Iran: Neuer Präsident Peseschkian ohne Macht
8. Juli 2024Massud Peseschkian ist der neue Präsident Irans. Der 70-jährige Herzchirurg gilt als moderat. Politische Erfahrungen sammelte er als Abgeordneter im iranischen Parlament in fünf Legislaturperioden. Zwischen 2001 und 2005 war er Gesundheitsminister unter der Präsidentschaft von Mohammad Khatami.
Dieser unterstützt die Wahlkämpfe von Peseschkian zusammen mit einer reformorientierten Gruppierung. Khatami und Peseschkian fordern eine politische Reform in der Islamischen Republik innerhalb des bestehenden Machtapparats. Sie wollen die Spannungen mit dem Westen abbauen, Geldwäsche und internationalen Terrorismus bekämpfen und politische Gefangene freilassen. Allerdings bekräftigte der neu gewählte Präsident wiederholt, dass er in erster Linie auch ein Hardliner sei, um die Unterstützung des obersten geistlichen Führers Ali Chamenei zu gewinnen.
Viele Analysten glauben, auch Peseschkian werde nur begrenzte Entscheidungsbefugnisse haben. Ob bei der Gestaltung der Außenpolitik, der möglichen Anpassung der Kopftuchpflicht für Frauen in der Öffentlichkeit oder den Verhandlungen über das Atomprogramm - der eigentliche Machthaber Chamenei und die Revolutionsgarden (IRGC) würden das letzte Wort haben.
Kopftuchpflicht bleibt
Im Iran werden die Frauen durch die Anwendung der konservativen Rechtsordnung der Scharia systematisch benachteiligt und unterdrückt. Die Präsidentschaftswahlen 2024 fanden noch im Schatten der flächendeckenden Protestbewegung mit dem Motto "Frau, Leben und Freiheit" statt, die seit 2022 mehr Frauenrechte im Lande einfordert. Viele Menschen kamen dabei ums Leben. Auslöser war der Tod einer jungen Frau, die von der Sittenpolizei festgenommen worden war, weil sie nicht ordnungsgemäß ihr Kopftuch trug. Sie starb im Polizeigewahrsam.
Peseschkian sagt, er sei gegen den Einsatz von Gewalt und Sonderpolizei, um Frauen zum Tragen des Hidschabs zu zwingen. Allerdings ist die Kopftuchpflicht eines der Grundprinzipien der Islamischen Republik. Nach Expertenmeinungen werde der neue Präsident an dieser Situation nichts ändern können.
"Ich bin mir nicht sicher, ob die Wahl von Peseschkian zu einer Verbesserung der Menschenrechte, insbesondere der Frauenrechte, führen wird", sagt Iqan Shahidi von der Universität Cambridge im DW-Interview, denn die "Regeln und Dekrete anderer Abteilungen im iranischen Machtapparat führen zum Ausufern der Menschenrechtsverletzungen im Lande."
So habe zum Beispiel der Oberste Rat der Kulturrevolution 1991 ohne Zustimmung des Präsidialamtes, die im Iran lebende Minderheit der Bahá'í von der Hochschulbildung ausgeschlossen. Der Präsident habe weder die Autorität noch die Kompetenz, Verbesserungen zu erreichen, so Shahidi.
Wachstum schleppend
Der Iran sieht sich mit zahlreichen wirtschaftlichen Problemen und Krisen konfrontiert. Die Inflationsrate liegt fast bei 50 Prozent. Offiziellen Angaben zufolge lebt zudem ein Drittel der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Allein in den letzten 13 Jahren seien elf Millionen Menschen neu in die Armut abgerutscht.
Das Wirtschaftswachstum und damit verbunden die Bekämpfung der Inflation seien die größten Herausforderungen, sagt Hamid Babaei von der IESEG School of Management in Paris im DW-Interview. "Beide Ziele können aber nur in Verbindung mit außenpolitischen Neuausrichtungen und einem ausgeglichenen Haushalt erreicht werden."
"In den letzten 15 Jahren lag das Wirtschaftswachstum praktisch bei fast null Prozent. Die Inflation im Iran ist ein chronisches Problem, das in erster Linie durch das Haushaltsdefizit und die Währungsabwertung verursacht worden ist", fügt Babaei hinzu.
Der neue Präsident Peseschkian versprach im Wahlkampf, er werde sich im Bereich Wirtschaft auf die Themen Inflation und Wachstum konzentrieren. Babaei hält es für sehr unwahrscheinlich, dass diese Versprechen eingehalten werden können. "Die wichtigsten wirtschaftlichen Kennzahlen deuten an, dass der Iran am Anfang einer Abwärtsspirale steht, die kein Präsident kontrollieren kann."
International weiter isoliert
Um sich von der internationalen Isolation zu befreien, will sich Massud Peseschkian für die Aufhebung der internationalen Sanktionen einsetzen und den Gemeinsamen Umfassenden Aktionsplan (JCPOA) zwischen Iran und den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats wiederbeleben. Die Verhandlungen zur Wiederbelebung des JCPOA waren jedoch schon seit Langem ins Stocken geraten.
Der Haken dabei ist, dass der Präsident nicht alleine darüber entscheiden kann. Hinter den Kulissen hat der geistliche Führer Ali Chamenei die Fäden in der Hand. Und schon im Wahlkampf hatte Peseschkian versprochen, Chameneis außenpolitisches Konzept umsetzen zu wollen.
Wie auch im Gazakrieg, in dem die Regierung in Teheran eine Schlüsselrolle einnimmt: Die extremistischen Milizen in der Region werden in dem Krieg als Konfliktparteien gegen Israel vom Iran unterstützt. "Der Oberste Führer Chamenei und andere Sicherheitsinstitutionen der Islamischen Republik haben langfristige Pläne zur Ausweitung des regionalen Einflusses des Irans. Sie wollen diese dafür notwendigen Instrumente einsetzen, um ihre Verhandlungsmacht und ihre Einflüsse zu stärken", so Iqan Shahidi. Und der Präsident habe diese Grundsätze umzusetzen. Und sollten die Spannungen zwischen Israel und der libanesischen Hisbollah eskalieren, könnte der Iran mit Peseschkian als Präsident in einen direkten Krieg mit Israel geraten.
Der Beitrag wurde von Dang Yuan aus dem Englischen adaptiert.