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Italiens Flüchtlinge in der Schwebe

Megan Williams / kk22. Juni 2015

Jeden Tag kommen Tausende Geflüchtete über das Mittelmeer nach Italien. Sie hoffen auf eine bessere Zukunft im Norden Europas. Doch die EU kann sich nicht einigen. Megan Williams berichtet aus Rom.

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Italiens Flüchtlinge in Rom (Foto: DW)
Bild: DW/Megan Williams

In einem staubigen Landstreifen hinter dem renovierten Tiburtina-Bahnhof in Rom beseitigt ein Gabelstabler den Boden von Gestrüpp. Auf diese Weise schafft er mehr Platz für neue Zelte. Arbeiter gehen ihrer Beschäftigung nach, Jungen laufen einem Ball nach, während andere Migranten lustlos auf Plastikstühlen vor ihren Zelten sitzen.

Daniele Aloisi, ein 23-jähriger freiwilliger Helfer, steht in der Nähe eines Rote-Kreuz-Zeltes. Er grüßt erschöpfte Migranten, ein Großteil kommt aus Eritrea, dem Sudan und Somalia. Und fast alle haben gesundheitliche Probleme. "Die meisten von ihnen wollen weiter nach Norden", erklärt er. "Aber die Grenze ist geschlossen, und darum können sie nicht weiter."

In der Europäischen Union streiten die Politiker darüber, wer wie viele Flüchtlinge aufnehmen soll. Im Zuge dieses Streits hat Frankreich seine Grenzen für aus Italien kommende Flüchtlinge geschlossen. Bei einem Treffen in Luxemburg haben es die Minister der EU-Staaten nicht geschafft, sich auf einen von Italien vorgelegten Schlüssel zu einigen, nach dem die Flüchtlinge gleichmäßig auf die EU-Staaten verteilt werden sollen. Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi sah sich veranlasst, zu drohen: Italien werde allen auf dem Mittelmeer geretteten Flüchtlingen Papiere ausstellen, die es ihnen erlauben, weiter Richtung Norden zu reisen. Eine Drohung der er höchst wahrscheinlich keine Taten folgen lässt.

Flüchtlinge in Italien (Foto: DW)
Hoffen auf eine bessere Zukunft im Norden EuropasBild: DW/Megan Williams

Italien verlassen

In der riesigen, schlanken Bahnhofshalle schlendern verloren aussehende Teenager umher. Nähert man sich ihnen, schütteln sie den Kopf: Sie wollen weder Fragen beantworten noch Fotos von sich machen lassen. Die meisten haben Angst, ihre Identität preiszugeben. Denn sobald jemand Fingerabdrücke von ihnen nimmt, das würde belegen, dass sie Europa über Italien betreten haben - und dort wollen sie nicht bleiben.

Ein schlanker, hochgewachsener junger Mann aus Eritrea erklärt sich zu einem Interview bereit, will ebenso weder seinen Namen verraten noch sich fotografieren lassen. "Nach allem, was ich erlebt habe, will ich keinen weiteren Ärger", erklärt er und sichtlich nervös. Er sei zunächst von Eritrea nach Libyen gereist. Zusammen mit Hunderten Migranten wurde er auf ein Grundstück nahe Tripolis gebracht. Dort musste er so lange bleiben, bis seine Familie den Schmugglern 1850 Euros für die Überfahrt nach Italien geschickt hatte. 15 Stunden verbrachten er und die anderen Flüchtlinge auf See, bevor sie von einem italienischen Schiff gerettet und in die sizilianische Stadt Agrigent gebracht wurden. Jetzt wartet er darauf, weiter nach Schweden reisen zu können, wo sich seine Mutter bereits befindet.

Auf den Gehsteigen vor der Station sitzen ebenfalls ein paar junge Männer aus Eritrea. Einer von ihnen, Razade, so heißt er, sagt, er habe derzeit zu viel Angst, weiter zu fahren. "Ich habe Angst vor der italienischen Polizei", erklärt er. "Sie könnten mich entdeckten, mich festnehmen, und dann?" Dabei zeigt er auf seine Hand - ein Zeichen, dass er Angst hat, einen Fingerabdruck abzugeben.

Kein Ausweg

Auch er will nicht fotografiert werden. Er ist 28 Jahre alt. Doch sein Gesicht voller Falten lässt die Traumata erahnen, die er durchgemacht hat. In Eritrea musste er fünf Jahre Militärdienst leisten. Dann konnte er nach Libyen aufbrechen - mit einem Zwischenstopp im Sudan. Dort arbeitete er ein Jahr lang, um die Schmuggler bezahlen zu können. Wie Tausende andere wurde auch er auf einem Grundstück festgehalten, bedroht und misshandelt.

Flüchtlinge in Rom Baobab Zentrum, (Foto: DW)
Baobab-Zentrum: versucht den Flüchtlingen zu helfenBild: DW/Megan Williams

"Die Libyer, auf die wir getroffen sind, waren ignorant und äußerst grausam", erklärt er voller Zorn. "Sie fragen dich nicht nach deinem Geld, sie schlagen dich einfach, prügeln mit einem Stock auf dich ein."

Razade hat anders als viele andere Eritreer keine Verwandten in Europa. Gerne würde er aber in Deutschland einen Asylantrag stellen. Dort gebe es Arbeit. Das habe er zumindest gehört.

Als er dann aber ein Ticket gekauft habe und in einen Bus nach Berlin steigen wollte, sagte man ihm, dass er ohne Papiere nicht mitkönne. "Wo sind Ihre Dokumente", habe ihn der Busfahrer gefragt. Als er ihm antwortete, er habe keine, sagte er ihm, er könne nicht mit. "Er hat mich aus dem Bus geschmissen", erzählt Razade .

Das Gefühl, abgewiesen zu werden, teilt Razade mit Hunderten anderer Flüchtlinge, die in dem nahe gelegenen Baobag-Zentrum Schutz suchen. Das Zentrum bemüht sich, die Richtung Norden strebenden Flüchtlinge mit Nahrung zu versorgen und ihnen medizinische Hilfe zukommen zu lassen.

Zwei Kontinente - ein Problem

Kleine Kinder spielen im Hof des Zentrum, während ihre erschöpften Eltern auf dem Bürgersteig liegen, neben Bergen gespendeter Kleidung.

Gemma Vecchio betreibt die Hilfsorganisation Casa Africa. Die aus Eritrea stammende Frau schüttelt angesichts der fehlenden Organisation den Kopf. "Hier kommen sehr viele Menschen hin, an einigen Tagen sind es über 700. Aber es gibt nicht genügend Platz. Sie können hier nicht schlafen", erklärt sie mit einem Anflug von Verzweiflung.

Doch diese Woche wurden wieder Hunderte Personen gerettet und nach Süditalien gebracht - der Strom der Flüchtlinge wird so bald nicht abreißen.

Über die Frage, was Europa tun könne, um der Flüchtlingswelle etwas entgegenzusetzen, braucht Emma nicht lange nachzudenken: Europa sollte stärker mit den afrikanischen Staaten zusammenarbeiten, um die Kriege zu beenden und die Entwicklung zu unterstützen.

"Und diesen Leuten hier", sagt sie, und zeigt auf die Flüchtlinge, "sollte man eine Ausbildungsmöglichkeit geben. Gleichzeitig sollte man in Afrika Projekte aufziehen, sodass sie zurückgehen können." Zwar erklären die europäischen Politiker, sie wollten die Wurzeln der Krisen beseitigen. Tatsächlich streiten sie aber um Verteilungsquoten. .