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KonflikteSaudi Arabien

Iran und Saudi-Arabien: Vorsichtige Annäherung

5. November 2024

Die beiden rivalisierenden Regionalmächte setzen nach Jahren der Spannungen die Normalisierung ihres Verhältnisses fort. Es sind kleine Schritte - und Rückschläge bleiben jederzeit möglich.

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Der iranische Außenminister Abbas Araghchi (links) im Gespräch mit seinem saudischen Amtskollegen Faisal bin Farhan Al Saud, Riad, Oktober 2024. Auf dem Tisch sind die beiden Landesflaggen in einem Blumengesteck befestigt
Der iranische Außenminister Abbas Araghchi (l.) im Gespräch mit seinem saudischen Amtskollegen Faisal bin Farhan Al Saud, Riad, Oktober 2024Bild: isna

Entspannung am Golf: Iran und Saudi-Arabien wollen ihren vorsichtigen Annäherungskurs offenkundig fortsetzen. Nachdem sich die beiden langjährigen Rivalen im Frühjahr 2023 unter chinesischer Vermittlung erstmals einander angenähert hatten, wollen sie das neue Verhältnis vertiefen. Darauf deutet unter anderem die kürzlich seitens Iran verlautbarte Erklärung über ein gemeinsames Seemanöver mit Saudi-Arabien hin. 

Auf eine Vertiefung der Beziehungen deutet auch der Besuch des iranischen Außenministers Abbas Araghchi Anfang Oktober in Riad hin. Araghchi traf dort unter anderem den saudischen Kronprinzen und eigentlichen Machthaber im saudischen Königshaus, Mohammed bin Salman (MbS). 

Der saudische Außenminister Prinz Faisal bin Farhan Al Saud (l) mit seinem  damaligem iranischen Amtskollegen Hossein Amir-Abdollahian in Peking, April 2023. Im Hintergrund die beiden Landesflaggen
Versöhnungstreffen: Der saudische Außenminister Prinz Faisal bin Farhan Al Saud (l.) mit seinem damaligem iranischen Amtskollegen Hossein Amir-Abdollahian in Peking, April 2023Bild: Iran's Foreign Ministry/WANA/REUTERS

Schwierige Vergangenheit 

Nicht immer war das Verhältnis der beiden Länder so auf Annäherung ausgerichtet - insbesondere seit der iranischen Revolution 1979 galten die Beziehungen beider Regionalmächte als schwierig.

Grundlage der Spannungen war ursprünglich ein unter anderem grundlegend anderes Verständnis von der politischen Rolle der Religion: Der Iran praktizierte nach 1979 lange ein sozialrevolutionäres Verständnis des Islam und positionierte sich unter anderem als Führungsmacht aufständischer Schiiten in der Region.

Das sunnitisch geprägte saudische Königshaus setzt dagegen bis heute vor allem auf eine machtwahrende Rolle der Religion. Es gründet seinen Führungsanspruch in der Region auf den Islam und seine Rolle als "Wächter" der heiliger Stätten in Mekka und Medina. 

Die unterschiedlichen Positionen wurden vor allem in der Zeit des sogenannten Arabischen Frühlings ab 2011 offenkundig: Damals fürchtete Riad, der Iran könne die Protestbewegungen auf der arabischen Halbinsel fördern, diese politisch prägen und instrumentalisieren.

Bis heute - und das bereits seit mehreren Jahren - stehen sich beide Staaten zudem trotz aller Annäherungsrhetorik indirekt im Jemen gegenüber, wo die radikal-schiitische Huthi-Miliz die Regierung des jemenitischen Präsidenten Abed Rabbo Mansur Hadi zu stürzen versuchte und dabei weite Teile des Landes unter ihre Kontrolle brachte.

Während der Iran die Huthi unterstützte, bekämpfte Saudi-Arabien die Aufständischen an der Spitze einer überwiegend aus sunnitisch geprägten Staaten bestehenden Koalition, die auch vom Westen, vor allen den USA, unterstützt wurde. Auch hierbei galt es als wichtiges Motiv, den iranischen Einfluss zurückzudrängen.

Saudische Interessen

Dennoch habe die nun laufende Annäherung aus saudischer Sicht mehrere Vorteile, sagt Sebastian Sons, Golfstaaten-Experte beim Bonner Think Tank Carpo. So sei man sich in Riad nach den iranischen Angriffen auf seine Erdölanlagen im Jahr 2019 bewusst geworden, dass man sich auf die USA nicht durchweg verlassen könne und man die Probleme mit dem iranischen Nachbarn aus eigener Kraft lösen müsse.

