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Politik

Italien und die Wandlung der Mafia

21. Januar 2023

Während des Wahlkampfs 2022 war das organisierte Verbrechen in Italien kaum Thema. Hilft die Verhaftung von Matteo Messina Denaro von der Cosa Nostra dem Land, sein Image aufzupolieren und sich EU-Gelder zu sichern?

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Verhaftung von Mafia Boss Matteo Messina Denaro
Mafia-Boss Matteo Messina Denaro bei seiner VerhaftungBild: Carabinieri/REUTERS

Dreißig Jahre können lang werden, wenn man sie im Untergrund verbringen muss, weil man ein gesuchter Verbrecher ist. Ärgerlich, wenn man dann beim Besuch einer Krebsklinik erkannt und verhaftet wird.

Genau das ist Matteo Messina Denaro geschehen, dem letzten bekannten Boss der sizilianischen Cosa Nostra, der am Montag von der Polizei festgenommen wurde. Berichten zufolge wartete Messina Denaro auf einen Arzttermin, als ihn ein Polizist bat, sich auszuweisen. Die Polizei wusste, dass Messina Denaro dort sein würde. "Es lief alles auf den Tag hinaus, an dem er für Tests und die Behandlung kommen musste", berichtete Pasquale Angelosanto von der Spezialeinheit der Carabinieri der Lokalpresse.

Gerüchte, dass Messina Denaro krank sei, machten schon seit Längerem die Runde. Ermittler begannen, Gesundheitsdatenbanken auf Hinweise nach einem Mann zu durchforsten, auf den die Beschreibung des Mafia-Bosses zutraf. Der Erfolg geht auf das Konto der auf organisierte Kriminalität spezialisierten Ermittler, sagt Felia Allum, die als Professorin an der Universität Bath zu organisierter Kriminalität und Korruption lehrt. "Das ist alles sehr schön für (die italienische Ministerpräsidentin) Giorgia Meloni, die jetzt nach Palermo gehen und die Lorbeeren einheimsen kann, aber die politische Ebene und der politische Wille haben nichts mit der harten Arbeit dieser Ermittler zu tun", sagt sie.

Der Krieg der Cosa Nostra gegen den Staat

Nach der Verhaftung twitterte Meloni, es handle sich um einen großartigen Sieg für den Staat. Damit schien sie Bezug zu nehmen auf den Zeitraum in der Geschichte der Mafia, als die Cosa Nostra eine Terrorkampagne gegen den italienischen Staat führte.

Paolo Borsellino und Giovanni Falcone
Paolo Borsellino und Giovanni Falcone wurden Anfang der 90er Jahre von der Cosa Nostra ermordetBild: Studiocamera/Giacomino/ROPI/picture alliance

In der Zeit, als in Deutschland die Berliner Mauer fiel, begann in Italien das politische System begann zu bröckeln, denn Protestparteien im Innern und die EU von außen übten Druck auf die Regierung in Rom aus. Dank Absprachen mit politischen Akteuren hatte sich die Mafia der strafrechtlichen Verfolgung häufig entziehen können, doch als es sich diese Akteure nicht mehr leisten konnten, sich an die Absprachen zu halten, rächte sich die Cosa Nostra Anfang der 90er Jahre. Beweise für solche Absprachen kamen in verschiedenen Gerichtsprozessen zutage.

Antonio Balsamo, Präsident des Gerichts von Palermo, betonte in der Woche der Verhaftung Messina Denaros vor Reportern, dass dieser während der "terroristischen Strategie der Angriffe auf den Staat", insbesondere in der heißen Phase von 1992 und 1993, führend gewesen sei. Die Cosa Nostra verübte damals eine Reihe aufsehenerregender Attentate und Bombenanschläge, sie ermordete den Politiker Salvo Lima sowie zwei Staatsanwälte, Giovanni Falcone und Paolo Borsellino, und zündete mehrere Bomben auf öffentlichen Plätzen in Mailand.

"Die Leute sprechen vom Ende einer Ära. Aber Messina Denaro veränderte die Mafia. Seine Cosa Nostra wurde viel verborgener, besser getarnt, ja sie verschwand, denn er verstand, dass es einfacher war, Geld zu machen, wenn man unsichtbar war", erläutert Allum. "Tötest du Menschen gewaltsam, wie es die Mafia früher tat, erregst du die Aufmerksamkeit der Polizei. Wenn du verschwindest, kannst du mit Unterstützern und Mittelsmännern, die dein Geld waschen und so weiter, Vereinbarungen treffen."

Silvio Berlusconi
Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi (links) werden Verbindungen zur Mafia nachgesagtBild: Alessandra Tarantino/AP Photo/picture alliance

Messina Denaro ist jedoch nur der letzte bekannte Boss der Cosa Nostra. Die Mafia, das organisierte Verbrechen in Italien und Europa, ist nicht mehr das, was es vor 30 Jahren war. Fachleute gehen davon aus, dass während dieser Zeit viele Bosse gekommen und gegangen sind. Und das Verschwinden der Cosa Nostra bedeutet auch, dass die Verhaftung von Messina Denaro vielleicht nicht ganz so bedeutsam ist, wie es dargestellt wird.

