Israel am atomaren Pranger
16. September 2003Auf der Generalversammlung der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA in Wien (15. bis 19. September 2003) soll zum ersten Mal über die mutmaßliche Atommacht Israel diskutiert werden. Aus Diplomatenkreisen heißt es, dass Mitgliedsstaaten der Arabischen Liga dies beantragt haben. Weitere Themen der Konferenz werden die Atomprogramme des Iran und Nordkoreas sein. Der Iran war bereits während der Gouverneurstagung der IAEA Anfang September 2003 in den Mittelpunkt gerückt. Das Gremium hatte dem Land zuletzt ein Ultimatum zur Zusammenarbeit und zur Offenlegung seiner Nuklearwaffen gestellt.
Viele Dutzend Atomwaffen
Dass Israel und dessen nukleare Macht nun erstmals Thema sind, scheint überraschend. Denn spätestens seit 1986 ist bekannt, dass der Nahost-Staat in der Lage ist, Atomwaffen zu produzieren. Damals erzählte der israelische Atomtechniker Mordechai Vanunu der britischen Presse Details über Israels Atomwaffenprogramm. Seitdem gab es immer wieder Berichte von westlichen Geheimdiensten, die dies bestätigten. Zwischen 200 und 300 Atomwaffen verschiedener Größe und Reichweite sollen es nach Angaben der Arabischen Liga mittlerweile sein. Andere Quellen sprechen von vielen Dutzend dieser Waffen.
Doch im Unterschied zu Nordkorea und dem Iran hat Israel niemals den Atomwaffensperrvertrag von 1970 oder dessen Nachfolgevertrag von 1995 unterschrieben. Beide Papiere regeln unter anderem die Abrüstung von atomaren Waffensystemen und das Verbot ihrer Anschaffung. Die IAEA als Atomaufsichtsbehörde der Vereinten Nationen (UN) hat darum keine Möglichkeit, Israel zu kontrollieren oder - wie zuletzt den Iran – unter Druck zu setzen. Zudem haben vor allem die USA aus innerpolitischen Gründen Jahre lang darauf verzichtet, Israel wegen seines möglichen Atomwaffenprogramms zu kritisieren. "Ich glaube aber, dass es auch am Generaldirektor der IAEA, Mohammed el Baradei, liegt, dass Israel nun auf der Tagesordnung steht", sagt Xanthe Hall, Abrüstungsexpertin der Friedensorganisation Ärzte gegen den Atomkrieg (IPPNW). El Baradei hatte in Interviews kritisiert, dass in der Frage von Atomwaffenprogrammen mit zweierlei Maß gemessen werde.
Festere Allianz zwischen Israel und Indien
Israel als potenzielle Atommacht wird man in Zukunft politisch wohl immer mehr im Blick behalten müssen. Dies zeigt auch der Besuch des israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon in Indien Anfang September 2003. Es wird vermutet, dass die beiden Länder in Fragen der Atomenenergie und der Herstellung von Atomwaffen zusammenarbeiten und dies noch intensivieren wollen. Dann könnten sie in nächster Zeit den ganzen Nahen Osten mit Atomraketen erreichen, fürchten Experten. Gegen Indien, das seine atomaren Waffen – wie das verfeindete Nachbarland Pakistan – entgegen dem Atomwaffensperrvertrag angeschafft hat, gibt es bereits Sanktionen durch die Vereinten Nationen. Gegen Israel ist dies nicht möglich. Stattdessen soll nun versucht werden, das Land durch diplomatische Verhandlungen in das Kontrollsystem der IAEA und der Vertragsparteien des Sperrvertrages zu holen.
Von der Generalversammlung der UN-Atombehörde IAEA sind darum keine schnellen Beschlüsse in Bezug auf Israel zu erwarten. Voraussichtlich im November 2003 will die IAEA auf ihrer nächsten Konferenz darüber entscheiden, ob sie sich wegen eines Eingreifens im Iran an den UN-Sicherheitsrat wendet. Dass dann auch schon über Aufrufe oder gar Resolutionen zu Israel gesprochen wird, halten Experten für unwahrscheinlich.
Geht die Debatte weiter?
"Nachdem nun zum ersten Mal über Israel als Atommacht gesprochen wird, ginge das zu schnell", sagt auch Hall von IPPNW. Ende April und Anfang Mai 2004 treffen sich jedoch die Vertragsparteien des Atomwaffensperrvertrages zu ihrer jährlichen Konferenz in New York. Es ist gut möglich, dass dann die Debatte über Israel als mutmaßlicher Atommacht weitergeht. Hall meint: "Wenn die Diskussion erst einmal angestoßen worden ist, kann sie eigentlich nicht mehr zurückgenommen werden." Die Generalversammlung der IAEA in Wien scheint der erste Schritt zu sein.