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IS-Rückkehrer: Tickende Zeitbomben?

Wolfgang Dick29. März 2016

Nach den Terroranschlägen in Brüssel und Terrorwarnungen für Europa wird in alle Richtungen ermittelt. Auch die Dschihad-Rückkehrer sind im Fokus. In Deutschland werden die Erkenntnisse über sie erst jetzt umfassender.

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Symbolbild - Islamist
Bild: Colourbox/krbfss

Im gemeinsamen Terrorabwehrzentrum (GTAZ) in Berlin sitzen täglich Vertreter von 40 Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern zusammen. Darunter auch Mitarbeiter von allen Landesämtern für Verfassungsschutz, des Bundesnachrichtendienstes (BND) und des Militärischen Abschirmdienstes (MAD). Hier fließen alle Erkenntnisse zusammen, die zu Reisebewegungen von IS-Unterstützern vorliegen. Wie viele Personen haben Deutschland verlassen, um sich der Terrormiliz "Islamischer Staat" anzuschließen? Und vor allem: Wie viele von ihnen sind zurückgekehrt?

Wie genau der Informationsfluss läuft und wie engmaschig kontrolliert wird, wollen die Behörden aus ermittlungstaktischen Gründen nicht offiziell bekannt geben. Experten aus Sicherheitskreisen sprechen aber von einer inzwischen relativ guten Beobachtungsdichte. Die verbesserte Ermittlungsarbeit gründe auf zwei Faktoren: Es gibt mehr Hinweise befreundeter ausländischer Geheimdienste und Aussagen verurteilter Dschihad-Rückkehrer, die im Lauf ihres Prozesses in Deutschland umfangreich gestanden haben.

Zuletzt etwa sagte vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht Nils D. aus. Der 25-jährige Konvertit berichtete, wie er in Syrien für den "Islamischen Staat" Spione und Deserteure mit Waffengewalt festgenommen und Gefängnissen des IS zugeführt habe. Über Strukturen und Vorbereitung zu Selbstmordattentaten gab auch der in den Nordirak gereiste und später nach Deutschland geflohene Ebrahim B. Auskunft. Die Deutschland und Europa betreffenden Informationen wurden ausgewertet und fließen in die Maßnahmen zur Terrorabwehr ein. Aber dies ist erst eine sehr junge Entwicklung.

Bekenntnisfreudig: Der deutsche Dschiahdist Abu Askar auf einem Propaganda-Video (Foto: dpa)
Der deutsche Dschiahdist Abu Askar auf einem Propaganda-VideoBild: picture-alliance/dpa/Internet

Die Rückkehrer - aktuelle Erkenntnisse

Inzwischen ist das Wissen über die Rückkehrer gewachsen. Das Bundeskriminalamt verweist auf seine jüngsten Erkenntnisse vom 24. März. Danach geht man von rund 800 kampfwilligen islamistisch motivierten Reisenden nach Syrien aus; von ihnen soll rund ein Drittel wieder nach Deutschland zurückgekehrt sein. Die Reisebewegungen, insbesondere die Ausreisen aus Deutschland haben sich seit dem Jahr 2011 verzehnfacht. 70 Personen sollen eine militärische Ausbildung erhalten oder gar an direkten Kampfhandlungen teilgenommen haben.

Dem Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, bereiten besonders die Rückkehrer Sorgen. Sie seien radikaler als je zuvor, dazu militärisch ausgebildet und kampferprobt. Über 470 gewaltbereite so genannte "Gefährder" haben die Sicherheitsbehörden besonders im Blick. Das stellt Verfassungsschutz und Polizeikräfte regelmäßig vor Probleme, da für die Überwachung eines einzigen Verdächtigen bis zu vier Teams erforderlich sind. Immerhin gelang es den Sicherheitsbehörden, Ausreiseverbote im niedrigen dreistelligen Bereich zu verhängen.

