Ist England bereit für die Euro 2022?
6. Juli 2022An diesem Mittwoch startet die EM 2022, mit dem Spiel der englischen Nationalmannschaft gegen Österreich im ausverkauften Old Trafford. Eine Handvoll Bauarbeiter ist am Tag zuvor noch damit beschäftigt, einen Fan-Park im Stadtzentrum von Manchester zu errichten. Ein paar Kilometer nordöstlich der Baustelle betritt die UEFA-Chefin für Frauenfußball die Bühne in einem Hospitality-Raum des Stadions. "Ich habe so viele verschiedene Emotionen, aber ich kann es kaum erwarten, dass es jetzt losgeht", sagt Nadine Kessler, die zwischen 2010 und 2016 29 Länderspiele für Deutschland bestritten hat. "Ich glaube, es ist absolut unvergleichbar mit meiner Zeit als Spielerin. Ich muss vielleicht ein bisschen provozieren. Aber ich glaube, zu meiner Zeit haben die Leute mehr darauf geachtet, wie mir mein Trikot passt, als auf das Ergebnis. Wir haben einen langen Weg hinter uns."
Im Vorfeld des Turniers wurde viel über die Entwicklung des Spiels in den vergangenen Jahren nachgedacht. Aber am Tag vor dem Turnierbeginn - mit unfertigen Fan-Parks, sporadischen Werbetafeln und einem angeblichen Mangel an Fantrikots der englischen Frauen-Mannschaft in den großen Sportgeschäften - hat man das Gefühl, dass die Organisatoren das Ausmaß des Interesses und der Nachfrage nicht vorhergesehen haben.
Football's coming home?
Doch logistische Erfolge oder Misserfolge werden dann vorübergehend in den Hintergrund treten, wenn ab Mittwochabend der Ball rollt. "Wir hoffen wirklich, dass die ganze Nation hinter uns steht", sagte Englands Rekordtorschützin Ellen White vor dem Turnier gegenüber der DW. "Wir wissen natürlich, dass unsere Gruppenspiele ausverkauft sind, was für uns sehr aufregend ist, und dass der Heimvorteil sehr wichtig ist. Wir freuen uns darauf, auf einige sehr, sehr talentierte europäische Mannschaften zu treffen."
Das erste dieser Teams ist Österreich, der Überraschungs-Halbfinalist 2017 bei der EM in den Niederlanden. Die Gäste werden gut daran tun, an ihre Leistung von damals anzuknüpfen, denn die Qualität des internationalen Fußballs nimmt immer weiter zu. Englands niederländische Trainerin Sarina Wiegman, die das Team Oranje vor fünf Jahren zum Titel führte, weiß, dass die Herausforderung und die Erwartungen dieses Mal noch größer sind.
"Die Entwicklung des Frauenfußballs ist so schnell vorangeschritten. Der große Unterschied zwischen 2017 und jetzt besteht darin, dass so viele weitere Länder auf höchstem Niveau spielen. Das ist wirklich aufregend", sagt Wiegman in einem Interview für den "Project Football"-Podcast der DW. "Man spürt diese Energie. Wir hatten schon einige Spiele im ganzen Land, in verschiedenen Städten. Man fühlt, dass die Leute aufgeregt sind. Und es sind schon so viele Karten verkauft worden."
Der Vorverkauf war in der Tat rege: Mehr als eine halbe Million Karten wurden bereits vor Beginn des Turniers zu erschwinglichen Preisen verkauft. Es gibt noch etwa 200.000 Tickets, aber viele Spiele sind bereits ausverkauft. Kessler, die als Spielerin das EM-Turnier 2013 gewann, sagt, sie sei "besessen" davon, die Verkaufszahlen auf den internen UEFA-Systemen zu beobachten.
Wie groß ist groß genug?
Für Diskussionen sorgt jedoch nach wie vor die Auswahl der Stadien für das Turnier. Die isländische Nationalspielerin Sara Björk Gunnarsdottir, die im EM-Auftaktspiel mit ihrer Mannschaft auf Belgien trifft, kritisierte das kleine Stadion von Manchester City mit nur 4700 Plätzen. "Ich bin ein bisschen enttäuscht über einige der Stadien, in denen wir spielen sollen", sagte sie im April im Podcast "The Pitch". "Es ist schockierend. Wenn man in England spielt, hat man so viele Stadien, und wir bekommen das Trainingsgelände von City. Das ist einfach nur peinlich."
Chris Bryant, der Leiter der Turnierabteilung des englischen Fußballverbands FA, ist dagegen überzeugt, dass das richtige Gleichgewicht gefunden wurde. "Wir haben die Ziele schon unglaublich hochgesteckt", sagte Bryant auf eine Frage der DW am Dienstag. "Natürlich haben wir uns Ziele gesetzt, und wir sind genau da, wo wir zu sein gedachten."
Bryant verteidigte die Auswahl der kleineren Spielorte, zu denen auch das Stadion von Rotherham gehört, in dem sogar ein Viertelfinale ausgetragen wird. "Wir sind mit der Auswahl der Spielorte sehr zufrieden. Es gibt immer noch Karten zu verkaufen. Wir wollen, dass die Spielorte ausverkauft sind, das ist ein wichtiger Teil unserer Strategie", sagt Bryant. "Es geht nicht nur um England. Wir möchten, dass alle Teams in allen Stadien eine tolle Atmosphäre erleben."
Zumindest im Eröffnungsspiel sollte dieses Ziel sicher erreicht werden. Bei einem Sieg Englands wird sich die positive Stimmung im Gastgeberland wahrscheinlich noch steigern. Die UEFA und alle, die in den Frauenfußball investiert haben, hoffen dann, dass dieser Schwung im weiteren Verlauf des Turniers anhält.
Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.