Volksmudschahedin in Albanien
28. März 2016Ein mehrstöckiges Haus in der Gegend von Kashari, irgendwo zwischen der albanischen Hauptstadt Tirana und der Hafenstadt Durrës, nahe der Autobahn. Das Haus ist mit Eisengittern umzäunt, das Tor aus schwerem Metall. Ein Mann öffnet die Tür, er ist um die 50, Brille, Typ Intellektueller. Er spricht sehr gut englisch. Vorsichtig schließt er das eiserne Tor und führt den Gast in ein kleines Zimmer im Eingangsbereich. Das Zimmer ist karg ausgestattet: Ein Plastiktisch, darauf ein Laptop, ein Elektroofen, schwarz-weiße Bilder an der Wand, Bilder von den Führern der iranischen Volksmudschahedin im Exil: Das Ehepaar Massuid und Maryan Rajavi. Ein älterer Mann, über 60, mit Bart und Brille, bietet Kaffee an. “Iranische Gastfreundschaft”, sagt er mit einem verhaltenen Lächeln auf Englisch.
Der Mann, der die Tür geöffnet hat, nennt sich Farzin Bahadur Gourdazi und gibt an, er sei einer der führenden Köpfe der iranischen oppositionellen Milizen-Organisation im Exil. Er sei auch der Führer der in diesem Haus untergebrachten Gruppe der Volksmudschahedin und derjenige, der mit Medien sprechen darf. Er erzählt, dass er vor vier Monaten aus der ehemaligen US-Militär-Basis “Liberty” im Irak hierher nach Albanien gekommen sei, zusammen mit einer Gruppe von 20 anderen Volksmudschahedins. “20 Jahre habe ich in den Camps Ashraf und Liberty im Irak gelebt und bin einer der Überlebenden der iranischen Angriffe auf diese Lager“, erzählt Farzin Bahadur Gourdazi.
Angst von der Geheimpolizei
Farzin Bahadur Gourdazi heißt in Wirklichkeit anders, aber er benutzt das Pseudonym. Denn, "wenn iranische Geheimdienste herausfinden, dass ich mich in Albanien aufhalte, könnte das Leben meiner Freunde und Angehörigen, die sich noch im Irak befinden, gefährdet sein, ebenso wie mein eigenes", sagt er im Gespräch mit der DW-Reporterin. Die Angst, vom iranischen Geheimdienst entdeckt zu werden, scheint die größte Sorge der Volksmudschahedin.
Deshalb ist Goudarzi so vorsichtig. Nirgendwo im Haus darf man fotografieren - nicht einmal in dem kargen Zimmer, geschweige denn das Gebäude von außen. Dafür haben alle viel zu viel Angst. Nach Ansicht von Experten ist diese Sorge berechtigt. Der bekannte albanische Investigativ-Journalist Artan Hoxha meint, sein Land könne eine große Anzahl von iranischen Volksmudschahedinen kaum logistisch betreuen und vor möglichen gezielten Angriffen schützen.
Dass das ärmste Land in Europa akzeptiert hat, den iranischen Volksmudschahedin Schutz zu gewähren, ist nicht ohne. Sie werden von den Amerikanern direkt aus der ehemaligen US-Militär-Basis “Liberty” im Irak auf den Westbalkan Land gebracht. Bei der Gruppe handelt es sich um Mitglieder der "Mujsheddin-e Khalqs" (MEK) – einer früher als terroristisch eingestufter Organisation. Washington strich jedoch 2012 die MEK Gruppe aus der Liste der "ausländischen Terroristen".
Gegen den Schach und gegen Chomeini
Die Volksmudschahedin sind eine Gruppe, die in den 70er Jahren mit Ajatollah Chomeini den Schah in Iran gestürzt, sich dann aber mit dem neuen Machthaber überworfen hatte. "In dieser Zeit waren die Volksmudschahedin für Anschläge und politische Morde verantwortlich", erklärt der deutsch-iranische Experte Ali Sadrzadeh im DW Gespräch. Schließlich landeten sie im Untergrund und im Exil. In den 80er Jahren fanden sie ausgerechnet beim Erzfeind des Irans, Saddam Hussein, im Irak Unterschlupf.
Experten sind sich einig, dass die Volksmudschahedin die USA später beim Eingreifen in den Irak, bei diversen Aktionen im Nahen Osten und beim Kampf gegen den Terrorismus unterstüt haben. Auch bei der Veröffentlichung des iranischen Atomprogramms sollen sie eine wichtige Rolle gespielt haben, so Sadrzadeh. Nach dem Ende des Irakkrieges 2003 wurde die MEK Gruppe von Camp Ashraf von US-Armee entwaffnet. Und seitdem werden sie nach Bestimmungen der Genfer Konvention behandelt.
