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Konflikte

Israel: Trauer und Schock nach Terror-Angriff der Hamas

10. Oktober 2023

Hunderte Israelis wurden bei den Terror-Angriffen der militant-islamistischen Hamas getötet. Viele weitere werden noch vermisst oder sind in Geiselhaft. Die DW hat mit trauernden Angehörigen dieser Menschen gesprochen.

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Nach Hamas-Großangriff auf Israel - Tel Aviv
Schmerz und Verzweiflung: Angehörige in Tel Aviv trauern um ihre Liebsten, die bei dem Terrorangriff der Hamas auf Israel ums Leben gekommen sind Bild: Erik Marmor/dpa/picture alliance

Aron Troen kann kaum sprechen. Der Schock und ein unbeschreibliches Gefühl von Verlust sitzen tief. Seine Schwester und sein Schwager wurden am Samstagmorgen von Hamas-Terroristen getötet.

Die militant-islamistische Hamas hatte einen überraschenden Großangriff vom Gazastreifen aus gestartet und war in mehr als 20 Gemeinden im Süden Israels eingedrungen. Die Hamas wird von der Europäischen Union, den USA, Deutschland und weiteren Ländern als terroristische Organisation eingestuft. 

"Meine Schwester Shahar und ihr Mann Shlomi wurden brutal ermordet, als die Terroristen in ihren Kibbuz kamen. Sie gingen von Haus zu Haus und ermordeten systematisch jeden, den sie vorfanden", sagt Troen der DW.

Kurz nach den Ereignissen telefonierte er mit seinem Neffen, dem Sohn seiner Schwester, Rotem. Rotems Vater Shlomi, ein Musiklehrer, wurde getötet, als er versuchte, die Tür zum Schutzraum zu blockieren - eine Einrichtung, die in den meisten Häusern im Grenzgebiet zum Gazastreifen zum Schutz vor Raketen und Mörsergranaten vorhanden ist.

"Das nächste, woran er sich erinnert, war, dass seine Mutter ihn auf das Bett warf und ihn mit ihrem Körper bedeckte", so Aron Troen. "Sie wollte ihn schützen."

Shahar und Shlomi Mathias
Shahar (links) and Shlomi wurden beim Hamas-Angriff auf Israel getötet. Das Ehepaar hat vier KinderBild: privat

Beide Eltern von Rotem wurden getötet. Der 16-jährige Rotem selbst wurde in den Bauch getroffen und lag über eine halbe Stunde lang unter seiner toten Mutter. 

"Bitte helft, helft!"

"Wir haben erst davon erfahren, als er uns eine SMS geschickt hat", sagt Aron Troen. "Die Botschaft lautete: 'Mama und Papa sind tot. Bitte helft, helft!'."

Die Hamas-Kämpfer hatten im Kibbuz eine Betäubungsgranate abgeworfen und brannten das Haus nieder. Dann zogen sie weiter zum nächsten Haus, ermordeten weitere Menschen und nahmen Geiseln, die nach Gaza gebracht wurden.

Doch als die bewaffneten Hamas-Terroristen abzogen, war für Rotem die Tortur nicht vorbei. Denn sie kamen zurück.

Familienfoto von Shakked, Shir, Shachar, Shlomi und Rotem
Rotem (rechts) entging knapp dem Tod, seine drei Schwestern hielten sich zu dem Zeitpunkt des Hamas-Angriffs an einem anderen sicheren Ort aufBild: privat

"Er hat sich unter dem Bett versteckt", schildert sein Onkel Aron Troen. Hilfe sei erst nach mehreren Stunden gekommen. Dann gab es militärische Gefechte zwischen israelischen Soldaten und Hamas-Kämpfern, die das Gebiet eingenommen hatten.

"Unmenschliches Verhalten"

"Die Palästinenser haben ihr Leid, aber es gibt keine Entschuldigung für diese Art von Hass, Gewalt und unmenschlichem Verhalten", ist Troen überzeugt. "Es ist unmöglich, so etwas jemals zu akzeptieren."

Mittlerweile werden immer mehr Einzelheiten über den Angriff am 7. Oktober bekannt. Viele Menschen in Israel haben Schwierigkeiten, den beispiellosen Terrorangriff auf 21 israelische Ortschaften und Armeestützpunkte in der Nähe des Gazastreifens zu verarbeiten.

Die Kämpfe um einige Dörfer dauerten auch am Montag noch an. Die israelische Armee schien Mühe zu haben, die Kontrolle über einige Gebiete wiederzuerlangen.

