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Neue Ordnung am Golf?

Kersten Knipp15. Juli 2015

Nach der Unterzeichnung des Atomabkommens in Wien blickt Saudi-Arabien mit Sorge in die Zukunft. Es fürchtet einen übermächtigen Iran. Doch das Verhältnis der beiden Regionalmächte könnte sich auch anders entwickeln.

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Abschluss der Atomverhandlungen in Wien, 14.07.2015 (Foto: Reuters)
Bild: Reuters/C. Barria

Die in Wien unter das Atomabkommen gesetzten Unterschriften bewirken in Saudi-Arabien vor allem eines: Kopfschmerzen. Kopfschmerzen, die der Sorge um die nationale Zukunft entspringen. Das Abkommen, behauptet jedenfalls die in Riad erscheinende Tageszeitung "Al-Dschasira" (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Fernsehsender aus Katar), werde iranische Atomwaffen langfristig nicht verhindern. Auf jeden Fall aber würden Irans bislang im Westen eingefrorene Dollars in das Land zurückkehren. "Und von dort fließen sie an das Assad-Regime in Syrien sowie an schiitische Gruppen im Irak, im Libanon und im Jemen. Auf diese Weise kann der Iran weiter terroristische Regimes unterstützen. Dies wird auf die arabischen Staaten ganz erhebliche Auswirkungen haben".

Es ist kein sonderlich optimistisches Szenario, das die saudische Zeitung am Tag nach der Unterzeichnung des Abkommens entwirft. Und angesichts der wenig ausgebildeten Pressefreiheit im saudischen Königreich - im Jahresranking von "Reporter ohne Grenzen" steht Saudi-Arabien auf Rang 165 von 174 Plätzen insgesamt - darf man annehmen, dass diese Einschätzung sich von derjenigen der Regierung kaum unterscheidet.

Ein "desaströses Erbe"?

Tatsächlich hat sich Saudi-Arabien immer wieder gegen das Atomabkommen ausgesprochen. Das Königreich fürchtet, der Iran lasse sich in seinem regionalen Hegemonialstreben als international anerkannte Macht überhaupt nicht mehr zügeln. Ähnlich sieht es auch die von einem saudischen Finanzier unterhaltene Tageszeitung "Al Hayat". Sie spricht von einem "desaströsen Erbe", das Obama der Region hinterlasse. Und auch sie erwartet den Anstieg eines schiitischen Extremismus, den sie etwa in der libanesischen Hisbollah und den jementischen Huthis verkörpert sieht.

Außenminister John Kerry & bin Faisal bin Abdulaziz Al Saud, 05.03. 2015 (Foto: Reuters)
Alte Verbündete: die USA und Saudi-Arabien (hier US-Außenminister Kerry und sein ehemaliger Amtskollege Saud bin Faisal)Bild: Reuters/E. Vucci

In gewisser Weise sind die saudischen Sorgen schlüssig: Der Iran unterstützt den syrischen Diktator Baschar al-Assad, finanziell ebenso wie militärisch. Zudem ist auch sein libanesisches Geschöpf, die Hisbollah, auf Seiten al-Assads in die Kämpfe verwickelt. Ebenso ist der Iran im Irak präsent, wo er die Terrorgruppe "Islamischer Staat" bekämpft – und sich zugleich, so die saudische Sorge, für die weitere Vormachtstellung der ohnehin bereits regierenden Schiiten einsetzt. Auch die Huthis im Jemen unterstütze er, so die saudischen Vorbehalte.

