Iranische Illusionen nach Bidens Wahlsieg
13. November 2020Am vergangenen Samstag wurde endgültig klar, dass Joe Biden die US-Präsidentschaftswahl für sich entschieden hatte. Drei Tage darauf sandte der iranische Außenminister Dschawad Sarif den Führern der iranischen Nachbarstaaten per Twitter eine "aufrichtige Botschaft". Trump werde in 70 Tagen verschwunden sei, erklärte er. "Aber wir bleiben für immer." Auf Fremde zu setzen, um die Sicherheit vor Ort zu gewährleisten, sei nie eine gute Wette. Es gehe auch anders: "Wir strecken unseren Nachbarn unsere Hand zum Dialog aus, um die Differenzen zu lösen."
Sarif verfasste den Tweet, kurz bevor er zu einem zweitägigen Besuch nach Pakistan aufbrach. Die Freude, den aus iranischer Sicht höchst schwierigen, völlig kompromisslosen US-Präsidenten endlich los zu sein und nun mit den Nachbarn ins Gespräch zu kommen, könnte allerdings kürzer währen als der triumphierende Ton des Tweets vermuten lässt. Denn der Iran hat Staaten als Nachbarn, von denen viele Verbündete der USA sind. Pakistan gehört dazu. Dessen Regierungschef Imran Khan hatte Biden und der designierten Vizepräsidentin Kamala Harris sehr rasch gratuliert.
"Wir werden uns auch weiterhin gemeinsam mit den USA für den Frieden in Afghanistan und in der Region einsetzen", teilte Khan bereits am frühen Samstagabend auf Twitter mit.
Kalte Dusche aus Riad
Auch bei Irans mächtigstem Gegenspieler Saudi-Arabien kam Sarifs Botschaft nicht gut an. Nahezu gleichzeitig mit dem Tweet des iranischen Außenministers umriss der saudische König Salman in einer Rede seine Sicht der nachbarschaftlichen Verhältnisse. Auf den Iran sei man in Riad weiterhin nicht gut zu sprechen, ließ er erkennen. Bedrohungen aus dem nördlichen Nachbarland seien für das Königreich weiterhin eine seiner größten Sorgen. Der Iran unterstütze Terrorismus und fache das konfessionelle Sektierertum in der Region an. "Saudi-Arabien betont die Gefahr, die von den regionalen Aktivitäten des Iran ausgeht", erklärte er.
Rückkehr zum "diplomatischen Weg"?
Zwar erwähnte König Salman den Nachfolger Trumps nicht namentlich. Doch dürfte er wissen, dass seine Worte auch vom künftigen neuen Herrn des Weißen Hauses gehört werden. Biden hatte sich bereits im Vorfeld der Wahlen wiederholt und ausführlich zum Iran geäußert. Mehrfach war er auch auf die Bedürfnisse der Verbündeten der USA zu sprechen gekommen. "Wir werden die destabilisierenden Aktivitäten des Iran weiterhin zurückdrängen, die unsere Freunde und Partner in der Region bedrohen", erklärte er im September dieses Jahres in einem Meinungsbeitrag auf CNN. Wenn Iran die Konfrontation suche, sei er bereit, die vitalen Interessen Amerikas und seines Militärs zu schützen. "Aber ich bin auch bereit, einen diplomatischen Weg zu gehen, wenn der Iran zeigt, dass auch er dazu bereit ist."
Gelegenheit dazu könnte ein aktueller vertraulicher Bericht der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) bieten. Demnach hat der Iran noch immer nicht zufriedenstellend dargelegt, woher bestimmte kleine Mengen an nicht deklariertem angereichertem Uran stammen, die bereits 2019 in einer Anlage bei Teheran entdeckt wurden. Sollte Teheran umfassende Aufklärung in diesem speziellen Punkt liefern, könnte dies der von Biden geforderte erste kleine Schritt sein.
"Der kommende US-Präsident hat wiederholt erklärt, dass er bereit sei, seine Haltung zum Iran flexibel zu gestalten", sagt Günter Meyer, Leiter des Zentrums für Forschung zur Arabischen Welt an der Universität Mainz. "Das gilt sowohl mit Blick auf Irans Ausgestaltung seines Atomprogramms wie auch auf seinen Umgang mit den Nachbarn."
Dilemma in Jemen
So hat Biden wiederholt erklärt, auch das Verhältnis der USA zu Saudi-Arabien neu ordnen zu wollen. Insbesondere kritisierte er das militärische Eingreifen einer regionalen Koalition unter Führung Saudi-Arabiens im Jemen. Der dort herrschende Krieg gilt als Stellvertreterkonflikt zwischen dem Königreich und dem Iran. Allerdings: Sollte Biden die saudische Regierung drängen, sich aus dem Jemen zurückzuziehen, könnte der Iran das Vakuum nutzen, seine eigene Präsenz in dem bitterarmen Land auszubauen. Der neue US-Präsident wird also sehr genau abzuwägen haben, welche Schritte er seinen saudischen Partnern abverlangt, ohne dadurch deren größten Konkurrenten zu stärken.
Iran zunehmend isoliert
In Syrien, dem zweiten regionalen Kriegsschauplatz mit iranischer Beteiligung, sind die Rahmenbedingungen andere. Die seit Jahren anhaltende Präsenz iranischer Truppen ist finanziell und humanitär gleichermaßen kostspielig. Zwar hat der Iran erheblich dazu beigetragen, dass sich das Assad-Regime an der Macht halten konnte. Doch auf eine nennenswerte Rendite kann die Regierung in Teheran nicht verweisen. Im Gegenteil: "Derzeit versucht Russland, bislang Teherans bedeutendster Partner in Syrien, den Einfluss Teherans in Syrien zu minimieren und das Land so weit wie möglich von dort zurückzudrängen", sagt Günter Meyer von der Uni Mainz.
Und was den Libanon und die dortige von Iran ausgerüstete und finanzierte Hisbollah-Miliz betrifft, so hat Biden die amerikanische Position klargemacht: Der Iran und die Hisbollah, warnte er, könnten sich ermutigt fühlen, ihre Stellungen in Syrien zu nutzen, um von den Golanhöhen und anderen Standpunkten aus Angriffe auf Israel zu starten. Das aber werde er nicht zulassen: "Amerika wird eng mit Israel zusammenarbeiten, so dass es sich gegen den Iran und dessen verbündete Kräfte verteidigen kann", erklärte er in seinem Meinungsstück für CNN.
Auf Unterstützung dürfte Israel nun auch vom persischen Golf rechnen: Im August hatten Israel und die VAE sowie Bahrain ein Normalisierungsabkommen vereinbart. Dieses gilt Beobachtern auch als eine Art indirektes Schutzbündnis gegen den Iran.