Zahlreiche Geiseln genommen

Der verheerende Bodenangriff, den militante Hamas-Kämpfer in den frühen Morgenstunden des Samstags gestartet hatten, war durch Raketenbeschuss gedeckt worden. Die Angreifer durchbrachen den Hightech-Grenzzaun des Gazastreifens an mehreren Stellen und übernahmen die Kontrolle über einige in der Nähe gelegenen israelischen Gemeinden. Sie zogen durch die Dörfer, töteten wahllos Menschen und nahmen Geiseln.

Mindestens 900 Israelis wurden während des Hamas-Angriffs getötet, und die Zahl wird wahrscheinlich noch steigen. Seit der Invasion wurden Tausende Raketen aus dem Gazastreifen abgefeuert.

Israel hat das Gebiet im Gegenzug massiv bombardiert. Die Zahl der palästinensischen Todesopfer beläuft sich auf mehr als 830, Tausende wurden verletzt.

Das Ausmaß des Angriffs hat Israels riesigen Geheimdienstapparat überrumpelt, der offenbar davon ausgegangen war, dass die Hamas nicht an einer erneuten Eskalation interessiert sei. Israel hat in den vergangenen 16 Jahren vier Kriege gegen die Hamas und andere militante Organisationen im Gazastreifen geführt und mehrere kürzere militärische Operationen durchgeführt.

Tanzen bis zum Sonnenaufgang

Auch Amy Segal, 27, aus Tel Aviv ist am Boden zerstört. Ihr Freund Ram Sela, der auf dem Musikfestival im Kibbuz von Re'im in der Nähe des Gazastreifens gearbeitet hatte, wurde nach dem Angriff der Hamas vermisst. Am Dienstag erhielt seine Familie die Bestätigung, dass er bei dem Angriff auf das Festival getötet wurde.

Ein verwüstetes Zelt auf einem Festivalgelände
Massaker bei einem Musikfestival: Beim Supernova Festival in der Nähe des Kibbuz Re'im wurden nach bisherigen Schätzungen bis zu 270 Besucher getötetBild: Jack Guez/AFP/Getty Images

"Es ist verheerend", sagt sie der DW. "Er arbeitete eine Woche vor der Veranstaltung auf dem Festival. Als der Angriff losging, schlief er an dem Ort, an dem alle, die dort arbeiteten, untergebracht waren."

Gegen 6.30 Uhr am Samstagmorgen, als das jüdische Erntedankfest Sukkot zu Ende ging, tanzten Tausende von Partygängern in den Sonnenaufgang hinein, als plötzlich Luftschutzsirenen losgingen. Auf den Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen folgte massives Geschützfeuer, wie Augenzeugen berichteten. Nach bisherigen Schätzungen wurden bis zu 270 Besucher getötet.

Dutzende von Menschen werden noch immer vermisst. Sie wurden vermutlich von den Hamas-Kämpfern als Geiseln genommen. In den sozialen Medien kursieren erschütternde Videos, die zeigen, wie blutüberströmte und zerschundene junge Israelis, ältere Menschen und Kinder auf Motorräder oder Pickups gezerrt und zurück in den Gazastreifen gefahren werden.

Eine Frau, die um ihren entführten Sohn bangt, wird von einer anderen Frau in den Arm genommen
Verzweiflung: Eine Mutter bangt um ihren Sohn, der von der Hamas entführt worden istBild: Philippe Laurenson/Maxppp/dpa/picture alliance

"Alles bricht zusammen"

Man geht davon aus, dass etwa 100 Personen, sowohl Israelis als auch Ausländer, sowohl Zivilisten als auch Militärs, auf diese Weise als Geiseln genommen wurden. Eine endgültige Zahl wurde jedoch noch nicht bestätigt.

In der Vergangenheit hat die Hamas israelische Geiseln immer wieder als Druckmittel benutzt, um die Freilassung ihrer Mitglieder in israelischen Gefängnissen zu erreichen. Ein israelischer Soldat, der 2006 nach einem Hinterhalt von der Hamas gefangen genommen worden war, wurde 2011 im Austausch gegen über 1000 palästinensische Gefangene freigelassen.

In einer Erklärung vom Montagabend teilte die israelische Armee mit, sie habe die Familien von 30 entführten Personen benachrichtigt. "Es ist ein Schock für uns alle", sagt Amy Segal, "ich kann nicht glauben, dass Menschen so etwas getan haben, einfach unschuldige Menschen ermorden und entführen."

Und sie fährt fort: "Es ist ein Schock, dass dies unserer Generation widerfährt. Dies ist der erste richtige Krieg, den wir erleben. Ich wünschte, die Regierung könnte die Dinge einfach in den Griff bekommen. Ich glaube, viele Menschen empfinden gerade das Gleiche wie ich: Alles bricht zusammen."

Der Text wurde aus dem Englischen von Astrid Prange de Oliveira adaptiert.

Porträt einer Frau mit dunklen Haaren
Tania Krämer DW-Korrespondentin, Autorin, Reporterin