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Politik

Wahl ohne Begeisterung

Anja Koch
20. Februar 2020

Am Freitag sind knapp 60 Millionen Iraner aufgerufen, über ein neues Parlament abzustimmen - doch das Interesse ist gering. Frust und Perspektivlosigkeit beherrschen das Land. Anja Koch berichtet aus Teheran.

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Iran Teheran | Wahlplakate
Bild: Anja Koch

Es ist später Nachmittag im Süden Teherans, die Sonne taucht das Eingangstor zum Großen Basar in goldenes Licht. Wenige Schritte entfernt, auf einem Sockel, steht Mohammad Rostami, in den Händen ein großes Plakat mit seinem Konterfei. Er ist einer von mehr als 7000 Kandidaten, die sich um einen Sitz im iranischen Parlament bewerben. Den Trubel rund um den Basar nutzt er, um möglichst viele potentielle Wähler auf sich aufmerksam zu machen. "Ich mache das so, weil ich überzeugt bin, dass man nur mit seinem eigenen Geld Wahlkampf machen sollte", sagt Rostami. Um ihn herum hat sich eine kleine Traube gebildet, um die 15 Passanten wollen wissen, wer der Mann ist.

Viele Kandidaten sind den Wählern unbekannt

Es ist ein seltenes Ereignis in diesem Wahlkampf, der ansonsten kaum sichtbar ist. Große Veranstaltungen gibt es so gut wie nicht, die wenigen, die stattfinden, sind schlecht besucht. An den Wahlplakaten gehen die meisten Iraner achtlos vorbei, und rund um den Großen Basar erzählen viele, dass sie ihre Stimme nicht abgeben werden. "Ich habe immer gewählt", sagt ein Mann am Kebab-Shop, "aber ich mache das nicht mehr." Noch deutlicher wird ein Passant: "Wählen gehen? Da könnte ich mir auch gleich in Arme und Beine schneiden - der Wächterrat hat doch schon vorher festgelegt, wer antreten darf und wer nicht".

Iran Teheran | Kandidat Mohammad Rostami bei Wahlkampf
Mohammad Rostami bewirbt sich als einer von rund 7000 Kandidaten um einen Sitz im ParlamentBild: Anja Koch

Tatsächlich wurden von 16.000 Kandidaten von vornherein etwa 9000 abgelehnt - auch einige Abgeordnete des Parlaments dürfen nicht wieder antreten. Die restlichen 7000 Kandidaten sind vielen Wählern unbekannt - und sie tun wenig dafür, das zu ändern.

Am Abend laden vier Reformer zu einer Pressekonferenz ein. Die Reformer gelten als die eher Liberalen in der Islamischen Republik. Viele der abgelehnten Kandidaten kommen aus diesem Spektrum. Die vier Männer, sie alle wollen ins Parlament, haben sich in einem kleinen Raum versammelt. Um die 30 Stühle gibt es, dazu Tee und Gebäck. Die Kandidaten reden über komplizierte Details eines Anti-Korruptionsgesetzes. Wofür sie stehen, was sie verändern wollen in ihrem Land, bleibt offen. Nicht einmal die eigens aufgehängten Banner verkünden eine Vision: "Wir müssen Hand in Hand arbeiten" steht da nur.

Iraner spüren täglich die schlechte wirtschaftliche Lage

Dabei gäbe es viel, was den Iranern auf dem Herzen liegt. Die Wirtschaft liegt seit einiger Zeit am Boden. Die Sanktionen der USA haben dazu beigetragen, dass die Währung massiv an Wert verloren hat und selbst Dinge des täglichen Lebens für einige unerschwinglich geworden sind. "Die Leute hier überlegen genau, wie oft in der Woche sie noch Fleisch kaufen. Oft landen eher Kartoffeln auf dem Teller", erzählt ein Verkäufer auf dem Großen Basar. Der 37-Jährige will seinen Namen nicht nennen, sein Bruder rät ihm noch davon ab, mit einer Journalistin zu sprechen. Trotzdem erzählt er, dass seine Angestellten nur noch von der Hand in den Mund leben. "Manche müssen an ihr Erspartes ran, um überhaupt Benzin kaufen zu können", sagt er weiter. Im vergangenen Jahr hat die iranische Regierung Benzin rationiert. 60 Liter darf jeder Autobesitzer pro Monat kaufen. Wer mehr braucht, zahlt den dreifachen Preis.

Iran Teheran | Basar
Der Große Basar in TeheranBild: Anja Koch

Ein paar Meter weiter steht ein 41-jähriger Mann in seinem Geschäft. Die Regale sind bis oben voll mit Herrenunterwäsche, T-Shirts, Schlafanzügen - doch Kunden sind keine da. "Um 50 Prozent ist unser Geschäft im vergangenen Jahr eingebrochen", erklärt er, auch er will seinen Namen nicht nennen. "Bald ist bei uns das Neujahrsfest, da haben die Kunden gleich mal fünf Shirts gekauft, heute kaufen sie vielleicht noch eins." Er und seine Familie haben in den vergangenen Monaten von Erspartem gelebt, nun aber seien die Reserven aufgebraucht. Wie es weitergeht, weiß er nicht. Vom Parlament jedenfalls erwartet er nichts, andere Iraner denken ähnlich. Sie schimpfen über Abgeordnete, die angeblich im Luxus leben, während der Alltag der meisten Menschen immer härter werde. Eins steht für den 41-Jährigen fest: "Ich gehe nicht wählen. Wofür auch? Es ändert sich sowieso nichts."