Der letzte der alten Mafia-Bosse

Doch die Menschen in Italien haben die Verbrechen der Vergangenheit nicht vergessen. "Es gibt Opfer aus dieser Zeit, denen Rechnung getragen werden muss", sagt Anna Sergi, Professorin für Kriminologie an der Universität Essex in Großbritannien. "Der Name Matteo Messina Denaro wird immer in Erinnerung bleiben. Er ist der letzte der Cosa Nostra alten Stils, bei der letztendlich alles auf den Boss hinauslief."

In jenen Tagen, so Sergi, wurde der Boss "zum Superstar". Doch das, fügt sie hinzu, "passiert nicht mehr und wird auch nicht mehr passieren". Denn "sie haben die Lektion gelernt und sind untergetaucht. Auf der administrativen Ebene hatte Messina Denaro vermutlich keine große Bedeutung mehr. Jede Familie in jeder Stadt und in jedem Dorf ging ihren eigenen Weg. Sie operieren jetzt sehr lokal."

Fahndungsbilder von Matteo Messina Denaro
Matteo Messina Denaro war 1993 untergetauchtBild: Italian police/dpa/picture alliance

Laut Sergi sind einige der Familien in den Drogenhandel innerhalb Italiens involviert, jedoch nicht in die Einfuhr von Drogen. Die ist größtenteils in den Händen der Familien der 'Ndrangheta oder Camorra in anderen Teilen Italiens. Die sizilianische Cosa Nostra hat diese internationale Reichweite nicht.

Die Verhaftung Messina Denaros kann jedoch auch außerhalb des Landes Auswirkungen haben und das könnte der Justiz und der italienischen Regierung Sorgen bereiten, so Sergi. "Messina Denaro hatte viel Geld und investierte international. Er schuf ein Netzwerk von Unterstützern in Italien und Europa, die sein Geld wuschen. Und dieses Netzwerk wird sicherlich von anderen Mitgliedern der Cosa Nostra genutzt."

Warum wurde Messina Denaro jetzt verhaftet?

Es bleibt die Frage: "Warum jetzt?" Wie es scheint, wussten die Ermittler, dass Messina Denaro nahe seiner Heimatstadt Trapani im Westen Siziliens lebte und dass er in der Hauptstadt Palermo in medizinischer Behandlung war. Warum also schlugen sie an diesem Montag zu, drei Monate nachdem die Italiener eine rechtsextreme Regierung mit Meloni an der Spitze gewählt haben? Zu dieser Regierung gehört auch der ehemalige Ministerpräsident Silvio Berlusconi, ein Mann, der im Verdacht steht, einst Verbindungen zur Mafia gehabt zu haben.

Gehen die Ermittler davon aus, dass Messina Denaro die Ausmaße dieses unsichtbaren Netzwerks enthüllen wird? "Meloni ist zäh. Wenn Berlusconi eine Garantie erwartet, vor der Mafia geschützt zu werden, dann wird er sie wohl kaum von ihr bekommen. An so etwas ist sie nicht interessiert", meint Ernesto Savona, Leiter von Transcrime, einem Forschungszentrum in Mailand.

Giorgia Meloni mit Ursula von der Leyen in Brüssel
Ministerpräsidentin Giorgia Meloni (links) möchte ein Bild von Italien präsentieren, das frei von Korruption istBild: Yves Herman/REUTERS

Doch Savona betont, dass Italien seine "rechtmäßige" Wirtschaft schützen und verhindern muss, dass diese von der kriminellen Wirtschaft "infiltriert" wird. Für den künftigen Wohlstand des Landes werden die Milliarden von Euros benötigt, die sich Italien aus dem Wiederaufbaufonds der EU nach der Corona-Pandemie erhofft.

"Sie haben Sorge, dass zumindest ein Teil dieses Geldes in die Taschen krimineller Organisationen wandert und die Korruption verstärkt", erläutert Savona. "Zwischen dem organisierten Verbrechen und der Korruption bestehen heutzutage enge Verbindungen. Sie sind der Kitt, der Anwälte, Buchhalter, Politiker und Kriminelle zusammenhält."

Giorgia Meloni hat also ein Interesse daran, ein sauberes Italien zu präsentieren. "Meloni sollte jedoch auch bedenken, dass Leute in ihrer Partei über Verbindungen zum organisierten Verbrechen verfügen könnten, wie so viele Leute in den Parteien", warnt Savona und lässt es so klingen, als seien kriminelle Machenschaften - einschließlich des Stimmenkaufs bei Wahlen - in der Politik ganz normal.

"Er gehört zum Geschäft", sagt Savona, "der Handel mit Einfluss". Und Einfluss hatte die italienische Mafia schon immer.

Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.

Abbany Zulfikar Kommentarbild App
Zulfikar Abbany Wissenschaftsredakteur