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PolitikNahost

Palästinenser und Juden ringen um Vertrauen

Dana Regev
23. Mai 2021

Das Aufflammen des Konflikts zwischen Israel und der Hamas hat die Spannungen in den Gebieten in Israel, in denen Palästinenser und Juden zusammenleben, verstärkt. Eine Normalisierung könnte Jahre dauern.

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Israel-Palästina Konflikt | Zusammenstöße in Lod
Hier in Lod leben Juden und Araber seit Jahrzehnten miteinanderBild: Ahmad Gharabli/AFP

Die Hauptstraßen von Jaffa sind gespenstisch ruhig - ungewöhnlich für die zentrale gemischt arabisch-jüdische Stadt, die seit Oktober 1949 offiziell Teil von Tel Aviv ist. Es ist zwei Tage her, seit ein Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas in Kraft getreten ist. Bisher hat die Waffenruhe gehalten: Es wurden keine Raketen vom Gazastreifen auf Israel abgefeuert und das israelische Militär hat keine Luftangriffe auf das von der Hamas regierte Gebiet geflogen - einen der am dichtesten besiedelten Orte der Erde.

Aber der offizielle Waffenstillstand ist in einigen von Israels zerbrechlichsten Gemeinden noch nicht zu spüren: den gemischt arabisch-jüdischen Städten. "In [Ost-] Jerusalem kaufen Juden und Palästinenser nicht einmal Brot voneinander, wenn sie es nicht wollen", sagt die 31-jährige Samah* aus Jerusalem, die, wie alle für diesen Artikel befragten Palästinenser, nur bereit war zu sprechen unter der Bedingung, dass sie anonym bleibt.

Israel Ausschreitungen Al-Aqsa Moschee in Jerusalem
Zusammenstöße zwischen Palästinensern und israelischen Sicherheitskräften vor der Al-Aksa-Moschee in Jerusalem am 21. MaiBild: Ahmad Gharabli/AFP/Getty Images

Modell für das Zusammenleben?

In Haifa, wohin Samah erst vor zwei Monaten gezogen ist, fühlt sie sich anders. "Es klingt schrecklich, aber in Jerusalem hatte ich zumindest das Gefühl, ich könnte mich in meiner eigenen Blase verstecken. Ich musste mich keinem jüdischen Rassismus und keiner Diskriminierung stellen, wenn ich einfach im Ostteil blieb", sagt sie über das Gebiet, in dem die Palästinenser in der Mehrheit sind.

"In Haifa sind Juden und Palästinenser gezwungen, sich täglich zu begegnen. Die Stadt ist nicht wie Jerusalem in zwei Teile geteilt. Die Stadt im Norden, Israels drittgrößte, ist stolz darauf, ein Modell für das Zusammenleben von Arabern und Juden zu sein. Aber es gibt immer noch Spannungen und Feindseligkeiten - und die eskalierten in den vergangenen knapp zwei Wochen.

Infografik Karte Israel Palästina DE

Nur zwei Tage nachdem die Hamas ihre ersten Raketen abgefeuert hatte, warfen jüdische Demonstranten in Haifa Steine auf einen palästinensischen Autofahrer. Bei einem anderen Vorfall griffen fünf israelische Araber einen 30-jährigen jüdischen Mann in der nördlichen Stadt Akkon an, in der ebenfalls Palästinenser und Juden zusammenleben. Und das waren keine Einzelfälle.

Waffenstillstand reicht nicht

Städte wie Haifa, Lod und Jaffa, in denen Juden und Palästinenser seit Jahrzehnten miteinander leben, wurden nicht direkt vom Raketenfeuer getroffen, brennen aber sozusagen immer noch von innen. "Es gibt kein wirkliches Zusammenleben", sagt Samah, als sie über ihr neues Zuhause in Haifa spricht. "Auch hier waren Palästinenser immer Bürger zweiter Klasse. Jetzt ist es nur noch offensichtlicher."

Israel | Konflikt zwischen arabischen Israelis und der Polizei in Haifa
Die israelische Polizei löst eine palästinensische Demonstration in Haifa gegen Israels Vorgehen in Jerusalem und dem Gazastreifen aufBild: Mati Milstein/NurPhoto/picture alliance

Für den 15-jährigen Halil*, der in Jaffa geboren und aufgewachsen ist, war der Waffenstillstand vom Freitag "eine fantastische Nachricht, aber es ist erst der Anfang", erklärt er, während er sich um den einzigen Kunden in der Bäckerei seiner Familie kümmert, die sonst voll ist mit palästinensischen und jüdischen Gästen.

