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Eine Begegnung mit Isabel Allende

Victoria Dannemann
8. August 2019

Der neue Roman von Isabel Allende erzählt von Geflüchteten, die nach dem Spanischen Bürgerkrieg nach Chile kamen. Bei einer Begegnung mit der DW spricht die Autorin über die Aktualität der Geschichte.

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Isabel Allende, chilenische Schriftstellerin, und ihr neue Roman "Largo pétalo de mar".
Bild: Penguin Random House

Die chilenische Schriftstellerin Isabel Allende hat weltweit mehr als 74 Millionen Bücher in 42 Sprachen verkauft. Das letzte Jahr war für sie voll von eindringlichen persönlichen und beruflichen Erfahrungen: der Tod ihrer Eltern, die Veröffentlichung ihres neuen Romans "Dieser weite Weg" und eine neue Ehe vor wenigen Wochen. Mit der DW sprach sie über ihre neues Buch und ihr Leben, das genau wie die Handlung von "Dieser weite Weg" von Migration geprägt ist.

Im Exil: aufmerksames Beobachten

"Ich habe wie eine Vertriebene gelebt", sagt sie in Bezug auf ihre Kindheit und Jugend als Tochter eines Diplomaten, die nach dem Militärputsch in Chile ins Exil nach Venezuela ging, bevor sie sich schließlich in den USA niederließ. "Es ist gut, in einer fremden Umgebung zu sein, wenn man schreibt. Es zwingt einen, die Welt aufmerksamer zu beobachten und zuzuhören", sagt sie.

Die Geschichte des Schiffes "Winnipeg", das 1939 vom Dichter Pablo Neruda gechartert wurde, um mehr als 2000 spanische Republikaner nach dem Bürgerkrieg in Spanien nach Chile zu bringen, kennt Allende schon seit ihrer Jugend. Auch in ihrer Familie gab es Freundschaften mit Einwanderern, die damals auf diesem Frachter angekommen waren.

Historie l Das französisches Schiff Winnipeg
Der Frachter "Winnipeg" brachte 1939 über 2000 spanische Flüchtlinge nach Chile. Bild: Centro Cultural de Espana/Agrupación Winnipeg

Thema lag "in der Luft"

"Ich hatte eigentlich nicht vor, über die 'Winnipeg' zu schreiben, aber ich fing an, das Thema Migration in der Luft zu spüren, das ja eigentlich schon immer existiert hat. Als sie die Tore Europas erreichten, wurden die Geflüchteten zur Nachricht. Auch in den USA, wo sich die Situation mit Donald Trump erheblich verschlechtert hat", sagt Allende.

"Ohne das ich mir es bewusst vornehme, beeinflussen mich diese Dinge und spiegeln sich dann in den Büchern wider. Ich habe jetzt schon drei über Vertriebene geschrieben", sagt sie und bezieht sich dabei auch auf "Der japanische Liebhaber" und "Ein unvergänglicher Sommer".

Einwanderer als Gewinn für ein Land

Die Autorin beklagt die Haltung "populistischer Regierungen, die Hass und Angst erzeugen". In den Vereinigten Staaten, die selbst von Einwanderern gegründet wurden, habe es zu allen Zeiten Ethnien und Gruppen gegeben, die diskriminiert wurden, so wie heute zum Beispiel Latinos. "Aber sobald eine Person assimiliert ist, trägt sie viel zur Gesellschaft bei und ist ein Gewinn für das Land."

Die Geschichte der spanischen Flüchtlinge der "Winnipeg" bestätige sie in dieser Meinung, so Allende. Es habe damals starke Widerstände gegen sie seitens der katholischen Kirche und der Konservativen gegeben, aus Angst vor den "kommunistischen, anarchistischen, liberalen und atheistischen" Flüchtlingen. "Sie integrierten sich aber schnell und wurden sofort ein Teil des Landes. Ihr Beitrag ist außergewöhnlich", sagt Isabel Allende.

Gespräche mit einem Zeitzeugen

"Manchmal stolpere ich über eine Geschichte, in der ich nichts erfinden muss. Alles ist da, ich muss es nur aufschreiben", sagt die Autorin. So war es auch mit "Dieser weite Weg". In ihrem Exil in Venezuela, viele Jahrzehnte nach der Atlantikfahrt der "Winnipeg", traf Isabel Allende auf Victor Pey, der sie zu einem der Protagonisten des Romans inspiriert hat. Der Ingenieur und Journalist Pey war damals einer der Schiffsflüchtlinge, der sich mit Pablo Neruda anfreundete und später auch mit dem chilenischen Präsidenten Salvador Allende.

