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"Warum tut uns Gott das an?"

Bernd Riegert, zur Zeit Amatrice25. August 2016

Das Erdbeben hat Dörfer in den italienischen Abruzzen ausgelöscht. Die Retter und Helfer suchen weiter nach den Verschütteten. Es liegt manchmal eine seltsame Stille über den Unglücksorten. Bernd Riegert aus Amatrice.

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Retter zwischen den Trümmern von Amatrice (Fotoo: getty)
Bild: Getty Images/C. Court

Die Zeit läuft für die Rettungsmannschaften in dem halb zerstörten Dorf Amatrice. "Es gibt noch Chancen, weil Verschüttete oder Eingeschlossene manchmal zwei, drei Tage überleben", sagte einer der Hundeführer, der mit seinem Suchhund aus Bologna in das Erdbebengebiet gekommen ist. Die Hunde werden immer wieder durch die Trümmerfelder geführt, die bis zum Beben in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch noch stattliche Häuser waren. Schlägt einer der Hunde an, könnte sich unten in einem Hohlraum noch ein Mensch verbergen. Feuerwehrleute klettern vorsichtig durch die Trümmer. Der Anführer bläst auf einer Trillerpfeife und verlangt laut schreiend "Silenzio!" - Ruhe. Dann fällt die ganze Umgebung in tiefes Schweigen. Alle Maschinen stoppen. Kein Wort darf mehr geredet werden.

Selbst die Journalisten müssen ihre Übertragungen unterbrechen. Plappert trotzdem einer weiter, rufen die Dorfbewohner, die ihre Angehörigen suchen, laut "Stronzo" und andere Schimpfwörter, damit endlich alle schweigen. Die Suchmannschaften hoffen auf Klopfsignale oder Hilferufe aus den Schuttbergen. Der Anführer des Suchtrupps brüllt ab und zu unvermittelt in die Stille: "Wir sind hier. Wenn du lebst, klopfe, schlage, rufe, damit wir dich hören!"

Warten auf die Rettung

Dieses Mal hat es nicht geklappt, aber die Rettungsmannschaften konnten noch einige Menschen aus den Trümmern retten. Wenn sie gefunden werden, müssen sie oft noch stundenlang ausharren, bis alle Holzbalken, Betonklötze und Ziegelsteine abgetragen werden können - ohne, dass der Rest des Gebäudes noch einstürzt und die georteten Menschen wieder tiefer verschüttet. Plötzlich wackelt die Erde. Die Reste der Fassade eines Klosters schwanken bedrohlich, obwohl sie von einem Bagger abgestützt werden. Die Suchmannschaften verlassen so schnell es geht den Trümmerberg. Auf den aufgerissenen Strafen fliehen die Umstehenden, Polizisten, Soldaten, Journalisten in alle Richtungen. Doch vor den Nachbeben, die meist nur ein paar Sekunden dauern, kann man nicht wirklich fliehen.

Die Suchtrupps geben die Hoffnung nicht auf, Überlebende zu bergen (Foto: getty)
Die Suchtrupps geben die Hoffnung nicht auf, Überlebende zu bergenBild: Getty Images/C. Court

Wohin auch? Die Erde bebt überall in Amatrice. Die Fassade des Klosters ist diesmal stehen geblieben. Beim Hauptbeben sind die Stockwerke des alten Gemäuers wie ein Kartenhaus zusammengekracht. Bis zu sieben Nonnen werden unter den Trümmern vermutet. Die Helfer brechen mit einem kleinen Bagger die Wände und Fenster der noch halb intakten Zimmer auf, um die Frauen zu finden. Das geht die ganze Nacht hindurch so, obwohl dies in der Dunkelheit extrem schwierig und für die Rettungskräfte gefährlich ist. Keine Straßenlaterne brennt. In keinem der Häuser von Amatrice brennt mehr Licht. Die Stromversorgung ist zusammengebrochen. Nur die Feuerwehr sorgt mit Aggregaten und Lichtwagen für die Beleuchtung, an den Stellen, wo noch gesucht werden kann, wo es vielleicht Klopfzeichen gibt.

