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Politik

Iran im Fadenkreuz

8. Februar 2012

Wird Israel den Iran angreifen? Die Grenze zwischen psychologischer Kriegführung und realen Angriffsplänen ist schwer zu ziehen. Experten halten einen Militärschlag für möglich - und warnen vor einem Flächenbrand.

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Start eines israelischen Kampfjets (Archivbild: dpa)
Start eines israelischen Kampfjets (Archivbild)Bild: picture-alliance/dpa/dpaweb

Der Iran ließ bereits Bodentruppen zu einem Manöver aufmarschieren und drohte mit Vergeltungsschlägen für den Fall eines israelischen Angriffs, als sich der US-Präsident bemühte, die Wogen zu glätten. "Ich glaube nicht, dass Israel eine Entscheidung getroffen hat", sagte Barack Obama am vergangenen Sonntag. Sein Ziel sei eine diplomatische Lösung des Atomstreits.

Angriff im Frühling?

Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad bei einer Parade (Foto: dpa)
Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad bei einer ParadeBild: picture-alliance/dpa

Losgetreten hatte die neuerliche Debatte um einen Angriff auf iranische Nuklearanlagen ein Artikel in der 'New York Times'. Ronen Bergman, der als einer der bestvernetzten Journalisten Israels gilt, hatte darin geschrieben: "Nach Gesprächen mit vielen hochrangigen israelischen Entscheidungsträgern sowie Militär- und Geheimdienstchefs bin ich zu dem Glauben gelangt, dass Israel noch 2012 den Iran angreifen wird." In der Folge hatte die 'Washington Post' unwidersprochen berichtet, der amerikanische Verteidigungsminister Leon Panetta rechne mit einem Angriff zwischen April und Juni.

"Der Verteidigungsminister hat offenbar bessere Quellen als ich", sagt Bergman dazu. Er selbst geht davon aus, dass das iranische Atomprogramm in den nächsten neun Monaten jenen Punkt erreichen wird, an dem es gegen Angriffe "immun" ist - und dass damit der Druck wächst, bald über einen Schlag zu entscheiden. (siehe Link unten: "Israel wird wohl zuschlagen".)

Ehud Barak und Leon Panetta in Tel Aviv (Archivbild: dpa)
Ehud Barak (l.) und Leon Panetta in Tel Aviv (Archivbild)Bild: picture-alliance/dpa

Denn für Israels Regierung ist die nukleare Bewaffnung des Erzfeindes der sicherheitspolitische Alptraum schlechthin. Irans Führung ruft regelmäßig zur Zerstörung des "zionistischen Gebildes" Israel auf und weckt damit Ängste vor einem neuen Holocaust. Zudem bekennt sich Teheran offen zur Unterstützung radikalislamischer Gruppen wie der Hisbollah. Bergman zitiert Israels Verteidigungsminister Ehud Barak mit den Worten, ein nuklear bewaffneter Iran könnte bei der Bekämpfung dieser Gruppen "definitiv unseren Operationsradius einschränken".

Iranische Ängste

Auf der anderen Seite steht ein nicht minder entschlossener Iran. "Ich glaube, dass nahezu jede denkbare iranische Regierung nach Atomwaffen streben würde", sagt Bruce Riedel, ehemaliger Nahost-Experte der CIA und leitender Berater aller vier US-Präsidenten seit George Bush senior. Der Iran sei von Atommächten umgeben: Russland, Israel, Pakistan, Indien und der Fünften Flotte der US-Armee im Persischen Golf. Zudem habe sich in Afghanistan und dem Irak gezeigt, wie wehrlos Staaten in der Region gegenüber Druck und Invasionen aus dem Westen seien. "Eine interessante Parallele bietet auch Libyen", sagt Riedel. "Gaddafi hat sein Atomwaffenprogramm aufgegeben und war dann machtlos, als sich die Nato entschied, Flugverbotszonen einzurichten." Dass Sanktionen, ganz gleich wie scharf, den Iran dazu bringen könnten, sein Atomprogramm aufzugeben, bezweifelt Riedel.

Luftbild der Atomanlage bei Ghom (Foto: dpa)
Luftbild der Atomanlage bei GhomBild: picture-alliance/dpa

Auch in Israel schwindet die Hoffnung, dass Sanktionen den Iran zum Umdenken bewegen könnten. Deshalb wird seit Monaten über das Für und Wider von Militärschlägen gestritten. "Auch die Elite ist gespalten", sagt Gabriel Ben-Dor, Direktor des Zentrums für Studien zur Nationalen Sicherheit in Haifa. "Es ist noch nicht einmal eine Spaltung zwischen Politikern und den Militärs, sondern sie verläuft quer durch beide Gruppen." Zum Teil sei die öffentliche Debatte psychologische Kriegführung. Israel versuche damit, den Iran einzuschüchtern und den Westen zu einem härteren Vorgehen zu drängen. Zugleich sei die Diskussion aber Ausdruck von Ratlosigkeit: "Es gibt keine Einigkeit in diesen fundamentalen Fragen."

Unwägbarkeiten eines Angriffs

Zwar bereitet sich Israels Armee seit langem auf einen solchen Schlag vor, doch ob er Erfolg hätte, ist ungewiss. Das spaltbare Material ist auf verschiedene Orte im Iran verstreut, darunter ein Bunker in der Nähe von Ghom, der rund 70 Meter unter der Erde liegt und auch von Bunkerbrechern nicht zerstört werden kann. Selbst wenn die aus israelischer Sicht positivsten Szenarien einträten, würde das Projekt nur um drei bis fünf Jahre zurückgeworfen. Andere, darunter US-Verteidigungsminister Panetta, gehen von höchstens zwei Jahren aus.