"Er war aus der Generation meiner Eltern, ein sehr zurückgezogener Mann, fast schon mysteriös, aber wir wurden gute Freunde, und er erzählte mir von seiner Odyssee, vom Bürgerkrieg, von seiner Flucht und von seiner zweiten Flucht nach dem Militärputsch in Chile 1973. Die Geschichte der Hauptfigur im Roman verläuft kreisförmig, genau wie das Leben von Pey. Es erscheint wie ein gewollter literarischer Trick, aber es ist wirklich so passiert", sagt sie. Tausende von Opfern der Repression verließen Chile nach dem Militärputsch, so wie es 40 Jahre zuvor in Spanien geschehen war. Pey starb im vergangenen Oktober im Alter von 103 Jahren, nur sechs Tage, bevor Isabel Allende ihm das ihm gewidmete Manuskript schicken konnte.

Die Rolle Pablo Nerudas

Eine andere wichtige Figur im Roman ist Pablo Neruda, dessen Bemühungen als chilenischer Konsul in Paris es den spanischen Flüchtlingen ermöglichte, nach Chile zu fliehen. Der Originaltitel des Romans in spanischer Sprache ("Largo pétalo de mar") lehnt sich an ein Gedicht von Pablo Neruda an. "Das Werk Pablo Nerudas hat mich auf all meinen Reisen begleitet. Die meisten meiner Bücher wurden in den Vereinigten Staaten geschrieben, wo ich lebe und auf Englisch lese. Neruda gibt mir die Möglichkeit, die Sprache und die Landschaften Chiles wachzurufen."

Allende äußert sich auch zu den Vorwürfen seitens feministischer Gruppen, Neruda sei ein Macho und gewalttätig gewesen. Sie sei der Ansicht, dass "das Werk nicht nach dem Privatleben des Schöpfers beurteilt werden kann". Das literarische Werk werde zu einem Erbe der Menschheit, und wer immer es geschaffen habe, könne auch ein gescheiterter Mensch sein, wie wir alle es sein könnten, so Allende.

Isabel Allende, chilenische Schriftstellerin, vor einem Poster des Covers ihres Romans "Largo pétalo de mar"
Der spanischsprachige Titel von Isabel Allendes neuem Roman bezieht sich auf einen Vers von Pablo NerudaBild: Penguin Random House

Zuhören statt zu urteilen

Wie in ihren früheren Romanen gibt es auch in ihrem neuen Buch starke Protagonistinnen. In diesem Fall ist es eine Pianistin, die mit dem Flüchtlingsschiff nach Chile kam und Dekanin einer Musikschule wurde. "Ich kenne so viele mutige und tüchtige Frauen, dass es mir keine Mühe bereitet, über sie zu schreiben", sagt Allende und verweist auf die von ihr gegründete Stiftung, die vor allem Frauen und Kinder in der Latino-Community in Kalifornien finanziell unterstützt.

Eine erfolgreiche Integration, wie sie mit den Geflüchteten der "Winnipeg" in Chile gelang, erfordere auch den Abbau von Vorurteilen gegenüber Migranten. "Es geht darum, ihnen in die Augen zu schauen, ihre Geschichte zu hören und sich ihnen zu öffnen. Warum hat man vor dem Fremden Angst? Das Problem wird nicht durch die Schließung der Grenzen oder den Bau einer Mauer gelöst, sondern indem man die Lebensbedingungen der Menschen in ihren Heimatländern verbessert."

Der Roman "Dieser weite Weg", dessen Veröffentlichung mit dem 80. Jahrestag der Ankunft der "Winnipeg" in Chile zusammenfällt, wurde gerade ins Deutsche übersetzt. Isabel Allende wird das Buch Ende Oktober auf einer Lesetour in Berlin, Hamburg und Köln vorstellen. "Die deutschen Leser waren mir immer außerordentlich treu. Ich schulde ihnen eine enorme Dankbarkeit."

Isabel Allende: "Dieser weite Weg", übersetzt von Svenja Becker, 381 Seiten, ist am 27.07. bei Suhrkamp erschienen.