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PolitikEuropa

Italienwahl: Die Rechten setzen auf Sieg

25. September 2022

Die Umfragen sehen das rechtspopulistische Lager vorn, erstmals angeführt von einer Frau. Giorgia Meloni könnte die erste Rechtsextreme werden, die seit Diktator Benito Mussolini Italien führt. Aus Rom Bernd Riegert.

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Italien | Wahlen
Fratelli-Chefin Meloni: Immer mit dem Flammensymbol der Partei, das an Faschistenführer Mussolini erinnertBild: Alessandro Garofalo/LaPresse/AP/picture alliance

Rechte in Europa im Aufwind

Nachdem an diesem Sonntag rund 51 Millionen Italienerinnen und Italiener zur Wahl aufgerufen sind, könnte es zu einer Zäsur kommen. Denn nach den letzten Umfragen liegt die rechtsextreme Partei "Brüder Italiens", geführt von Giorgia Meloni, mit etwa 25 Prozent als stärkste Kraft vor den Sozialdemokraten von Enrico Letta mit 22 Prozent. Obwohl es um eine grundlegende Richtungsentscheidung geht, wird die Beteiligung an den vorgezogenen Parlamentswahlen nach Einschätzung von Wahlforschern wohl eher bei niedrigen 65 Prozent liegen. Die Umfragen wurden vor 14 Tagen abgeschlossen, Erhebungen näher am Wahltermin verbietet das Wahlrecht.

Überraschungen seien beim schwer zu berechnenden italienischen Wahlvolk möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich, sagen die meisten Wahlforscher in italienischen Medien. Die Chancen für Melonis Truppe stünden 60 zu 40 auf Sieg.

Bei der Wahl vor vier Jahren lagen die "Brüder Italiens" noch auf dem Niveau einer Splitterpartei mit vier Prozent. Die großen Gewinner waren damals die linkspopulistische "Bewegung fünf Sterne" und die rechtspopulistische "Lega". Die Sterne wurden mit über 32 Prozent stärkste Partei. Die Lega holte 17 Prozent. Beide schnitten damals übrigens besser ab als in den Meinungsumfragen vorausgesagt.

Nach rechts verschoben

Heute, zwei Regierungen unter der Führung der "Fünf Sterne" und eine Technokratenregierung unter dem parteilosen Banker Mario Draghi später, hat sich die Verteilung der Gewichte komplett geändert. Die Linkspopulisten sind auf 12 Prozent zurückgefallen. Die rechtsradikale Lega unter Führung von Matteo Salvini kommt ebenfalls nur auf 12 Prozent. Die Führungsrolle im rechten Lager hat eindeutig die 45 Jahre alte Giorgia Meloni übernommen. Sie hat die beiden rechten Alpha-Männer Salvini und Silvio Berlusconi hinter sich gelassen. Der mittlerweile 85 Jahre alte Berlusconi liegt mit seiner "Forza Italia" bei sieben Prozent.

Wahlplakate an einer Wand in Rom, Italien
Wahlwerbung in Rom: Salvini, Meloni und Berlusconi haben sich rechts verbündetBild: Andrea Roncini/Pacific Press Agency/IMAGO

Meloni, Salvini, Berlusconi und eine weitere rechte Splitterpartei haben vor den Wahlen eine Koalition geschmiedet. Das komplexe italienische Wahlrecht mit einer Mischung aus Mehrheits- und Verhältniswahl bevorzugt Koalitionen und Parteienbündnisse. Das rechte Lager verfolge da die richtige Strategie, meint der Politologe Lorenzo De Sio, der an der LUISS Universität in Rom italienische Wahlkämpfe erforscht. "Die Parteien, die traditionell Menschen aus dem linken Lager vertreten, haben es nicht geschafft, eine Koalition zu formen. Das wird den Rechten zu einem riesigen Vorteil gereichen", sagt De Sio der DW.

Donna Andrea aus Rom bei Wahlkampfveranstaltung von Giorgia Meloni
Meloni-Fan Andrea: Ganz ohne Quote nach obenBild: Adriaan De Loore/DW

"Eine starke Frau"

Es ist also relativ wahrscheinlich, dass Staatspräsident Sergio Mattarella, ein Sozialdemokrat, zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg eine rechtsextreme Parteiführerin auffordern muss, eine Regierung zu bilden. Den Auftrag erhält nach der Verfassung die Vertreterin der stärksten Partei.

