Iranisch-deutsches Roadmovie "Bandar Band"
18. September 2020Wasser, Wasser, soweit das Auge reicht. Trübe Fluten rollen mit sanften Wellen auf die Kamera zu. Ein einsamer Strommast hält sich aufrecht. Ein Boot kommt aus der Ferne angefahren. Erst als die Insassen aussteigen, erkennt man das Ufer, wo sie anlanden: eine völlig überschwemmte Autostraße. Ausnahmezustand im Südwesten des Iran.
Ein Kleinbus pflügt vorsichtig durch die Fluten, hält an. Die drei steigen ein. Im Autoradio verkündet der Nachrichtensprecher: "Hochwasserwarnung für die iranische Provinz Khuzestan." In der Region mussten bereits Straßen gesperrt, Ortschaften evakuiert werden.
Der Kamerablick durch die Frontscheibe offenbart, was sich hier in der Realität abspielt: Menschen flüchten in vollgepackten Autos, LKWs drängen sich Stoßstange an Stoßstange, Hirten versuchen eine panische Schafherde durch die dicht gedrängte Fahrzeugkolonne zu treiben.
Wirklichkeit contra Drehbuch
Geplant hatte die iranische Regisseurin Manijeh Hekmat, die mit ihren Filmen auch schon auf der Berlinale vertreten war, eine Art Roadmovie: Drei junge Musiker aus der Provinz machen sich auf den Weg zu einem Wettbewerb in der Hauptstadt - voller Hoffnung und mit ganz großen Träumen von einer internationalen Karriere. Auf den 400 Kilometern bis Teheran bestehen sie laut Drehbuch ein paar witzige Abenteuer. So der Plan.
Aber starke Unwetter im Iran machten der erfahrenen Regisseurin einen Strich durch den Drehplan. Vom ursprünglichen Plot blieben nur zwei Drittel übrig, der Rest musste unterwegs immer wieder improvisiert werden, erzählt die Berliner Koproduzentin Yasmin Khalifa im DW-Gespräch.
"Es gibt ja im Film diese Situation, wo sie Hilfslieferungen mitnehmen müssen, weil sie sonst nicht weiterfahren dürfen. Das ist in echt passiert. Das waren alles Dinge, die nicht geplant waren. Aber die Wirklichkeit hat das Script mit inspiriert. Und je nach Geistesgegenwart haben sie das dann auch mitgedreht."
Landschaftsbilder wie Gemälde
"Let's go straight to Teheran", gibt im Film Amir lachend am Steuer des Kleinbusses die Parole vor. Aber das stellt sich als frommer Wunsch heraus. Sängerin Mahla, hochschwanger, ruft vorsichtshalber den Veranstalter an: "Yes, the show starts at 6 p.m. We are coming as fast as we can", verspricht sie ins Mobiltelefon: Ja, man komme, so schnell es gehe, die Show starte um 18 Uhr. Vor ihnen Wasser, nichts als Wasser, die Straße endlos überflutet. Die Stimmung im Bus wird immer ausgelassener.
Mahla und Gitarrist Navid schauen sich auf einem Tablet Musikvideos der konkurrierenden Bands an: nur Frauen als Sängerinnen am Mikrofon. Im Iran alles andere als selbstverständlich, sagt Yasmin Khalifa, die Koproduzentin in Deutschland. "Mahla ist Sängerin und die beiden Musiker begleiten sie. Dahinter steckt, dass Frauen im Iran öffentlich nicht solo singen dürfen. Das ist sozusagen ein geheimer Wettbewerb, wo die drei hinfahren. Wo die Frauenstimmen sich auf der Bühne präsentieren können."
Draußen vor den Fenstern des Kleinbusses gleiten Landschaftsbilder vorbei - wie gemalt. Endlose Weiten, schmale Baumreihen spiegeln sich wie ein grünes Band im Wasser, der Horizont blassblau verschwommen. Der Blick von Mahla folgt der vorbeiziehenden Landschaft. Sie horcht gedankenverloren in sich hinein, streichelt zärtlich ihren gewölbten Schwangerenbauch.
Das Ziel in weiter Ferne
Eine Polizeisperre mitten auf der Straße stoppt die Fahrt. Alle schreien wild durcheinander. "Wir müssen dringend nach Teheran, wir haben eine schwangere Frau im Wagen", wirft Amir, der Fahrer und werdende Vater, als Argument in die Waagschale. Die Polizisten zeigen sich unbeeindruckt. Es scheint kein Durchkommen zu geben, alle Straßen seien gesperrt. "I know the way", sagt Amir mit Nachdruck, "ich kenne den Weg." Das hilft.
