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Politik

Irische Grenzerfahrungen

Arthur Sullivan
15. November 2018

Die innerirische Grenze gilt als zentraler Streitpunkt eines Brexit-Abkommens. Im Norden Irlands selbst weckt der Gedanke an eine neue "harte Grenze" schlimme Erinnerungen an längst überwunden geglaubte Zeiten.

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Grenze Irland - Nordirland
Bild: Getty Images/AFP/P. Faith

Es wird langsam dunkel in Clogher, einem kleinen Örtchen zehn Kilometer vor der Grenze zu Irland. Aus dem schwach beleuchten Flur seines eleganten Bauernhauses zeigt Jack Johnston auf einen Hügel hinter dem Tal. "Siehst Du den großen Schuppen da oben bei den Bäumen? Das war einmal ein Lager der britischen Armee", sagt er. "Einmal trafen Schüsse aus diesem Lager dieses Haus. Die IRA hatte das Lager angegriffen und unweit davon Raketenwerfer platziert. Die Soldaten wehrten sich und schossen zurück. Ein paar ihrer Kugeln verirrten sich und trafen dann auch unser Haus."

Johnston wohnt im County Tyrone in Nordirland. Der 73-Jährige hat sein ganzes Leben auf dieser Farm verbracht. Er erinnert sich noch sehr gut an die blutigen Auseinandersetzungen zwischen britischer Armee und irischen Untergrundkämpfern in den Jahren zwischen 1969 bis 1998. 3500 Menschen kamen dabei ums Leben.

Karte Irland und Großbritannien DEU
Mehr als 480 Kilometer lang ist die Grenze zwischen Irland und Nordirland

Im April 1998 unterzeichnen Vertreter der britischen und irischen Regierungen sowie der Parteien in Nordirland einen Friedensvertrag, das "Karfreitagsabkommen". Seither hält der Frieden. Berichte über die einst verfeindeten Parteien sind weitgehend aus den Nachrichten verschwunden. Aber seit Großbritannien 2016 für einen Austritt aus der Europäischen Union, für einen Brexit, gestimmt hat, schauen wieder alle vermehrt auf die Region. Je nachdem, wie sich die Situation entwickelt, könnte es in Zukunft wieder eine "harte" Grenze zwischen Irland und Nordirland geben - eine zukünftige EU-Außengrenze. Dabei geht es auch um die Stabilität des Friedensprozesses. "Wir haben hier früher in einer Kriegszone gelebt", sagt Johnston und blickt in die Idylle, die sein Hause heute umgibt. Der Frieden hält hier zwar, aber die Vergangenheit ist noch immer in schmerzhafter Erinnerung - und die politische Situation noch immer angespannt.

Eine schwer fassbare Grenze

Im Januar 2017 platzte in Belfast Nordirlands große Koalition. Seitdem ist die Region ohne Regierung.

Auch die Brexit-Abstimmung hatte einen großen Anteil am Zusammenbruch der Regierung - und daran, dass die politische Stimmung wieder aufgeheizt wurde. Bei den Brexit-Verhandlungen geht es auch darum, Grenzkontrollen zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland zu verhindern. Großbritannien will womöglich sowohl die Europäische Zollunion als auch den EU-Binnenmarkt verlassen. Damit würden Kontrollen unumgänglich. Doch eigentlich soll eine sogenannte "harte" Grenze verhindert werden. Die EU befürchtet, dass der Konflikt in der ehemaligen Bürgerkriegsregion sonst wieder angefacht werden könnte. Doch die protestantische nordirische Partei DUP - Koalitionspartner der Konservativen in London und ausgesprochene Brexiteers - will keiner Regel zustimmen, die Nordirland an EU-Recht binden würde.

Irland Brexit Auswirkungen
Grenzverlauf durch Wiesen und Bäche: Rechts liegt die Republik Irland, links Nordirland Bild: DW/A. Sullivan

Die fast 500 Kilometer lange irisch-nordirische Grenze verläuft mitten durchs Grüne. Insgesamt gibt es mehr als 200 Grenzübergänge. Von den 1920er Jahren bis 1993 wurden auf beiden Seiten der Grenze Zollkontrollen durchgeführt. Während der Unruhen in den 1970er und 1980er Jahren wurde die Grenze von der britischen Armee zeitweise nahezu komplett abgeriegelt. Auf dem Höhepunkt des Konflikts überwachten fast 20.000 britische Soldaten die Vielzahl der Grenzübergänge. Seit dem Friedensabkommen von 1998 aber sind die Grenzkontrollposten nahezu vollständig verschwunden.

Sorge vor Angriffen auf zukünftige Zollstellen

Die Stadt Ballyconnell liegt in der irischen Grafschaft Cavan, nur eine Meile hinter dieser kaum noch sichtbaren Grenze. Hier wohnt Oliver Brady, der sich noch gut daran erinnert, wie schwer es noch in den 1970ern war, die Grenze zu überschreiten.

Irland Brexit Auswirkungen Oliver Brady
Oliver Brady erinnert sich noch gut an die Zeit, als die irische Grenze scharf bewacht warBild: DW/A. Sullivan

Jetzt befürchtet er, dass die Grenzposten wieder errichtet werden könnten, wenn auch zunächst nur, um Zollkontrollen durchzuführen.  "Kontrollposten wären so ein deutliches Symbol, sie würden so starke Erinnerungen an früher wecken, dass gewisse Elemente versuchen könnten, sie anzugreifen", sagt er. Mit den "gewissen Elementen" spielt Brady auf die kleine Minderheit an, die noch immer beiderseits der Grenze in verschiedene Formen paramilitärischer Untergrund-Aktivitäten involviert sind.

"Wenn Zollstellen angegriffen werden," sagt Brady, der selbst Mitglied der irischen nationalistischen Sinn Fein-Partei ist, "dann könnte das bedeuten, dass wir wieder eine Polizeipräsenz brauchen, um sie zu schützen. Und das könnte dazu führen, dass wir am Ende doch wieder eine echte Grenze haben."

Das Gespenst der Gewalt

Tom Elliott, der zwanzig Meilen weiter nördlich, jenseits der Grenze in der nordirischen Stadt Enniskillen lebt, teilt diese Sorgen nicht. Hier in Enniskillen stimmte mehr als die Hälfte der Einwohner gegen den Brexit, in Elliotts Stadtteil Fermanagh waren es sogar noch mehr. Elliott selbst aber, ehemals Führer der Ulster Unionist Party und Abgeordneter im britischen Parlament, ist Brexit-Anhänger und der Ansicht, dass es viel zu viel "Panikmache" in dieser Frage gibt. Er glaubt, dass alle nach einem Brexit anstehenden Grenzkontrollen auf Zollkontrollen begrenzt bleiben und daher auch nicht zu Gewaltausbrüchen führen werden. "Diese Zeiten haben wir hinter uns gelassen", sagt Elliott - eine Ansicht, die viele Menschen in Enniskillen teilen.

Irland: Politiker Tom Elliott
Brexit-Befürworter Tom ElliottBild: picture-alliance/B. Lawless

"Der Brexit wird das Leben hier nicht groß verändern", ist Elliott überzeugt. "Die Leute werden immer noch nach Norden kommen und in Enniskillen einkaufen und die Leute von hier werden immer noch in Galway und Mayo Urlaub machen."