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PolitikEuropa

Israels Ukraine-Dilemma

23. Oktober 2022

Nach den russischen Angriffen auf Kiew mit mutmaßlich iranischen Drohnen hat die Ukraine Israel erneut um militärische Hilfe gebeten. Das bringt das Land in eine Zwickmühle: Denn bislang blieb Israel weitgehend neutral.

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Das Luftabwehrsystem "Iron Dome"
Israel hat es, die Ukraine hätte es gern: Das Luftabwehrsystem "Iron Dome"Bild: Ariel Schalit/AP Photo/picture alliance

Kurz nachdem Russland die ukrainische Hauptstadt Kiew mit mutmaßlich iranischen Shahed-136 Drohnen angegriffen hatte, wandte sich der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba mit einer dringenden Bitte an Israel: Er werde eine offizielle Anfrage stellen für die Lieferung israelischer Luftverteidigungssysteme. Der Iran wiederum hatte Meldungen über eine Lieferung unbemannter Drohnen an Russland als falsch zurückgewiesen.

Es ist nicht das erste Mal, das Kiew Israel um militärische Unterstützung bittet. Doch bisher hat Israel - wie auch mehrere andere Länder - auf direkte Waffenlieferungen an die Ukraine verzichtet. Stattdessen unterstützt es das Land mit humanitären Mitteln, darunter auch Schutzwesten und Helme.

Kampfdrohne vor blauem Himmel
Eine Kampfdrohne mutmaßlich iranischer Bauart über dem Himmel von KiewBild: Efrem Lukatsky/AP/picture alliance

Aber die jüngste Entwicklung, die nun auch Israels Erzfeind Iran ins Spiel bringt, hat einmal mehr Israels Dilemma angesichts der russischen Invasion in der Ukraine deutlich gemacht. Und sie hat eine neue Debatte darüber entfacht, wie Israel seinen bisherigen Balanceakt fortsetzen kann: Zwar hat die israelische Regierung unter Ministerpräsident Jair Lapid die russische Invasion mitunter scharf kritisiert und der Ukraine mehr und mehr Hilfe zugesagt. Und doch hat es Israel bislang abgelehnt, direkte militärische Unterstützung zu leisten, um die Beziehungen zu Moskau nicht zu beschädigen.

In einem Telefongespräch mit dem ukrainischen Außenminister Kuleba am Donnerstagabend sagte Premier Lapid, er habe ein Update über den Kriegsverlauf erhalten. Auch bekräftigte er, dass Israel "an der Seite des ukrainischen Volkes stehe". Die formelle Bitte der Ukraine um Luftverteidigungssysteme wurde in der Mitteilung nicht erwähnt.

Kein Politikwechsel, aber "Angebot für ein Frühwarnsystem"

Am Mittwoch hatte der israelische Verteidigungsminister Benny Gantz bei einer Rede vor EU-Botschaftern in Israel erklärt: "Israel steht an der Seite der Ukraine - das haben wir in der Vergangenheit gesagt und wir wiederholen es heute. Israels Politik besteht darin, die Ukraine mit humanitärer Hilfe zu unterstützen - und mit der Lieferung lebensrettender, defensiver Ausrüstung."

Gantz sagte aber auch, dass Israel keine Waffensysteme liefern werde, "aus einer Vielzahl von Erwägungen. Wir werden die Ukraine auch weiterhin im Rahmen unserer Grenzen unterstützen, so wie wir das auch in der Vergangenheit gemacht haben". Israel könne aber "dabei helfen, ein lebensrettendes Frühwarn-System zu entwickeln".

Benny Gantz an einem Rednerpult vor zwei israelischen Flaggen
Humanitäre Hilfe ja, Waffenlieferungen nein - Israels Verteidigungsminister Benny GantzBild: Ariel Hermoni/MOD

Auch unter Analysten wird die gegenwärtige Haltung Israels zum Krieg in der Ukraine heiß diskutiert. "Israel verhält sich weiterhin so, dass es am Ende auf beiden Seiten den Kürzeren zieht", schrieb der israelische Journalist Nadav Eyal in der Tageszeitung Jediot Achronot. "Die Ukrainer sind wütend darüber, das Israel nicht hilft. Und die Russen nehmen die Hilfe Irans in Anspruch und helfen damit auch den Iranern, und sie operieren auf mehreren verschiedenen Ebenen gegen Israel."