Ajatollah Chamenei warnte im Freitagsgebet vor einem Angriff (Foto: dpa)
Ajatollah Chamenei (l.) warnte im Freitagsgebet vor einem AngriffBild: picture-alliance/dpa

Schlimmstenfalls, so Ben-Dor, werde der Angriff seine Ziele nicht erreichen, aber mit großen israelischen Verlusten und einem iranischen Gegenschlag enden. Welchen Schaden Irans Langstreckenraketen in Israel anrichten könnten, ist unklar. Zu den Unwägbarkeiten gehört auch die Reaktion der vom Iran finanzierten radikalislamischen Organisationen. So verband Irans geistlicher Führer Ajatollah Ali Chamenei am Freitag seine Warnung vor einem Militärschlag mit dem Hinweis, der Iran werde auch in Zukunft jede Gruppe unterstützen, die gegen das "zionistische Regime" kämpfe. Ob sich die Hisbollah im Libanon und die Hamas im Gazastreifen mit ihren Raketen an Vergeltungsschlägen beteiligen würden oder ob dem eigene Interessen entgegenstehen, ist umstritten.

Spekulationen über einen Flächenbrand

US-Soldaten in Afghanistan (Foto: dpa)
US-Soldaten in AfghanistanBild: picture alliance / k89/ZUMAPRESS.com

"Könnte Israel es sich leisten, auf einen Angriff der Hisbollah zu warten oder würde es sich gezwungen fühlen, dem mit einem Präventivschlag zuvorzukommen?", fragt der ehemalige CIA-Mann Riedel. Doch er befürchtet nicht nur eine Ausweitung des Krieges auf den Libanon, sondern auf die gesamte Region. Sein Szenario sieht so aus: Die iranische Führung sieht in dem Angriff mit amerikanischen Jets und amerikanischen Bomben eine amerikanische Operation und schlägt mit Angriffen auf US-Botschaften und Militärbasen in den Nachbarstaaten zurück. Im bislang vergleichsweise ruhigen Westen Afghanistans unterstützt Teheran die Taliban und andere Gruppen. "Der Iran könnte den Krieg in Afghanistan, der bereits schwierig ist, für die Nato und die USA unbeherrschbar machen", glaubt Riedel. Der unweigerlich steigende Ölpreis werde zudem katastrophale Auswirkungen auf die ohnehin fragile Weltkonjunktur haben.

Die USA selbst haben in Zusammenhang mit Teherans Atomprogramm stets betont, dass sie einen Angriff nicht ausschließen. Auch in seinem jüngsten Interview sprach der US-Präsident dies an. "Wir haben uns in den vergangenen Jahren ausführlich mit der Planung aller Optionen befasst, die wir am Golf haben", sagte Obama. "Und wir sind bereit, diese Optionen umzusetzen, falls es notwendig wird."

"Es ist Zeit, Iran anzugreifen"

"Ich glaube nicht, dass der Präsident diese Entscheidung treffen würde, solange er dies nicht unter allen Umständen tun muss", sagt Matthew Kroenig. Der Atomwaffenexperte war bis Juni 2011 als Sonderberater im Büro des Verteidigungsministers für "Strategien und Politik gegenüber dem Iran" verantwortlich und gehört dem Expertengremium "Council on Foreign Relations" an. Mit einem Aufsatz unter dem Titel "Es ist Zeit, Iran anzugreifen" hatte er Anfang des Monats, so das Nachrichtenmagazin Der Spiegel, "Nahostexperten von Teheran bis Tel Aviv aufgeschreckt". Er argumentiert, dass eine diplomatische Lösung kaum mehr vorstellbar sei und daher nur noch die Wahl zwischen einer Atommacht Iran und einem Angriff bestehe. "Das sind entsetzliche Optionen, aber ich glaube, dass ein Militärschlag die am wenigsten schlechte ist", sagt Kroenig. "Angesichts der Tatsache, dass die Vereinigten Staaten überlegene militärische Fähigkeiten haben, sollten sie das tun und nicht Israel, wenn wir uns für diesen Weg entscheiden." Kroenig glaubt, dass ein US-Angriff das Atomprogramm um drei bis zehn Jahre zurückwerfen könnte.

Verteidigungsminister Thomas de Maiziere (Foto: dpa)
Verteidigungsminister Thomas de MaiziereBild: dapd

Obama und Panetta haben gegenüber der israelischen Führung mehrfach klargestellt, dass sie derzeit gegen einen Angriff sind, da dies die diplomatischen Bemühungen um eine Lösung des Konfliktes aus der Bahn werfen würde. Auch die Bundesregierung mahnt zur Zurückhaltung. So warnte Verteidigungsminister Thomas de Maiziere Israel in einem Interview vor "Abenteuern". Henning Riecke, Experte für Atompolitik bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, erinnert daran, dass die Sicherheit Israels zur deutschen Staatsräson gehört: "Wenn Israel militärisch gegen den Iran vorginge, würde Deutschland wohl nicht in die Kritik einstimmen." Sollte Israel in eine kriegerische Auseinandersetzung geraten, sei denkbar, dass sich Deutschland wie nach dem Libanon-Krieg von 2006 an einer internationalen Stabilisierungsmission beteilige.

Glaubt man Bruce Riedel, könnte es allerdings dauern, bis an Stabilisierung überhaupt nur zu denken ist: "Es besteht eine sehr reale Möglichkeit, dass sich ein Konflikt entzündet, der von Beirut bis zum Khyber-Pass in Afghanistan reicht und bei dem die USA die Hauptlast tragen werden, ihn zu beenden."

Autor: Dennis Stute
Redaktion: Thomas Latschan