Was Saudi-Arabien aber verschweigt, ist der Umstand, dass das Königreich dasselbe tut - wenngleich auf entgegengesetzter, also sunnitischer Seite. Auch Saudi-Arabien ist in Syrien präsent, wo es sunnitische Extremisten unterstützt. Und dem Jemen hat es gar einen internationalen Krieg aufgezwungen. Zudem fördert und exportiert das Land eine extremistische Auslegung des Islam, die der des "Islamischen Staats" (IS) sehr nahe kommt. Teils sind saudische Gesetze und Verlautbarungen des IS oder von Al-Kaida im Wortlaut nahezu identisch. Saudi-Arabien, so die englische Tageszeitung The Guardian, "ist Quelle eines besonders giftigen Islamismus, fanatischer Prediger und junger Männer, die durch ihre Kampfbereitschaft den Westen und den Nahen Osten bedrohen."

Ein Öltanker in der Straße von Hormus, 15.01.2012 (Foto: dpa)
Ein Öltanker in der Straße von HormusBild: picture-alliance/dpa

Chancen für die Region

Die Vorbehalte, die Saudi-Arabien gegenüber dem Atomabkommen äußert, sind nicht zwingend überzeugend. Denn es lassen sich auch ganz andere Szenarien denken. So weist die Nahostexpertin Jane Kinninmont vom britischen Think Tank Chatham House darauf hin, dass der Iran Interesse daran hat, seinen schlechten Ruf loszuwerden. Deshalb könne Teheran darüber nachdenken, eine entsprechend konstruktive Außenpolitik zu pflegen. Die könnte dazu führen, dass der Iran ein partnerschaftliches Verhältnis zu Saudi-Arabien und den übrigen Golfstaaten entwickelt.

Dieses, auch darauf weist Kinninmont hin, besteht in Teilen schon jetzt. So hat etwa Oman seit langem ein gutes Verhältnis zum Iran. Das Sultanat hat im Jahr 2013 diplomatische Mittlerdienste zwischen den USA und dem Iran geleistet – die nun mit zum Abschluss des Abkommens beitrugen. Auch Dubai unterhält seit Jahren Geschäftsbeziehungen zum Iran – ebenso wie Saudi-Arabiens engster Verbündeter Bahrain.

Vor allem aber, schreibt Kinninmont, haben Saudi-Arabien und der Iran durchaus auch gemeinsame Interessen. So könnten beide Staaten dafür eintreten, den seit Ausbruch des Kriegs in Syrien stark angestiegenen religiösen Extremismus – sunnitischer ebenso wie schiitischer Art – wieder einzudämmen. Auch könnten sie gemeinsam gegen den Dschihadismus nach Art des IS und der Al-Kaida kämpfen. Denn der richtet sich gegen beide Staaten. So sieht insbesondere der IS in allen Schiiten - und damit auch im Iran - "Abtrünnige", die es zu bekämpfen gilt. Al-Kaida hingegen bestreitet die Legitimität des saudischen Königshauses - unter anderem wegen der Militärbasen, die das Land den USA zur Verfügung stellt. Aber auch der IS hat Saudi-Arabien bereits angegriffen.

Wachsendes Vertrauen möglich

Gelänge es hier, eine gemeinsame Linie zu finden, könnte zwischen Saudi-Arabien und dem Iran ein tiefer reichendes Vertrauen wachsen. Läuft alles gut, ließe sich auf dieser Grundlage langfristig dann die gesamte Region befrieden. Das käme auch der Schifffahrt im Arabischen Meer und dem Persischen Golf zugute, über den ein großer Teil des weltweit gehandelten Öls verschoben wird. An geregelten Abläufen dort dürften ebenfalls beide Staaten Interesse haben.

Syrien IS-Kämpfer
Feind Irans und Saudi-Arabiens: der "Islamische Staat"Bild: picture-alliance/Balkis Press

Zwar lassen die USA ihre bisherigen Verbündeten auf der arabischen Halbinsel nicht fallen. Klar ist aber auch, dass sie den Iran als politischen, ökonomischen und strategischen Partner aufwerten. Diese Aufwertung, schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung, hat das saudische Königreich zu Teilen selbst provoziert: "Iran wird ( von den USA, die Red.) als Gegengewicht zu Saudi-Arabien benötigt, dessen Politik immer weniger mit westlichen Interessen übereinstimmt".