Andrea, eine Anhängerin der Meloni-Partei "Brüder Italiens", findet es gut, dass eine Frau an der Spitze der Regierung stehen könnte. "Sie ist eine starke Frau, die nach ohne jede Frauenquote nach oben gekommen ist. Unter Giorgia Meloni wird die Rechte mit Sicherheit keine radikale, sondern eine, die die fundamentalen Interessen Italiens verteidigt. Eine nationale Rechte, keine radikale“, sagt Giovanna der DW am Rande einer Wahlkampfveranstaltung.

Meloni gibt sich moderat

Giorgia Meloni gab sich in den vergangenen Wochen bei Interviews und öffentlichen Auftreten Mühe, ihr Image als Rechtsextreme oder gar als Post-Faschistin abzulegen oder zumindest weich zu spülen. Sie sei eine Konservative, die für traditionelle Werte wie die Familie aus Mann, Frau und Kindern kämpfe. Einwanderung von Menschen, die nicht wie die Ukrainer offensichtlich vor einem Krieg fliehen, will sie komplett unterbinden. Europa will sie nach italienischen Vorstellungen umformen und sich von der EU-Kommission in Brüssel keine Vorschriften machen lassen. Da geht sie ganz im Gleichschritt mit den nationalkonservativen Regierungen in Polen und Ungarn, die mit der EU wegen gravierender Defizite beim Rechtsstaat über Kreuz liegen. Konflikte mit dem sozialdemokratischen Bundeskanzler Olaf Scholz sind bei den EU-Gipfeln vorprogrammiert.

Sozialdemokratischer Parteichef Letta  spricht bei einer Wahlkampfveranstaltung
Sozialdemokratischer Parteichef Letta: Sein Gewinn wäre eine große ÜberraschungBild: Alessandra Tarantino/AP/picture alliance

Meloni, die als Schülerin ihre politische Karriere in einer faschistischen Jugendorganisation begann, betont gerne ihre Nähe zu den Republikanern von Donald Trump in den USA, ihre Sympathien für den Brexit und ihre guten Verbindungen zu rechten Populisten in ganz Europa. Sie ist Vorsitzende der Europäischen Partei der Konservativen und Reformisten, einem Zusammenschluss rechtsnationaler Parteien.

Italiens Gesellschaft ist gespalten

Im Wahlkampf spielte vor allem die Frustration vieler Italienerinnen und Italienern mit den bisherigen Regierungen eine Rolle. Selbst die große Koalition, mit der Mario Draghi das Land relativ erfolgreich zu Aufschwung nach der Corona-Krise führte, hat in Augen vieler Wähler doch versagt. "Viele Leute sind irgendwie enttäuscht. Aus dieser Enttäuschung konnte Meloni Kapital schlagen“, analysiert Professor Lorenzo De Sio. Die "Brüder Italiens" waren als einzige Partei nicht an der supergroßen Koalition der letzten 18 Monate beteiligt. "Giorgia Meloni konnte ihre Politik verkaufen, ohne die Entscheidungen dieser großen Koalition irgendwie verteidigen zu müssen."

 Giovanna, Anhängerin der liberalen Politikerin Emma Bonino
Giovanna, liberale Parteigängerin: Sie sieht düstere Zeiten für ItalienBild: Adriaan De Loore/DW

Auf einer Wahlveranstaltung einer der kleinen liberalen Splitterparteien treffen wir Gaia, die den bevorstehenden Rechtsruck in Italien mit Sorge sieht. "Ich glaube, wenn Meloni gewinnt, wird es keine plötzlichen Umwälzungen geben. Doch nach einigen Monaten werden sie uns schrittweise alles wegnehmen, was wir bisher erreicht haben. Ich bin sehr besorgt, dass meine drei Kinder die Freiheitsrechte, die ich hatte, nicht mehr genießen können“, sagt Gaia der DW und meint unter anderen das Recht auf Abtreibung.

Die Sorgen teile etwa die Hälfte der Italiener, so Politik-Experte Lorenzo De Sio im DW-Gespräch. "Die Wählerschaft ist genau in der Mitte gespalten. Die eine Hälfte sieht sich links, die andere rechts.“ Diesmal habe es die Rechte geschafft, sich wahltechnisch besser zu positionieren. Giorgia Meloni, so schätzt er, werde wohl erst einmal in der Regierung pragmatisch von allzu radikalen Positionen abrücken und auch die Politik der EU gegen Russland weiter stützen. Ganz genau wisse man das aber nicht. "Es ist noch zu früh, Vorhersagen über sie zu machen."

Die Wahllokale haben seit sieben Uhr geöffnet und schließen um 23 Uhr MESZ. Dann werden sofort erste Prognosen veröffentlicht. Verlässliche Hochrechnungen und die Berechnung der Sitzverteilung in den beiden gleichberechtigten Parlamentskammern, Abgeordnetenhaus und Senat, folgen erst im Laufe der Nacht.

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union