Nach dem Sturz von Saddam wurde ihr Verbleib im Irak jedoch zunehmend problematisch, denn die schiitische Regierung sah sie als illegal an. Deshalb sollen sie nun das Land mit Hilfe der USA verlassen. Bevor die Volksmudschahedin nach Albanien kamen, suchten die USA auch woanders einen Platz für sie, unter anderem in Rumänien. Bukarest winkte jedoch ab. Die UNHCR bot an, die MEK-Mitglieder individuell in verschiedenen Ländern anzusiedeln. "Deren Anführer bestanden aber darauf, dass die Gruppe zusammen in ein Land verlegt wird", sagt der deutsch-iranische Experte Ali Sadrzadeh. In andere europäischen Länder würde sich eine Aufnahme von Volksmudschahedin als schwierig gestalten, denn "Länder wie Großbritannien, Frankreich oder Deutschland würden dadurch die Beziehungen zu Iran belasten", so der deutsch-iranische Experte .
Altes Ideal im neuen Heimat
Am Ende stimmte Albanien, einer der treueste Partner der USA in der Region, 2013 zu. Die damalige Regierung unterzeichnete ein Abkommen mit der USA für die Aufnahme der ehemaligen iranischen Kämpfer aus dem Irak. Zwischenzeitlich sind 829 Volksmudschahedin in Albanien angesiedelt worden, so das UNHCR gegenüber der DW. Nach Berichten amerikanischer Medien sollen noch größere Kontingente folgen – die Rede ist von insgesamt bis zu 3.000 Personen.
Die mögliche Ankunft weiterer Volksmudschahedin bringt die neue Regierung unter dem Sozialisten Edi Rama nun in Erklärungsnot. Denn zwischenzeitlich gab es einen Regierungswechsel. In der Öffentlichkeit versucht sie, den Fall etwas herunterzuspielen, und so wird über die Zahlen in der Öffentlichkeit nicht gesprochen. Innenminister Saimir Tahiri wollte kürzlich (10.03.2016) das Parlament beruhigen: "Die derzeitige Regierung hat keinen Beschluss gefasst, 3000 Mudschahedin aufzunehmen“, und verwies gleichzeitig auf das Abkommen der vorherigen Regierung.
Der UNHCR unterstützt seit zwei Jahren den Prozess der Ansiedlung der Volksmundschahedins in Albanien, wo sie friedlich leben, erklärt die UN Organisation in einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber der DW. Diese Gruppe habe intern eine Wende vollzogen und verstanden, dass die Zeit der politischen Attentate und des Terrors jetzt vorbei sei, meint auch der Experte Ali Sadrzadeh. Sie wollten jetzt einen unbewaffneten politischen Kampf führen, fügt er hinzu.
Gekommen um zu bleiben
In Albanien werden die einstigen Kämpfer heute als politischer Flüchtlinge anerkannt, so wie Farzin Bahadur Goudarzi. Seine Gruppe respektiere die Regeln des Landes: "Wir melden uns bei der Polizei, wenn wir die Wohnungen wechseln oder wenn wir uns von einem Ort zu einem anderen bewegen“.
Er betont, dass er und seine Mitstreiter froh und dankbar darüber seien, dass Albanien ihnen Schutz biete und er sich sicher fühle. Mit der einheimischen Bevölkerung verstehe er sich gut. "Man kommt gelegentlich in Kontakt und fühlt die Gastfreundschaft des Landes", sagt Goudarzi mit ruhigem Ton, und er habe nicht vor, Albanien in absehbarer Zeit zu verlassen.
Nach etwa eine Stunde dauerndes Gesprächs erscheint im Zimmer wieder der freundliche Mann, der anfangs den Kaffee servierte. Zuerst flüstert er Gourdazi etwas ins Ohr und dann hört die DW Reporterin die höflichen Worte: "Unser Gespräch ist jetzt zu Ende. Es ist die Zeit der gemeinsamen Sitzung mit meiner Gruppe." Beim Abschied gibt es kein Händeschütteln, nur ein freundliches Kopfnicken. Und eine Bitte: ob man eine Visitenkarte der Journalistin haben könnte. Dann gehen die Pforten auf und schnell wieder zu. Und Gourdazi eilt hinter dem Tor mit Eisengittern zurück ins Haus, wo seine Gesinnungsgenossen ihn erwarten.