Der Kleinbus pflügt weiter durch die Wassermassen - einer ungewissen Zukunft entgegen. Die drei vertreiben sich die Zeit mit Singen: iranischer Folk, gängige Popsongs. "Wir hören im Film die ganze Fahrt über Musik und bekommen auch ein Gefühl dafür, was die iranische Jugend für Musik hört", sagt die Koproduzentin.
Endlich erreichen sie eine holprige Sandpiste, es wird steinig, dann wieder ein Stück asphaltierte Straße. "Oh mein Gott", der Schrei hallt in der weiten Landschaft nach. Das Fahrzeug ist direkt vor einem Abgrund zum Stehen gekommen: Die Straße vor ihnen wurde von den Regenfluten unterspült. Alles ist abgesackt, die Strecke unpassierbar.
Ratlos stehen die drei jungen Musiker vor dem tiefen Riss in der Fahrbahndecke. Keine Chance. Sie müssen umdrehen. "We will be late", wir werden zu spät kommen, gibt Mahla dem Konzertveranstalter im fernen Teheran durch. Die Landschaft draußen wechselt: grünes Hochland, karge Wiesen. Dann wieder geflutete Straßen, ganze Dörfer unter Wasser.
Träume vom freien Leben
"Sie wollen noch die Gitarre von Navid, seine Konzertgitarre, abholen", erzählt Koproduzentin Yasmin Khalifa. "Und dann kommen sie endlich zu seinem Haus in dem kleinen Dorf, das völlig überschwemmt ist. Und er steht bis zur Hüfte im Wasser davor und sieht diese Gitarre im Wasser vor sich hin dümpeln. Und das haut ihn um."
Gitarrist Navid ist völlig fertig. Mit geschlossenen Augen lässt er sich vom Fahrwind die Haare verwehen. Wirre Gedanken sind blitzartig dazwischen geschnitten. In kurzen Rückblenden steht er auf der Bühne, cool, mit Sonnenbrille, und singt - seine Gitarre im Anschlag - herzergreifend.
"Wenn sie diesen Musikwettbewerb gewinnen, dann haben wir Teheran, und dann haben wir auch Amsterdam, London und Berlin", erklärt Yasmin Khalifa, die das Drehbuch mehrmals gelesen hat. Sie weiß, was in Navids Kopf vorgeht. "Dann könnten sie sogar in Deutschland auf dem Rhein entlangfahren, denken sie. Aber die Realität im Iran ist anders: Sie dürfen nicht raus, sie sind eingesperrt in diesem Land. Und wo sind sie frei? Im Kopf, in der Musik, im Traum."
Politisches nur zwischen den Zeilen
Regisseurin Manijeh Hekmat ist eine im Iran sehr anerkannte und respektierte Filmemacherin, so Koproduzentin Yasmin Khalifa im DW-Interview. Bestens vernetzt, mit internationalen Kontakten zu Festivals in aller Welt. Aber sie wisse auch um die Zensur im Iran.
In ihrem Roadmovie taucht vieles nur in Andeutungen auf: Zwischen den Zeilen der Dialoge schwingen politische Botschaften mit, Filmbilder laden sich mit Methaphern auf. Aber der Film ist auch eine visuelle Ode an die Landschaften im Iran.
Das dokumentarische Material, das spontan durch ungeplante Ereignisse auf der Fahrt und während der mühseligen Dreharbeiten im Hochwasser entstanden ist, gibt dem Film eine starke Authentizität. Dass die Figuren gecastet und die drei Protagonisten eigentlich Schauspieler sind, merkt man gar nicht. Und der Sog der Ereignisse entfaltet seine dramaturgische Wirkung.
Ein aufziehendes Gewitter verschattet eine verlassene Raststätte, vor der ein Hund in einer Pfütze spielt. Wasser, Wasser, jetzt auch von oben. Es schüttet wie aus Eimern. Doch die Hoffnung bleibt. Auch das eine Botschaft des Films: Die iranische Jugend lässt sich nicht unterkriegen und ist ständig auf der Suche nach neuen Wegen.
Der Film ist eine Gemeinschaftsproduktion der Teheraner Produktionsfirma Bamdad Film und der Berliner kapFilme. Weltpremiere hatte "Bandar Band" auf dem TIFF Filmfestival in Toronto - in der Sektion "Contemporary World Cinema". Am 24./25.9.2020 wird er auf dem Filmfestival Zürich gezeigt.
Regisseurin Manijeh Hekmat, geboren 1962 in Arak/Iran, arbeitet seit 1982 in der Filmbranche und drehte 2002 ihren ersten Spielfilm "Women's Prison", der auch auf der Berlinale lief. Bei der Premiere ihres aktuellen Films ist sie nicht dabei, corona-bedingt darf sie zur Zeit nicht ausreisen.