"Die Polizei blockiert hier jeden Abend die Straßen, verhindert, dass Menschen vorbeikommen, und befragt uns. Warum eigentlich? Sind wir Kriminelle? Wir wollen nur in Frieden leben - auf unserem Land." Der einzige Kunde im Geschäft - der 42-jährige Adam, ein jüdischer Einwohner von Jaffa - stimmt dem zu. "Egal, welche politische Einstellung man hat, Tatsache ist, dass sowohl Juden als auch Palästinenser lernen müssen, miteinander zu leben. Es gibt keine andere realistische Lösung."

Gewaltausbrüche

Auf dem Höhepunkt des Konflikts wurde in Bat Jam, einem Vorort von Tel Aviv, der an Jaffa grenzt, ein rechtsextremer israelischer Mob live im israelischen Fernsehen gezeigt, der einen Mann brutal schlug, während er regungslos auf dem Boden lag. Warum? Berichten zufolge hielt die Gruppe ihn für einen Palästinenser. Zuvor marschierten Dutzende rechtsgerichtete israelische Extremisten durch die Stadt, griffen mehrere arabische Geschäfte an, schlugen Fenster ein und skandierten rassistische Parolen.

Israel I Ausschreitungen in der Stadt Lod bei Tel Aviv
Ein jüdischer Einwohner von Lod steht fassungslos vor seinem brennenden Auto Bild: Heidi Levine/AP/dpa

In Lod, wo 40 Prozent der Bevölkerung Araber sind, wurde ein 32-jähriger palästinensischer Israeli erschossen, während eine Synagoge und anderes jüdisches Eigentum in Brand gesteckt wurden. Später in der Woche starb ein jüdischer Mann, nachdem er von einer Gruppe arabischer Israelis angegriffen worden war.

Vor der verkohlten Synagoge von Lod sagte der 34-jährige jüdische Einwohner Yoel Frankenburg der Nachrichtenagentur Agence France-Presse, dass "die Araber versuchen, uns zu töten" und fügt hinzu, dass "sie [palästinensische Einwohner] mich angegriffen haben. Sie haben Steine auf mich geworfen ... Ich musste meine Kinder aus der Stadt schicken. "

Erschüttertes Vertrauen

Da der Waffenstillstand vorerst hält, kommt das Leben sowohl im Gazastreifen als auch in Israel langsam wieder zurück. Die Leute entstauben die Regale, die Cafés öffnen und die Einwohner kehren vorsichtig in die Straßen ihrer geliebten Städte zurück.

Während des fast zweiwöchigen Aufflammens der Feindseligkeiten hat Israel Hunderte von Luftangriffe auf den überfüllten Gazastreifen geflogen und dabei nach Angaben des von der Hamas geführten Gesundheitsministeriums 248 Menschen getötet, darunter 66 Kinder, und mehr als 1900 Menschen verletzt. Nach Angaben der Vereinten Nationen waren mehr als die Hälfte der getöteten Zivilisten.  Israels Armee spricht dagegen von mehr als 200 getöteten militanten Palästinensern im Gazastreifen.

Palästina | Zerstörtes Gebäude in Gaza
Palästinensische Frauen gehen im Gazastreifen an einem Gebäude vorbei, das bei einem israelischen Luftangriff zerstört wurdeBild: Suhaib Salem/REUTERS

Zwölf Menschen wurden in Israel durch Raketenbeschuss getötet, darunter ein Kind, ein Teenager, ein israelischer Soldat, ein Inder und zwei thailändische Staatsangehörige, berichtete die israelische Polizei. In Israel wurden rund 357 Menschen verletzt. Das israelische Militär fügte hinzu, dass die Hamas, der Islamische Dschihad und andere militante Gruppen rund 4350 Raketen abgefeuert hätten, von denen viele Israel nicht erreichten oder abgefangen wurden.

In den gemischten Städten Israels waren die Todesopfer jedoch weder auf die Bombardierungen noch auf den Raketenbeschuss zurückzuführen, sondern auf Lynchjustiz, Steinwürfe und Schüsse. Trotz allem nennen die Palästinenser und Juden, die in diesen Gemeinden leben, ihre Städte immer noch ihr Zuhause, aber der angerichtete Schaden - sowohl physisch als auch psychisch - wird lange fortbestehen.

*Name von der Redaktion geändert

Aus dem Englischen adaptiert von Marco Müller.