Zudem, so Sons im DW-Gespräch, sehe man in Riad Stabilität in der Region als Voraussetzung einer erfolgreichen Wirtschaft, die aus der einseitigen Abhängigkeit vom Erdöl geführt werden soll. Regionale Stabilität setze auch ein geordnetes Verhältnisses zum Iran voraus, meint Sons. 

"Und schließlich will man in Riad auch den Konflikt im Jemen und insbesondere den Beschuss saudischen Territoriums durch die Huthi endgültig beenden", so Sons. "Insofern hofft man auf den Einfluss Irans auf die Miliz."

Allerdings sei offen, welchen Einfluss Iran auf die Huthi habe, sagt Hamidreza Azizi, Iran-Experte bei der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). "Es scheint mir unwahrscheinlich, dass der Iran den Huthi jeden ihrer Schritte zu diktieren vermag. Allerdings nehmen beide Seiten, der Iran wie die Huthi, die Interessen des jeweils anderen wahr. Und das mag zur Fortsetzung des Waffenstillstands im Jemen beitragen."

Kämpfer der jemenitischen Huthi-Miliz bei einer Kundgebung in Sanaa, Oktober 2024. Sie strecken ihre Waffen nach oben
Verbündete des Iran am Golf: Kämpfer der Huthi-Miliz im Jemen zeigen ihre Waffen, Oktober 2024Bild: MOHAMMED HUWAIS/AFP

Iranische Anliegen

Auch der Iran verfolge mit der Annäherung an Riad konkrete Interessen, so Azizi im DW-Gespräch. Zunächst gehe es dem Land darum, die Folgen des westlichen Sanktionsregimes sowie des eigenen ökonomischen Missmanagements abzufedern.

"Die ökonomische Situation hat den Ruf des Regimes natürlich zusätzlich belastet. Die Iraner zweifeln an dessen Fähigkeit, das Land effektiv zu regieren."

Weil sich die Regierung zudem in der Atomfrage mit dem Westen nicht einigen konnte, suche sie seit geraumer Zeit andere internationale Wirtschaftskontakte, wie etwa BRICS und die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit. "Demselben Ziel dient nun auch das erneuerte Verhältnis zu Saudi-Arabien."

Zudem gehe es dem Iran um seine Sicherheitsbelange. Bereits vor der  Annäherung zwischen Israel und Saudi-Arabien habe man in Teheran mit Sorge beobachtet, wie Israel seine Kontakte systematisch ausgebaut habe.

Aus iranischer Sicht habe auch eine Normalisierung zwischen Israel und Saudi-Arabien gedroht: "So hat man in Teheran eine anti-iranische Allianz befürchtet. Die wollte man verhindern. Und als bestes Mittel dagegen erscheint in Teheran, Riad selbst die Hand auszustrecken", so Azizi. 

Zurzeit sei aber die bis zum Terrorangriff der Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023 angestrebte Normalisierung mit Israel für Saudi-Arabien nicht mehr aktuell, bemerkt Sons. Zur Voraussetzung einer solchen Normalisierung habe man sich in Riad zwischenzeitlich für eine Zweistaatenlösung ausgesprochen - für Israel zumindest gegenwärtig keine Option. 

Kein "Entweder - Oder" 

Allerdings wolle sich Saudi-Arabien weder gegen Israel wenden, noch den Eindruck erwecken, es wende sich mit der Annäherung an Teheran stärker vom Westen ab: "Riad verfolgt keine Politik des Entweder - Oder. Das Land will sich keinem Lager zuschlagen lassen, sondern strebt eine strategische Autonomie an."

Generell wolle Saudi-Arabien als Brückenbauer wahrgenommen werden, so Sons. Das Königreich biete sich als Vermittler an, der mit allen anderen Akteuren auch im Gespräch bleibe.

"Eine ähnliche Funktion übernimmt ja auch Katar. Saudi-Arabien ist zwar traditionell zurückhaltender, scheint sich nun aber als Akteur zu positionieren, der die Gesprächskanäle zu Teheran offen hält."

Damit setze das Land seinen bisherigen Kurs fort. "Nachrichten der Amerikaner an die Iraner wurden ja bereits bislang über die Saudis kommuniziert. Das wird in Zukunft ein wichtiger Bestandteil saudischer Regionalpolitik und Diplomatie sein."

Ähnlich sieht es Hamidreza Azizi. Die Verbesserung der iranisch-saudischen Beziehungen könne langfristig die Stabilität der gesamten Region fördern. Man habe in Teheran "offenbar verstanden, dass eine Annäherung im Interesse aller Beteiligten ist."  

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DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika