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Island - alles ist möglich

Thomas Klein aus Island
30. Mai 2018

Vor zwei Jahren überrascht die isländische Nationalmannschaft in Frankreich und erreicht das Viertelfinale. In diesem Sommer will sie erneut Fußball-Geschichte schreiben, dieses Mal in Russland.

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EURO 2016 Portugal vs Island Fans
Bild: Getty Images/M. Steele

Es ist kalt in Reykjavik. An diesem Abend im April zeigt das Thermometer knapp sieben Grad Celsius an, es regnet leicht. Obwohl der leichte Wind die Temperatur noch etwas kälter wirken lässt, sind die Straßen am Abend vor dem offiziellen Sommeranfang in Island gut gefüllt. Im Park Ingolfstorg, einem kleinen Platz im Stadtzentrum der Hauptstadt, haben sich zahlreiche Menschen versammelt. Sie tragen Trikots der isländischen Fußball-Nationalmannschaft, halten Fahnen in den Händen und haben ihre Gesichter mit Nationalflaggen bemalt.

Sie jubeln, schreien und feiern ausgelassen. Solange, bis der Regisseur zufrieden ist und das Signal zum Aufhören gibt. Es sind Werbeaufnahmen für die Weltmeisterschaft 2018 in Russland. Island hat sich als kleinstes Land aller Zeiten - gemessen an der Einwohnerzahl - für eine WM qualifiziert, entsprechend groß ist die Vorfreude in Reykjavik.

"Teil des Turniers in Frankreich zu sein, war großartig", sagt Sesselja Pertersdottir. "Ich habe aber, ehrlich gesagt, nicht daran geglaubt, auch in Russland dabei zu sein. Als sie es dann aber doch geschafft haben, habe ich geweint. Wirklich geweint."

"Das ist eine goldene Generation"

Durch einen 2:0-Erfolg gegen den Kosovo lösten die "Wikinger" im Oktober vergangenen Jahres das direkte Ticket für das Turnier in Russland. "Ich habe damit gerechnet", erzählt Pétur Pétursson selbstbewusst. "Das ist eine goldene Generation von Island mit einem sehr guten Charakter." Pétursson arbeitet als Trainer bei Breiðablik UBK, dem Jugendverein von Augsburg-Profi Alfred Finnbogason und war Co-Trainer der Nationalmannschaft seines Landes.

Der 48-Jährige steht an der Seitenlinie in einer gigantischen Fußballhalle. Der Fußball-Trainer schiebt ein Kaugummi in seinem Mund immer wieder von links nach rechts. Er beobachtet die Trainingseinheit einer Schulklasse. Seit wenigen Jahren können Schüler in Island Fußball als Fach belegen. Es wird vor dem klassischen Unterricht trainiert und am Nachmittag gleich noch einmal.

Vorsicht bei der Trikotwahl

Pétursson schaut ganz genau hin und entdeckt einen Schüler, der ein Trikot des FC Liverpool trägt. Er grinst. "Wissen Sie", sagt er, "in meinen Mannschaften würde so etwas nicht passieren. Schüler in solchen Trikots laufen bei mir immer mindestens eine Runde extra." Was seine Schüler nämlich zu Beginn oft nicht wissen: Pétursson ist großer Fan von Manchester United, Anhänger anderer Klubs haben es bei ihm schwer. Bei der zweiten Trainingseinheit sei dann meistens niemand mehr im "verbotenen" Dress zu sehen.

Auch viele der heutigen isländischen Nationalspieler mussten diese Erfahrungen machen, denn einige haben ihre erste Schritte im Profigeschäft bei Pétursson gemacht. Die Fußball-Ausbildung ist hart, auch wegen der äußeren Bedingungen. Fast zwei Drittel des Jahres müssen die 335.000 Einwohner Islands mit Schnee und Eis kämpfen. Zwar wurden in den vergangenen Jahren immer mehr Soccerhallen gebaut, trainiert wird aber trotzdem oft draußen, auf Kunstrasen. "Es ist kalt, es liegt Schnee und es ist oft windig. Da draußen bildest du deinen Charakter", berichtet Pétursson. "Jeder kommt zum Training, egal ob die Sonne scheint oder nicht. Das ist typisch für den isländischen Charakter."

"Wir haben Schlüsselspieler"

Mentale Stärke und einen ausgeprägten Siegeswillen - mit diesen Eigenschaften hat es Island bei der Europameisterschaft in Frankreich vor zwei Jahren bis ins Viertelfinale geschafft. Das war für viele Beobachter eine Überraschung, nicht aber für Pétursson. "Ich habe schon vor dem Turnier gesagt, dass wir weit kommen werden. Wir haben einen starken Teamspirit und das hat uns in Frankreich sehr geholfen."

Bundesliga FC Augsburg vs. VfB Stuttgart Alfred Finnbogason
Alfred Finnbogason ist beim FC Augsburg ein Leistungsträger und hat auch in der Nationalmannschaft eine wichtige RolleBild: Imago/Krieger

Auch in Russland will der kleinste WM-Teilnehmer für Furore sorgen. Einen echten Star mit Weltklasseformat sucht man im Team von Nationaltrainer Heimir Hallgrímsson allerdings vergeblich. Es sind andere Dinge, die Island zu einem ernstzunehmenden Teilnehmer machen. "Wir haben Schlüsselspieler wie Kolbeinn Sigthorsson, Gylfi Sigurdsson oder auch Alfred Finnbogason, die da sind, wenn es drauf ankommt. Am Ende ist es aber ein Teamsport - vor allem hier in Island", erklärt Pétursson.

Schwere Gruppengegner in Russland

Der Co-Trainer rechnet sich auch bei der WM realistische Chancen auf das Erreichen der K.o-Phase aus. "Es wird ein bisschen schwerer in Russland als bei der Europameisterschaft. Wir spielen gegen Argentinien, Nigeria und Kroatien, das wird nicht leicht. Aber unsere Spieler glauben an sich und sie wollen wieder alles für Island geben." Nicht mit spielerischer Klasse, sondern besonders mit Kampf und viel Leidenschaft wird Island versuchen, auch in Russland für Furore zu sorgen. Gelingt dem Team das erneut, dürfte die Party in Reykjavik etwas größer ausfallen als an diesem kalten Aprilabend.