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Politik

Israelischer Politpoker um Premier Netanjahu

Dana Regev jmw
16. November 2018

Von der Waffenruhe zur Regierungskrise: In Israel überschlagen sich die Ereignisse. Premier Benjamin Netanjahu wirkt geschwächt - und sein früherer Verteidigungsminister Lieberman scheint die Lage ausnutzen zu können.

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Lieberman und Netanjahu  (Foto: picture-alliance)
Keine Freunde: Lieberman (l.) und NetanjahuBild: picture-alliance/AP Photo/A. Sultan

Eigentlich hatte sich Israel darum bemüht, nach den Ausschreitungen in Gaza in der vergangenen Woche, Ruhe in die Situation zu bringen. Doch langsam entwickelt sich die Lage zu einer handfesten Krise der Regierungskoalition - der jüngste Höhepunkt ist der Rücktritt von Verteidigungsminister Avigdor Lieberman vom Mittwoch.

Premierminister Benjamin Netanjahu und seine rechtsgerichtete Koalition können technisch gesehen auch ohne die fünf Sitze überleben, die von Liebermans Partei Yisrael Beiteinu gehalten wurden. Allerdings könnte Netanjahu der Bildungsminister Naftali Bennett in die Quere kommen.

Naftali Bennett (Foto: picture alliance)
Hat Netanjahu ein Ultimatum gestellt: Naftali BennettBild: picture alliance/AP Images/J. Hollander

Er hat dem Premier ein Ultimatum gestellt: Entweder bekommt Bennett das Verteidigungsministerium - oder seine rechtsextreme jüdische Heimatpartei verlässt die Koalition, womit sie die Regierung stürzen würde.

Bennett gegen Netanjahu

Netanjahus Likud-Partei versucht derweil Stabilität zu demonstrieren: "Es ist nicht notwendig in dieser sensiblen Zeit, in der es um die nationale Sicherheit geht, eine Wahl anzustreben", so Parteisprecher Jonatan Urich. Netanjahu lehnte Bennetts Forderung aber bisher nicht völlig ab. Trotzdem: Seine Berater glauben, dass der Premier ihm die Position ausschlagen und sie selbst halten wollen wird.

Trotz der beruhigenden Worte hätte sich Lieberman keine bessere Zeit für seinen Rücktritt aussuchen können - und keine schlechtere für Netanjahu. "Gestern haben wir uns noch dem Terror ergeben", sagte Lieberman während seiner Erklärung am Mittwoch. "Wir kaufen kurzfristige  Stille und beeinträchtigen langfristig die Sicherheit Israels."

Avigdor Lieberman (Foto: picture-alliance)
Hat den Wahlkampf in Israel eröffnet: Avigdor LiebermanBild: picture-alliance/AP Photo/A. Schalit

Der Rücktritt war eine Antwort auf die Waffenruhe, die Israel mit der Palästinenser-Bewegung Hamas Anfang der Woche erreicht hatte. Die Hamas wird von den Vereinigten Staaten, Israel und der Europäischen Union als terroristische Organisation eingestuft. Zuvor wurden mehrere Millionen US-Dollar aus Katar nach Gaza transportiert - mit der Erlaubnis Israels. Für Lieberman war diese Überweisung ein "letzter Strohhalm". Es gebe keine Aufsicht, kritisierte Lieberman. "Das Geld ging direkt in die Hände von Terroristenfamilien", behauptete er und untergrub damit nach Ansicht einiger Israelis weiter den Ruf Netanjahus in der Öffentlichkeit.

Armee zu schwach?

Doch das ist noch nicht alles: Viele Israelis, die in der Nähe der Grenze zu Gaza leben, fühlen sich wie schon bei früheren Eskalationen vernachlässigt. Die Öffentlichkeit hält die Reaktion der Armee überdies für miserabel und viel zu schwach. Lieberman hat indes die Gunst der Stunde genutzt: Er steht dank seines Rücktritts im Rampenlicht, ohne seine militärischen Vorschläge jemals wirklich unter Beweis gestellt zu haben.

Seine Amtszeit als Verteidigungsminister wird wohl kaum jemandem im Gedächtnis bleiben. Immerhin lehnte Netanjahu fast alle seine Empfehlungen für Gaza ab. Mit seinem Rücktritt konnte der 60-jährige Lieberman allerdings einen Sieg verbuchen: Er hat de facto den Wahlkampf in Israel eröffnet - ein Vorteil, den Netanjahu glaubte für sich beanspruchen zu können.

Lieberman trat schon einige Male von Posten zurück, unter anderem im Jahr 2002, 2004, 2008 und 2012. Aber dieses Mal werden sich die Wähler seinen "altruistischen" Schritt merken.

Israels Anführer darf nicht "weich" sein

Die israelische Öffentlichkeit mag vor allem eines: Ruhe. Aber wenn Raketen aus Gaza fliegen, wünschen sich viele Israelis eine erbitterte Antwort ihres Militärs. Frühere Konflikte in der Region haben gezeigt, dass israelische Anführer einen hohen Preis dafür zahlen müssen, als "weich" zu gelten. Hingegen müssen sie kaum etwas fürchten, wenn sie alles dafür geben, den Terror zu verhindern oder den Frieden voranzubringen.

Israelischer Luftangriff auf den Gazastreifen (Foto: Reuters/S. Salem)
Zerstörung im Gazastreifen nach einem israelischen AngriffBild: Reuters/S. Salem

Diese Beobachtung zeigt, warum es für Netanjahu so wichtig war, schnell ein Ende der Kämpfe zu erreichen: Er wollte damit nicht nur weitere Gewalt im Süden Israels vermeiden und die relative Ruhe wiederherstellen. Vor allem wollte er damit vor der Wahl seinen anhaltenden Misserfolg im Gazastreifen unter den Teppich kehren.

Kritik an Netanjahus Strategie

Mit Liebermans Rücktritt und Bennetts Ultimatum bleibt das Thema aber auf dem Tisch - und es erzürnt die Rechten Israels und stärkt die ohnehin unerträgliche Verzweiflung unter den Linken. "Netanjahu hat kein Interesse daran, die Situation eskalieren zu lassen", so Elizabeth Tsurkov vom unparteiischen Rechercheinstitut "Forum for Regional Thinking". "Wenn Netanjahu Krieg gewollt hätte, hätte er die Überweisung aus Katar einfach blockieren können. So hat es Israel in der Vergangenheit schon öfter getan und damit Druck in Gaza aufgebaut." An einem offenen Konflikt hätte die israelische Öffentlichkeit gesehen, dass die Hamas nur mit Gewalt geschlagen werden könne, so Tsurkov. "Und kein Israeli hätte Netanjahu für einen solchen Krieg verantwortlich gemacht."

Doch einige Beobachter glauben, dass die Transfers aus Katar ein Zeichen dafür waren, dass Israel und die Hamas - in Zusammenarbeit mit Ägypten, Katar und den Vereinten Nationen sowie mit der Unterstützung der USA - ein Waffenstillstandsabkommen schließen wollten. Das bestätigt auch Barak Ravid, Korrespondent für den israelischen Sender Channel 10. Aber: "Es sollte nicht öffentlich gemacht werden", so Ravid. "Aber das wurde es und es hat uns dahin geführt, wo wir heute sind."