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Politik

Dschihad per Smartphone

Kay-Alexander Scholz
28. November 2016

Schon Mal was von Telegram gehört? Ein in Deutschland noch relativ wenig verbreiteter Messenger-Dienst ist zu einer Plattform für Dschihadisten geworden, warnt die Bundeszentrale für Politische Bildung.

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Messenger Telegram
Bild: picture alliance/dpa/D. Feoktistov/TASS

Im arabisch-persischen Raum, aber auch in Russland, dort wo er erfunden wurde, ist der "Telegram Messenger" schon länger sehr populär. Seine große "Stärke" ist: Er soll abhörsicher sein. In Russland wird er deshalb zum Beispiel von dortigen Medien als Breaking-News-Kanal genutzt. Die Bundeszentrale für Politische Bildung (BPB) in Deutschland hat auf einer Pressekonferenz in Berlin explizit vor Telegram als Propaganda-Tool für Dschihadisten gewarnt. Die Zahl der deutschsprachigen Kanäle sei auf 130 angewachsen, zwei Drittel davon könnten dem dschihadistischen Spektrum zugeordnet werden. In einigen Kanälen würden hunderte Beiträge am Tag geteilt. Die Zahlen stammen vom Verein "Jugendschutz.net", dem gemeinsamen Kompetenzzentrum von Bund und Ländern für den Jugendschutz im Internet und Partner der BPB.

Zu den Aufgaben von "Jugendschutz.net" gehört die Beobachtung entsprechender Angebote im Internet und in Sozialen Medien. Bereits bis Oktober habe man im Vergleich zum Vorjahreszeitraum vier Mal so viele Verstöße gegen den Jugendschutz registriert, sagte Stefan Glaser, stellvertretender Leiter des Vereins. Der Anstieg sei im Wesentlichen auf Telegram zurückzuführen. Insgesamt seien 6300 Angebote unter die Lupe genommen. Von den 1003 Verstößen in diesem Jahr hätten 75 Prozent Gewalt und Krieg verherrlicht.

Fehlende Zusammenarbeit mit Telegram

Telegram mit derzeit mehr als 100 Millionen Nutzern hat keinen festen Standort, sondern zieht von Stadt zu Stadt in verschiedenen Ländern. Was bei Facebook und Twitter schon ganz gut funktioniere, dass nämlich entsprechende Angebote nach einer offiziellen, also institutionellen Beschwerde offline gehen, funktioniere bei Telegram viel schlechter, sagte BPB-Präsident Thomas Krüger.

Auch weil es keine realen Kontakte zum Unternehmen gibt, dass zwar ein Büro in Berlin betreiben soll, was aber anscheinend nur auf dem Papier existiere, ergänzte Glaser. Er forderte, massiven Druck auf den Betreiber auszuüben, "damit er menschenverachtende Beiträge konsequent löscht".

Strategie: Über Emotionalisierung zu Gewalt

Mit einem "perfiden Mix aus Grauen, Action und Popkultur" köderten Islamisten Jugendliche, so Glaser. Noch sei Telegram zwar keine Top-Anwendung, aber es bestehe die Gefahr, "dass es kippt". Eine Aufgabe von "Jugendschutz.net" ist, die Potenz von Angeboten zu messen. Glaser führte den Zusammenschnitt eines Videos vor, das mit einer wohl echten Hinrichtungsszene endet, auf dem Jugendliche in einer Erschießungsaktion zu sehen sind. "Junge Männer an die Front" sei das Motto vieler solcher Angebote.

Besonders perfide seien für Kinder neu auf den Markt gekommene Apps, mit denen Rechnen und Lesen gelernt werden könne. Wie "Jugendschutz.net" entdeckt hat, würde die App "Huruf" so spielerisch an Gewalt heranführen.

Der Einstieg laufe oft über klassische Plattformen wie Facebook, auf denen dann eigene Telegram-Kanäle zu finden seien. So würden zum Beispiel Kanäle mit Anleitungen zu "islamisch"-konformen Fitness-Übungen oder zu Rezepten für afghanische Speisen radikalere Beiträge von Dritten einleiten, in denen für die Einführung der Scharia geworben und gegen westliche Gesellschaften gehetzt werde. Typisch sei auch die popkulturelle Ästhetik, erläuterte Glaser. So würden beispielsweise Schriftzüge bekannter Filme zweckentfremdet oder vermeintlich "lustige Bildchen" von Prominenten mit diversen Sprüchen darauf verwendet.

Symbolbild: Zwei Terroristen mit Waffen (Foto: picture-alliance/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Warum kommen solche Angebote so gut an?

Über die Gründe, weshalb solche Angebote angenommen würden, habe man leider noch nicht wirklich viel Wissen gesammelt, sagte der BPB-Präsident Thomas Krüger. Eine Ursache seien aber sicherlich strukturelle Benachteiligungen oder Diskriminierungen wie relative Armut. Generell gebe es aber auch zu wenig politische Bildung an den Schulen, so Krüger. Er empfahl, damit auch viel früher als üblich zu beginnen. Aus der Psychologie wisse man, dass gerade Kinder in der 3. oder 4. Klasse sehr empfänglich für Werte seien.

Am Rande der Veranstaltung wurden andere mögliche Ursachen besprochen, wie zu wenige alternative Angebote für Jungs, mit aggressiven Tendenzen umgehen zu lernen. Leider würden viele nur noch mit ihrem Handy spielen und weniger im Wald herumtoben, wo in früheren Zeiten "Räuber und Gendarm" gespielt wurde.