigsten Diktatoren im Nahen und Mittleren Osten ist hinweggefegt worden."

Prof. Dr. Volker Perthes (Foto: Stiftung Wissenschaft und Politik)
Vorsichtig optimistisch: Nahostexperte Volker PerthesBild: picture-alliance/dpa

Eine der größten Herausforderungen für den Irak dürfte nun sein, sich außen- und regionalpolitisch zu positionieren. "Wenn sich der Irak in Ruhe entwickeln soll, ist es wichtig, dass er ein gutes Verhältnis zu all seinen Nachbarn hat", sagt Volker Perthes. Mit einer schiitischen Bevölkerungsmehrheit hat der Irak traditionell starke Verbindungen zum überwiegend schiitischen Iran. Als arabischer Staat kann der Irak aber auch die Interessen der Vormacht am Persischen Golf, dem überwiegend sunnitischen Saudi-Arabien, nicht ignorieren. "Auf dem irakischen Territorium spielen sich jetzt auch die Rivalitäten zwischen Iran und Saudi-Arabien ab: Man schafft sich Klientel- und Bündnispartner und lässt sie auch in der irakischen Politik gegeneinander wirken", erklärt Henner Fürtig. "Letztendlich ist der Irak ein wesentlicher Austragungsort der saudisch-iranischen Rivalität." Dieser spiegelt sich auch im konfessionellen Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten im Irak. Für welchen Weg sich die Iraker entscheiden werden und wie demokratisch er sein wird, hängt jetzt ganz von ihnen selbst ab.

Autorin: Anne Allmeling
Redaktion: Daniel Scheschkewitz/Reinhard Kleber