Torsten Voß, Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz in Hamburg, verweist auf viele sehr hilfreiche Erkenntnisse, die über die ausgebaute Internetüberwachung, insbesondere die Auswertung von sozialen Netzwerken, gewonnen werden konnten. Das Terrorabwehrzentrum in Berlin verfügt dafür über eine Spezialabteilung. Eine ihrer Beobachtungen: Rückkehrer suchen oftmals wieder Kontakte zur salafistischen Szene, der sie auch vor ihrer Reise angehörten. Verfassungsschützer sehen aber auch eine große Anzahl von Rückkehrern, die jede Illusion über den Dschihad verloren haben und sich komplett zurückziehen.

Syrien IS Kämpfer mit Waffen und Flagge (Foto: Imago/ZUMA Press)
Gruppenbild mit Fahne: Dschihadisten vor der Kamera.Bild: Imago/ZUMA Press

Nicht alle Rückkehrer sind radikalisiert

Eine Studie des Bundeskriminalamtes (BKA) diagnostiziert bei vielen Rückkehrern "traumatisierende Erlebnisse in Kampfgebieten". Auch stellt sie eine "abnehmende Bindungskraft" des IS fest. Die Sogwirkung nach dem Ausruf eines Kalifats im Nordirak habe sich nicht - wie zunächst befürchtet - fortgesetzt. Auffällig sei der besonders niedrige Bildungsstand vieler Rückkehrer. Was aus der kriminologischen Forschung bereits bekannt war, bestätigt sich auch bei den Dschihad-Sympathisanten: Mit zunehmendem Alter (27 bis 30 Jahre) wird auch die Abkehr vom Terrorismus größer. Extremisten unter 25 Jahren ließen hingegen eine höhere Gewaltaffinität erkennen, so das BKA.

Einen Anlass zur Entwarnung sehen die Sicherheitsbehörden in diesen Diagnosen aber nicht. Es müsse vor allem Straftäter unter den Rückkehrern ausfindig machen und verurteilen. Würden sie gestellt, seien nicht wenige ehemalige IS-Kämpfer zur Aussage bereit, ist zum Beispiel aus der Staatsschutzabteilung beim bayerischen Landeskriminalamt zu erfahren. So dürften weitere Prozesse zusätzliche Informationen über dschihadistische Netzwerke erbringen.

Europäisches Terrorabwehrzentrum?

Eine der Institutionen, die in Deutschland Gerichtsverfahren gegen Terroristen einleitet, ist die Generalbundesanwaltschaft. Deren Leiter Peter Frank hat jedoch Schwierigkeiten bei der Beweisbeschaffung aus Syrien oder dem Irak eingeräumt. Es gehe darum, in den noch anstehenden rund 130 Verfahren gegen 200 Beschuldigte Urteile untermauern zu können. "Wir gehen davon aus, dass einige Blut an ihren Händen haben, aber wir können das häufig nicht nachweisen", erklärte Frank gegenüber der Süddeutschen Zeitung. Er sprach sich daher für ein Terrorabwehrzentrum nach Berliner Vorbild auf europäischer Ebene aus. Immerhin gehen die Sicherheitsbehörden europaweit von rund 3000 gewaltbereiten Personen aus, die sich Terrorgruppen aus dem Nahen Osten angeschlossen haben. Von zu allem entschlossenen Einzeltätern gehe weiterhin eine Gefahr aus. BKA-Chef Holger Münch erklärte noch am vergangenen Wochenende: "Die Bedrohungslage in Europa bleibt hoch".

Gegenmaßnahmen

"Abschied von Hass und Gewalt" hieß in den Jahren 2001 bis 2014 ein bundesweites Programm gegen Radikalisierung. Es sollte auch Aussteigern aus der Dschihadisten-Szene helfen, sich zu öffnen und zu offenbaren. Das Programm sei aber inzwischen eingestellt, bedauert Thomas Mücke vom "Violence Prevention Network" in Berlin. Zum Dialog mit Rückkehrern meint der Organisationsgründer: "Man soll keine Chance ungenutzt lassen." In vielen Bundesländern, zum Beispiel in Bayern, haben die Innenministerien die Aufklärung gegen Terroranwerbungen an Schulen, in Betrieben und in Gefängnissen verstärkt.