"Wir sollten an der Seite derer stehen, die unsere Werte teilen: Mit den demokratischen Ländern in Europa und den USA, die gegen die russische Aggression in der Ukraine sind," sagt Amos Yadlin, der frühere Leiter des Verteidigungsgeheimdiensts, im Gespräch mit der DW. Yadlin war seit Beginn der russischen Offensive für eine aktivere Unterstützung der Ukraine durch Israel. "Iran ist unser größter Feind. Und immer wenn der Iran auf der Seite von jemandem ist, müssen wir auf der anderen Seite stehen."

Sicherheitstechnische und diplomatische Überlegungen

Seit Beginn der russischen Invasion der Ukraine im Februar leistet Israel der Ukraine humanitäre Hilfe. Gleichzeitig versucht das Land, die diplomatischen Beziehungen zu Russland aufrechtzuerhalten. Auch in Israel gab es von Anfang an eine Debatte über die moralischen Pflichten, auch bei der Aufnahme von Flüchtlingen und Einwanderern aus der Ukraine und Russland. Israels Haltung leitet sich aber aus eigenen politischen und diplomatischen Erwägungen ab. Ein wichtiger Punkt: das Schicksal der jüdischen Gemeinde in Russland.

In den 1990er Jahren, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, kamen mehr als eine Million jüdische Russen nach Israel. Alleine dieses Jahr waren es bereits mehr als 20.000. Darunter sind auch viele junge Männer, die der russischen Teilmobilmachung entkommen wollen. Ein Gerichtsverfahren um die drohende Schließung der "Jewish Agency" in Moskau - einer halbstaatlichen Einrichtung, die jüdischen Menschen bei der Auswanderung nach Israel hilft - wirft ein deutliches Licht darauf, unter welchem Druck auch russisch-jüdische Institutionen stehen.

Eingang der "Jewinsh Agency"
Die "Jewish Agency" in Moskau ist von der Schließung bedrohtBild: Evgenia Novozhenina/REUTERS

Sicherheitspolitische Erwägungen spielen aber auch vor der eigenen Haustür eine wichtige Rolle: Seit Russland im syrischen Bürgerkrieg das Regime von Baschar al Assad unterstützt, kontrolliert es auch einen Teil des syrischen Luftraums. Israel wiederum führt regelmäßig Luftangriffe gegen sogenannte iranische Ziele in Syrien aus - und gegen Waffenlieferungen an die pro-iranische, libanesische Hisbollah-Miliz. Eine enge militärische Abstimmung - eine Art Hotline, mit der Israel Russland über bevorstehende Luftangriffe informiert - gibt dem israelischen Militär die dringend benötigte "Handlungsfreiheit", um solche Luftangriffe durchzuführen.

Bedenken bei Verteidigungssystemen

Die Ukraine hofft auf Verteidigungssysteme wie den "Iron Dome", "Davids Schleuder" oder "Barak 3". Einige israelische Sicherheitsexperten weisen jedoch darauf hin, dass Israel angesichts der eigenen Bedrohungslage nicht über genügend "Iron Dome"-Systeme für den Export verfüge. Hinzu komme, so Amos Yadlin, "dass der 'Iron Dome' mit einer geheimen Technologie betrieben wird, und Israel nicht will, dass diese in die Hände der Russen und vor allem der Iraner fällt, die jetzt auf der Krim sind. Die gute Nachricht ist, dass die iranischen Drohnen einfache Ziele sind, sie fliegen in geringer Höhe und mit langsamer Geschwindigkeit, und man könnte der Ukraine mit weniger ausgeklügelten Verteidigungssystemen helfen, die Israel auch schon an andere Länder verkauft hat."

Momentan sieht es eher danach aus, als ob Israel seinen bisherigen Kurs fortsetzt. "Wir verfolgen die Beteiligung des Iran am Krieg der Ukraine. Wir sehen, das der Iran in naher Zukunft möglicherweise zusätzliche Systeme liefern wird", sagte Verteidigungsminister Benny Gantz am vergangenen Mittwoch. Teheran sei, so Gantz, bereits im "Irak, Syrien, Libanon, Jemen und an weiteren Orten" aktiv. Und Israel, so der Verteidigungsminister, werde "seine eigenen Fähigkeiten weiter entwickeln und aufrechterhalten."

Porträt einer Frau mit dunklen Haaren
Tania Krämer DW-Korrespondentin, Autorin, Reporterin