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Iran: Wöchentlicher Hungerstreik gegen Todesstrafe

10. Oktober 2024

Seit Monaten treten politische Gefangene im Iran jeden Dienstag in einen Hungerstreik, um gegen die Todesstrafe zu protestieren. Die Zahl der Hinrichtungen ist in den letzten 12 Monaten um über 20 Prozent gestiegen.

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Bei einer Protestaktion in Köln sind zwei Galgenstricke vor mehreren iranischen Flaggen zu sehen
Laut Amnesty International wurde die Todesstrafe im Jahr 2023 weltweit in 20 Ländern vollstreckt. Bild: Christoph Hardt/Geisler-Fotopress/picture alliance

Der 10. Oktober ist der europäische Tag und auch der Welttag gegen die Todesstrafe. Ziel des Aktionstages ist es, die Todesstrafe weltweit abzuschaffen. Aus diesem Anlass startete die in Norwegen ansässige NGO "Iran Human Rights (IHR)" ein 24-stündiges Live-Programm in den sozialen Netzwerken, um die internationale Aufmerksamkeit auf die vielfache Verhängung und Vollstreckung der Todesstrafe im Iran und die wöchentlichen friedlichen Proteste dagegen in den iranischen Gefängnissen zu lenken. Das Programm begann am Dienstag, 9. Oktober, mit der Lesung eines Briefes, den die iranische Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi im Evin-Gefängnis geschrieben hat und der aus dem Gefängnis schmuggelt wurde. 

Narges Mohammadi, die unter anderem wegen ihres friedlichen Engagements gegen die Todesstrafe inhaftiert ist, hat vor 37 Wochen eine wöchentliche Protestaktion gegen die Todesstrafe mit-initiiert und tritt seitdem mit anderen politischen Gefangenen jeden Dienstag in den Hungerstreik. Diese Aktion hat sich landesweit ausgeweitet und wird laut Menschenrechtsorganisationen derzeit in 22 Gefängnissen durchgeführt.

"Helfen Sie uns, die Hinrichtungsmaschinerie zu stoppen"

"Wir brauchen die globale Unterstützung von Menschenrechtsaktivisten, um die Hinrichtungen im Iran zu beenden", schreibt Narges Mohammadi in ihrem Brief und appelliert: "Helfen Sie uns, die Hinrichtungsmaschinerie zu stoppen."

Laut Statistiken der "Human Rights Activists News Agency" (HRANA) ist die Zahl der Hinrichtungen im Iran zwischen dem 10. Oktober 2023 und dem 8. Oktober 2024 im Vergleich zu den vorangegangen zwölf Monaten (Oktober 2022 bis Oktober 2023) um 23,06 Prozent gestiegen. In diesem Zeitraum wurden mindestens 811 Menschen hingerichtet.

Norwegen Oslo 2023 | Ausstellung Nobel Peace Center | Friedensnobelpreis, Porträt von Narges Mohammadi
Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi hat die Protestaktionen vor über einem halben Jahr begonnenBild: Sergei Gapon/Anadolu/picture alliance

HRANA ist eine inoffizielle Nachrichtenagentur, die mit der Unterstützung von Aktivisten innerhalb und außerhalb des Landes Menschenrechtsverletzungen im Iran erfasst und dokumentiert. Laut HRANA wurden vom 10. Oktober 2023 bis zum 8. Oktober 2024 186 weitere Menschen zum Tode verurteilt. 59 dieser Todesurteile wurden demnach vom Obersten Gerichtshof bestätigt.

Laut der Menschenrechtsorganisation Amnesty International wurden im Jahr 2023 fast drei Viertel aller weltweit registrierten Hinrichtungen im Iran durchgeführt: die Organisation zählt für diesen Zeitraum sogar mindestens 853 Fälle. Im gleichen Jahr wurden weltweit insgesamt mindestens 1.153 Todesurteile registriert. Das ist die höchste Zahl seit 2015.

"Uns liegen die Namen von 47 weiteren Menschen vor, die in den vergangenen zwölf Monaten ebenfalls hingerichtet wurden, aber nicht in den offiziellen Zahlen mitgerechnet wurden", sagte Mahmood Amiry-Moghaddam, Direktor der in Norwegen ansässigen Organisation "Iran Human Rights" (IHR), im Mai im Gespräch mit der DW.

"Wir haben diese Namen nicht veröffentlicht, da wir keine zweite unabhängige Quelle finden konnten, die diese Hinrichtungen bestätigen konnte." Nicht jede Familie wendet sich an Menschenrechtsorganisationen, um Hinrichtungen zu melden. Viele Hinterbliebene schweigen aus Angst um ihre Sicherheit oder aus Scham.

Minderheit besonders oft betroffen

Menschenrechtsaktivisten prangern den unverhältnismäßigen Einsatz der Todesstrafe gegen die kurdische im Westen und die belutschische Minderheit im Südosten des Iran an. Die Mehrheit der Belutschen und Kurden im Iran gehört dem sunnitischen Islam an, während die iranische Gesamtbevölkerung überwiegend schiitisch ist. Diese ethnischen und religiösen Minderheiten, die in wirtschaftlich benachteiligten Regionen des Landes leben, beklagen seit langem gezielte Diskriminierungen und systematische Menschenrechtsverletzungen.

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Laut Amnesty International wurden über 60 Prozent der dokumentierten Hinrichtungen im Iran für Vergehen vollstreckt, die nach internationalem Recht nicht mit der Todesstrafe geahndet werden dürfen, insbesondere Drogendelikte. Diese Hinrichtungen betrafen überproportional häufig die belutschische Minderheit, die überwiegend im Südosten des Landes lebt, einer Region, die durch mangelnde Investitionen in die Infrastruktur und weitverbreitete Armut geprägt ist. Obwohl die Belutschen nur etwa fünf Prozent der iranischen Bevölkerung ausmachen, entfielen auf sie 20 Prozent der registrierten Hinrichtungen.

Nicht eingeflossen in die von Amnesty International erfasste Gesamtzahl der Hinrichtungen im Jahr 2023 sind Todesurteile, die in China vollstreckt wurden. Die Zahl der Hinrichtungen wird dort als Staatsgeheimnis behandelt. Dasselbe gilt auch für Exekutionen in Vietnam und Nordkorea. Auch dort geht Amnesty International davon aus, dass die Todesstrafe in großem Umfang angewandt wurde. Die meisten bekannt gewordenen Hinrichtungen fanden in China (Tausende), Iran (mindestens 853) sowie Saudi-Arabien (172) statt.