Kurzer Besuch von Renzi

Die Männer arbeiten ruhig, nicht hektisch, vorsichtig mit Bedacht. Im ehemaligen Klostergarten beobachtet eine Überlebende von Amatrice das Geschehen. Sie betet, schlägt dann gebannt die Hände vor den Mund. Sie hofft, aber sie sagt auch: "Warum tut uns Gott das an?" Der Pfarrer von Amatrice, das für seine schönen Kirchen bekannt war, ist ebenfalls fassungslos. "Ich kann gar nichts sagen." Er hoffe nur, dass die Gemeinde die Kraft findet, irgendwie weiter zu machen. Hilfe bei der Rettung, bei der Unterbringung der Obdachlosen und beim vielleicht stattfindenden Wiederaufbau verspricht der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi. Der schwebt über die Köpfe der Rettungsarbeiter hinweg mit einem weißen Hubschrauber ein. Er landet kurz auf dem Sportplatz, klopf einigen Sanitätern und Feuerwehrleuten auf die Schulter. Er dankt ihnen für ihren Einsatz und verspricht schnelle finanzielle Hilfen für die vom Erdbeben zerstörten Bergdörfer. "Ganz Italien muss jetzt zusammen stehen." Nach ein paar Minuten ist der Regierungschef wieder weg.

Im benachbarten L'Aquila warten die Menschen auch Jahre nach dem verheerenden Erdbeben dort auf die vom Staat angekündigte Hilfe. "Die Menschen dort leben immer noch in Containern", erzählt ein italienischer Fotograf, der für australische Magazine arbeitet. "Bis das hier wieder steht, werden Jahren, wenn nicht Jahrzehnte vergehen."

Zerstörte Infrastruktur

Die Zufahrtsstraße nach Amatrice ist nach dem Beben weggesackt. An einer Stelle hängt der Asphalt über dem Abgrund in der Luft. Nur im Gänsemarsch können sich die Helfer an dieser Stelle vorbeischlängeln. Waghalsige Baggerfahrer rumpeln mit ihren schweren Maschinen über die Engstelle. Wie lange sie noch hält, weiß niemand. An der Straße liegt auch das Krankenhaus von Amatrice, das schwer beschädigt wurde. Das Rote Kreuz und das Krankenhauspersonal haben auf dem Parkplatz unter freiem Himmel ein Notlazarett aufgebaut. Ab und zu bringen die Rettungsmannschaften einen Patienten. Doch das eher selten. Oft werden nur noch Tote aus den Trümmern geborgen. Unter den Opfern sind relativ viele Kinder, weil viele im beschaulichen Amatrice, das als schönstes Dorf Italiens ausgezeichnet wurde, ihre Sommerferien verbrachten.

Die Bewohner Amatrices kommen teilweise in Notunterkünften, aber auch bei anderen Familien unter (Foto: Reuters)
Die Bewohner Amatrices kommen teilweise in Notunterkünften, aber auch bei Familien unterBild: Reuters/C. De Luca

Die Toten werden in Baumwolltücher gewickelt von acht Feuerwehrleuten im Laufschritt durch die verwüsteten Straßen getragen. Vorweg läuft ein Mann, der die vielen Menschen, die hier unterwegs sind auffordert, eine Rettungsgasse zu bilden. Dann kommt oft Unruhe auf, denn Dutzende von Kameraleuten versuchen, diesen schaurigen Transport zu filmen, zu posten, zu twittern. Die Dorfbewohner von Amatrice folgen diesem Spetakel wortlos und ringen um Fassung. Einige junge Mädchen sitzen vor den Trümmern ihres Hauses. Sie blicken leer, sind staubbedeckt. Viele Menschen graben mit bloßen Händen nach Vermissten.

Spenden erwünscht

Hilfe trifft inzwischen aus ganz Italien ein. Die Zufahrtsstraßen sind mit LKWs, Krankenwagen und Polizeifahrzeugen verstopft. Der Verkehr ist chaotisch. Ein viel zu riesiger 30 Tonnen schwer Sattelschlepper, der Dixie-Chemietoiletten geladen hat, versperrt den Weg. Auch die Helfer müssen sich organisieren und versorgen. Sie bauen im Tal auf freien Plätzen ihre Zeltlager auf, um schlafen und essen zu können. Auch für die Obdachlosen wurde ein Zeltlager errichtet. Wie lange sie dort ausharren müssen, ist unklar. Im Radio werden Aufrufe gestartet, ein Erdbebenopfer aufzunehmen, wenn man ein freies Zimmer anbieten kann. In den umliegenden Städten wird Blut gespendet. Selbst in Rom werden Sammelpunkte eingerichtet, um Sachspenden abgeben zu können.