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Furcht vor Folgen von Paris

Astrid Prange16. November 2015

Nach den Anschlägen in Paris fürchten viele Muslime in Deutschland, dass auch hier Vorurteile und Ressentiments zunehmen. Das Image des Islam verschlechtert sich trotz des intensiven religiösen Dialogs.

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Österreich Muslimische Freiwillige Helfer für Flüchtlinge (APA/HERBERT NEUBAUER)
Bild: picture-alliance/dpa/H. Neubauer

"Ohne Wirkung bleibt das natürlich nicht", meint Hamideh Mohagheghi. "Es ist ganz wichtig, wie wir als Muslime selbst mit den Anschlägen umgehen." Die im Iran geborene Juristin und Theologin ist eine der Säulen des interreligiösen Dialogs in Deutschland, sie lehrt islamische Theologie an der Universität Paderborn.

Schon lange kämpft der Islam in Deutschland und Europa gegen eine wachsende Abneigung der Mehrheitsgesellschaft. Laut einer bereits im Dezember 2010 veröffentlichten Studie, die vom Emnid-Institut für das Exzellenzcluster "Religion und Politik" der Universität Münster erhoben wurde, fühlen sich zwei von fünf Deutschen vom Islam bedroht.

Studienleiter Detlef Pollack, Professor für Religionssoziologie an der Universität Münster, ist nach den jüngsten Anschlägen in Paris pessimistisch. "Es ist schon sehr wahrscheinlich, dass sich das Bild der Muslime weiter verschlechtert", erklärt er im Gespräch mit der DW.

Schon damals fürchteten sich viele Bundesbürger vor einer Zuwanderung von Islamisten. "Die Aussage lautete damals: Manchmal habe ich direkt Angst, ob unter den Muslimen in Deutschland nicht auch viele Terroristen sind", erläutert Pollack. Insgesamt stimmten mehr als drei Fünftel dieser Aussage zu.

Detlef Pollack, Religionssoziologe (Foto: DW)
Der Religionssoziologe Detlef Pollack lehrt an der Universität MünsterBild: Exzellenzcluster ‘Religion und Politik’

Aufruf zur Besonnenheit

Noch wird in der politischen Öffentlichkeit differenziert zwischen islamistischen Attentätern und dem Islam. Doch bei der breiten Bevölkerung, so Pollack, komme diese Differenzierung nur teilweise an. Pollack: "Ich finde es sehr wichtig, dass wir jetzt nicht überreagieren."

Laut Pollack bestand das Ziel der Attentate darin, die Muslime von der Bevölkerung und von den demokratischen Gesellschaften im Westen zu trennen. "Es soll eine muslimische Gemeinschaft, die sich gegen Europa wendet, entstehen", erklärt er. "Es ist wichtig, dass wir uns nicht auf die Gegenseite bringen lassen!"

Entscheidend für den gesellschaftlichen Frieden ist laut Einschätzung der Experten in Zukunft die Haltung von Politik und muslimischen Verbänden. Letztere scheinen sich oft vergeblich um Anerkennung zu bemühen. Denn trotz eindeutiger Positionierungen gegen islamistischen Terror wächst die Ablehnung gegenüber dem Islam.

Prophet aus dem Baukasten

Hamideh Mohagheghi fordert deshalb eine theologische Auseinandersetzung mit dem "Islamischen Staat" (IS). "Wenn die Attentäter sagen, dass sie aus ihrem Glauben heraus handeln, dann müssen wir schauen, was für einen Glauben sie sich zusammengebastelt haben", sagt sie. Es sei eine Realität, dass man einzelne Bausteine aus dem Koran nehmen und daraus eine Ideologie zusammensetzen könne.

Deutschland Merkel Ramadan Fastenbrechen (Foto: AP Photo/ Steffi Loos, Pool)
Interreligiöser Dialog: Kanzlerin Merkel mit Nurhan Soykan, Generalsekretärin des Zentralrats der Muslime, beim Fastenbrechen in BerlinBild: picture-alliance/dpa/S. Loos

Auch die Politik nimmt die islamische Theologin in die Pflicht. In Europa werde oft mit zweierlei Maß gemessen. "Vor ein paar Tagen gab es einen Anschlag in Beirut (am 12. November töteten dort zwei Selbstmordattentäter des IS über 40 Menschen, Anm. d. Red.), aber man hat hier keinen Aufschrei gehört", erinnert sie. "Ich will die Anschläge in Paris nicht herunterspielen, aber es wäre gut, wenn wir zumindest ein Wort darüber hörten, wenn solche Morde auch woanders stattfinden."

Grundsätzlich bewertet die islamische Theologin die Lage der rund 4,5 Millionen Muslime in Deutschland jedoch positiver als die Lage der Glaubensbrüder in Frankreich. "Es gibt hier einen sehr breiten interreligiösen Dialog, man ist zusammengewachsen und hat gegenseitiges Vertrauen aufgebaut", lautet Mohagheghis Erfahrung.

In Frankreich sei das anders. "Dort gibt es Diskussionen, Muslime sollen in Schulkantinen gefälligst auch Schweinefleisch essen. Das haben wir in Deutschland Gott sei Dank nicht. Darauf können wir stolz sein."