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Angst vor dem Abflug

Charlotte Potts (phi)13. Januar 2016

Auch nach dem Anschlag auf deutsche Touristen in Istanbul reisen weiter Tausende in die Türkei. Doch die Furcht fliegt mit von Berlin an den Bosporus. Aus Tegel berichtet Charlotte Potts.

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Anzeigetafel Flug Istanbul Atatürk
Bild: picture-alliance/dpa/A. Heimken

Die Flughafen-Seelsorgerin steht am Gate A1 im Flughafen Tegel und wartet. Sorgen und Nervosität sind ihr anzusehen. Seit dem frühen Morgen ist sie im Dienst und bietet jedem Reisenden aus Istanbul seelsorgerische Hilfe an. "Diejenigen, die den Anschlag miterlebt und überlebt haben, könnten in einem der landenden Flugzeuge sein", sagt sie. Doch der nächste Flug aus Istanbul hat niemanden an Bord, der direkt vom Terror betroffen ist. Dutzende Passagiere gehen durch die Sicherheitsschleusen nach draußen, ganz wie gewohnt.

Unter ihnen ist auch Etif Schäfer. Sie kommt ursprünglich aus der Türkei, seit fünf Jahren lebt sie in Berlin. Fragt man sie nach dem Anschlag von Istanbul, dann bricht sie in Tränen aus. "Ich bin wirklich traurig und geschockt. Dieser Angriff hat beide Seiten meiner Welt getroffen - die Türkei und Deutschland." Sultanahmet, der Platz vor der Blauen Moschee, an dem am Dienstag zehn deutsche Touristen starben, war Schäfers Lieblingsplatz in der Stadt. Wenn sie ihre alte Heimat besuche, gehe sie immer zuerst dorthin, erzählt sie: "Erst vor wenigen Tagen war ich dort. Ich bin so geschockt, dass waren doch unschuldige Touristen."

Wenige Stornierungen

Einige Minuten später kommt Robert Krog aus der Ankunftshalle. "Was passiert ist, ist schrecklich, ganz egal, wo es passiert ist. Es ist mir völlig gleich, dass der Anschlag in Istanbul stattfand. Im Moment wartet man ja nur darauf, dass irgendwo etwas Furchtbares geschieht. Sei es in Istanbul, in Paris oder hier in Deutschland." Krog wird von einer Lautsprecherdurchsage unterbrochen. "Lassen Sie ihr Gepäck nicht unbeaufsichtigt", sagt die Stimme von oben und weist auf erhöhte Sicherheitsmaßnahmen hin. Die Atmosphäre am Flughafen ist angespannt. Sicherheitskräfte patrouillieren durch die Gänge, die Polizei trägt Maschinenpistolen. Trotz, oder vielleicht auch wegen dieser Präsenz, beginnt man, sich unwohl zu fühlen.

Deutschland Sicherheit am Flughafen Berlin-Tegel
Verstärkt: Sicherheitsmaßnahmen am Flughafen TegelBild: picture-alliance/dpa/P. Zinken

Am Schalter der "Turkish Airlines" wird eingecheckt und abgefertigt wie an jedem anderen Tag auch. Ein Vertreter der Fluggesellschaft erklärt, dass es nicht außergewöhnlich viele Stornierungen gegeben habe. Nach den Anschlägen von Paris sei es schlimmer gewesen. Für die türkische Tourismusindustrie dürfte das eine gute Nachricht sein. Rund fünfeinhalb Millionen Deutsche haben im vergangenen Jahr die Türkei besucht - so viele Touristen wie aus keinem anderen Land.

Schlecht geschlafen

Die meisten der Passagiere, die hier in Richtung Istanbul einchecken, sagen, dass sie keine Angst haben. Sie sagen aber auch, dass sie den Rat des Auswärtigen Amtes befolgen und größere Menschenansammlungen auf öffentlichen Plätzen oder an Sehenswürdigkeiten meiden werden. "Eigentlich wollte ich viele der berühmten Baudenkmäler besuchen und auch Einkaufen gehen", sagt die Deutsch-Türkin Nüls Svadina. "Das hat sich nun erledigt." Sie sei vom Anschlag in Istanbul überrascht - eigentlich hatte sie erwartet, dass Berlin das nächste Angriffsziel von Terroristen sei. "Ich sage meinen Kindern immer, dass sie sich von großen Gruppen fernhalten sollen. Um sie mache ich mir in letzter Zeit wirklich große Sorgen."

Hinter ihr stehen Dennis und Luisa in der Warteschlange. Gemeinsam mit zwei Freunden will das Paar für einige Tage nach Istanbul. Sie hatten noch versucht, ihre Reise zu stornieren, doch das war bei dem Billigangebot nicht möglich. "Letzte Nacht habe ich ziemlich schlecht geschlafen", sagt Luisa.

Hass und Religion

Eine weitere Maschine aus Istanbul setzt zur Landung an. Mit einem Strauß Rosen wartet Mustafa Kaadem auf seine Frau, die auf dem Rückweg aus dem Irak in Istanbul einen Zwischenstopp gemacht hat. Seit den 1970er Jahren lebt das Paar in Berlin, seine Frau hatte in der alten Heimat die kranke Mutter besucht. "Ich hasse das, was in den letzten zehn Jahren im Namen meiner Religion an Verbrechen passiert", sagt Kaadem. "All diese Jungs, die sich in die Luft sprengen. Das ist für mich nicht der Islam." Neben Kaadem und den anderen Wartenden steht auch die Flughafen-Pfarrerin weiterhin in der Ankunftshalle. Sie möchte heute auf jeden einzelnen Flug aus Istanbul warten - nur für den Fall, dass jemand ihre Hilfe braucht.