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"Nur bei Folter sind Männer und Frauen gleich"

Sonya Angelica Diehn
27. Oktober 2022

Monireh Baradaran war neun Jahre im Gefängnis in Iran. Seit 1991 lebt sie in Deutschland und erzählt in einem DW-Interview, wie Frauen im iranischen Gefängnis behandelt werden - und was die heutige Bewegung anders macht.

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Iran | Streik in Gefängnis
Im Iran sitzen viele Frauen als politische Gefangene im GefängnisBild: Privat

DW: Wie waren Ihre Erfahrungen im Gefängnis?

Monireh Baradaran: 1981 war die schlimmste Zeit - das war wie ein Albtraum. Ich wurde gefoltert. Ich sah auch die Folterungen der anderen, es war Routine und so brutal.

Es gab Folterungen, Peitschen, Aufhängen - oder ich musste stundenlang sitzen, eine Hand von oben und eine von unten hinter den Rücken gebunden. Das war sehr, sehr, sehr schlimm. Es gab auch seelische Folterungen: völlige Isolation ohne Bewegung, wochenlang, monatelang. Oder eben Schlafentzug.

Monireh Baradaran
War wegen ihrer politischen Überzeugungen ins Gefängnis: Monireh BaradaranBild: Ashkan Norouzkhani

Dann auch Massenhinrichtungen. Mein Bruder wurde da hingerichtet und wir konnten damals auch die Schallwellen von den Kugeln hören und dieses Schießen. Innerhalb von ungefähr vier Monaten wurden laut Berichten von Amnesty International 4000 Menschen erschossen, vielleicht auch mehr.

Vor diesem Hintergrund sind auch die heutigen Masseninhaftierungen so schrecklich. Es macht mir jetzt wieder Sorge, weil so viele Gefangene in verschiedenen Gefängnissen sind, und auch im Ewin. Da wird mein Albtraum wieder lebendig.

Das hört sich unglaublich brutal an. Hat auch sexueller Missbrauch in dieser Zeit stattgefunden?

Man kann von sexueller Nötigung sprechen, aber nicht unbedingt von Vergewaltigung. Vergewaltigung habe ich selbst nicht erlebt. Einzelne Fälle gab es, ich habe davon gehört. Das wussten wir. Vergewaltigung war nicht systematisch, wie zum Beispiel während der Diktatur in Argentinien oder in Chile. Aber es gab Missbrauch, Beschimpfungen und dann auch Folterungen.

Eingang des Evin Gefängnises in Teheran
Das Ewin Gefängnis ist bekannt für MassenhinrichtungenBild: WANA NEWS AGENCY/REUTERS

Wie werden Frauen im Allgemeinen gesehen?

Als Frau in der Islamischen Republik bist du ein Mensch zweiter Klasse. Das heißt, du bist nicht so viel wert wie ein Mann. Aber in Bezug auf Folterungen und Hinrichtungen warst du gleich. In der Ideologie werden Frauen, die Widerstand leisten, wie Kinder angesehen, die man umerziehen muss. Dieser Umerziehungsprozess von Frauen war nur schlimmer.

Zum Beispiel haben wir eine Folterung überlebt, die war nur für Frauen. Die Frauen, die Widerstand leisteten, wurden vollkommen isoliert von der ganzen Welt. Wir konnten nichts sehen, nichts hören, wochenlang, monatelang. Und dann immer sitzen. Das war so schlimm. Und das war ihre Art, uns umzuerziehen.

Szenen aus den jüngsten Protesten im September und Oktober 2022 im Iran
Frauen im Iran, die ihren Kopftücher abnehmen - ein folgenreicher ProtestBild: UGC

Waren die Menschen traumatisiert? Mussten Sie sehr lange die emotionalen Folgen aufarbeiten? 

Viele Freundinnen haben Therapie gemacht. Wenn ich zurückdenke, was uns damals geholfen hat, das alles zu überleben, dann war das unsere Solidarität. Ich habe dreimal monatelange Einzelhaft erlebt. Aber trotzdem: Diese Gemeinsamkeit, diese Solidarität hat sehr, sehr geholfen. Und dann auf der anderen Seite bin ich ein anderer Mensch geworden, nachdem ich meine Erinnerungen aufgeschrieben hatte.

Sie hatten gesagt, dass Sie jetzt Angst haben, weil jetzt so viele Frauen ins Gefängnis kommen. Meinen Sie, es wird wieder so schlimm wie damals?

Manchmal habe ich Angst, dass es so wird. Diese Gefangenen sind Geiseln für die Islamische Republik. Ich hoffe, sie machen keine Hinrichtungen wie damals in den achtziger Jahren. Ich frage mich, wenn es so weitergeht, ob eine solche dunkle Zeit sich wiederholt. Aber ich mache mir Hoffnungen, weil die Zeiten anders geworden sind. Trotzdem habe ich diese Angst aufgrund meiner eigenen Erfahrung.

Massenprotest 40 Tage nach dem Tod von Jina Mahsa Amini
40 Tage nach dem Tod von Jina Mahsa Amini gehen die Menschen in verschiedenen Städten im Iran erneut auf die StraßeBild: UGC/AFP

Ich bin mit ganzem Herzen für diese Bewegung im Iran. Die Menschen warten nicht auf Gesetzänderungen - die wissen, dass dieses islamische Gesetz nicht einfach endet, die Schleier, die Geschlechtertrennung. Sie machen es selber - es ist so schön, wie sie die Schleier abnehmen und tanzen. Das war immer ein Traum, und jetzt wird er verwirklicht. Das ist eine Besonderheit an dieser Bewegung, das macht mir große Hoffnung.

Wenn wieder Menschen in Massen im Gefängnis eingesperrt würden, was wären dann die Konsequenzen?

Es könnte zu einer Eskalation führen. Die Protestierenden waren bisher friedlich und ohne Gewalt. Aber wenn die Wut zunimmt, könnte man Blut sehen. Andererseits könnte die Bewegung mit der Zeit untergehen.

Und deswegen ist mein Anliegen an die deutschen Behörden: Wenn es Druck von außen gibt, dann kann die iranische Regierung nicht machen, was sie an Gewaltexzessen in den Achtzigern gemacht hat.

Monireh Baradaran ist Autorin, Soziologin und Menschenrechtsaktivistin. Sie hat das Buch "Erwachen aus dem Albtraum" geschrieben, in dem sie an ihre Zeit im iranischen Gefängnis erinnert. Das Buch wurde in mehrere Sprachen übersetzt und hat 1999 die Carl-von-Ossietzky-Medaille gewonnen.

Das Interview führte Sonya Diehn.