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Europäische Kultur in Breslau

Bernd Riegert17. Januar 2016

Nicht national, sondern europäisch will Breslau sein, trotz anderer Töne von der Zentralregierung in Warschau. Am Sonntagabend wurde bunt in die Europäische Kulturhauptstadt gestartet. Bernd Riegert berichtet.

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Berta Labul (Foto: DW)
Voller Einsatz: Berta Labul läutet für die Kultur auf dem Marktplatz in BreslauBild: DW/B. Riegert

Breslau - europäische Kulturhauptstadt 2016

Voller Freude läutet Berta Labul ihre weiße Porzellanglocke. Drei Stunden hat sie zusammen mit Tausenden Breslauern am Sonntagabend auf dem Marktplatz bei eisigen Temperaturen die etwas langwierige Eröffnungsshow der Europäischen Kulturhauptstadt 2016 verfolgt. Doch jetzt ist sie glücklich und stolz auf ihre Stadt, die in diesem Jahr Europa ihre bewegte und komplizierte Geschichte erzählen will. Mit dem Glockenläuten der Breslauer, das auch von den Glocken der vielen Kirchen in der Altstadt unterstützt wird, beginnt das Programm offiziell. Vier Umzüge, die die vier Geister der Stadt symbolisieren, waren durch ganz Breslau gezogen und hatten sich am Abend auf dem Marktplatz vereinigt: Wiederaufbau, Erneuerung, Flut und die Vielfalt des Glaubens.

Polen Europäische Kulturhauptstadt Breslau 2016
Geist des Wiederaufbaus: Reisende mit Koffer erzählen von allen VertreibungenBild: DW/B. Riegert

Die 1300 Teilnehmer der Umzüge bauten ein komplexes stählernes Gerippe zusammen, an dessen Spitze ein Glocke schwang. Über den Markt schwebten drei Engel-ähnliche Wesen, die das Publikum nicht mit Schnee, sondern mit Millionen von schneeweißen Gänsefedern bedeckten. Auf Großleinwänden wurde das Spektakel in der Stadt übertragen. Ausgedacht hat sich die Show der britische Regisseur Chris Baldwin, der die vier Geister Breslaus erwecken wollte. Im Sommer und Ende des Jahres sind weitere Teile der Performance geplant. Fließen und Himmelsnetz sollen sie heißen.

Akrobaten stellen Oder-Flut dar (Foto: DW)
Einer der Breslauer Geister: Die Oder-Flut, die Bürger zur Zusammenarbeit zwingtBild: DW/B. Riegert

"Für Kultur aufwecken"

Die Glocken, die extravagante Show aus Licht sowie neuer Musik eines Breslauer Komponisten haben den Startschuss für ein umfangreiches Kulturprogramm mit Hunderten von Konzerten, Theateraufführungen, Ausstellungen und Projekten gegeben. Breslau lädt zu einer Poesie-Werkstatt, erklärt Anfängern polnisches Kino, entwickelt eine Wohnstadt der Zukunft und bittet zum gewaltfreien Zirkus. Krzysztof Maj, Direktor der Kulturhauptstadt und Herr über ein Budget von 75 Millionen Euro, will natürlich auch große Namen nach Breslau holen, aber ihm geht es vor allem darum, die Bürger der Stadt mitzunehmen.

"Es gibt nicht nur die klassischen Aufführungen im Theater oder im Kino, sondern man kann Kultur hier auf der Straße, im Park, im Hof treffen, ja sogar im eigenen Wohnzimmer", sagt Maj der DW. "Wir haben nämlich ein Programm, wo man die Theatertruppe in sein Haus einladen kann, für eine Party oder so etwas. Wir wecken Leute für die Kultur auf."

Krzysztof Maj (Foto: DW)
Kultur zuhause: Krzysztof MajBild: DW/B. Riegert

Deutsch, polnisch, kompliziert

"Die Deutschen sind nicht gekommen" hieß eine Ausstellung im Vorfeld der Kulturjahres, die ironisch mit den Ängsten der älteren Polen vor einer Rückkehr der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg spielte. Und damit ist man mittendrin in der komplizierten Geschichte von Breslau, auf polnisch Wroclaw. Die vor über 1000 Jahren auf einer Oder-Insel gegründete Stadt gehörte in ihrer Geschichte zu vier Staaten und trug sieben Namen. Vor siebzig Jahren, nachdem Deutschland den verbrecherischen Zweiten Weltkrieg verloren hatte, änderte sich Breslau radikal. Die Stadt war zu 80 Prozent zerstört.

Breslau und Wroclaw sind Europa

"Vor dem Kriege war Breslau eine deutsche Stadt. Nach dem Kriege ist Wroclaw eine polnische Stadt", erklärt Stadtpräsident Rafal Dutkiewicz im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Es kam hier zu einem einhundertprozentigen Austausch der Bevölkerung, was eine Schande ist. Die Menschen zu vertreiben ist eine Schande." Die Polen, die nach den Deutschen in Breslau angesiedelt wurden, waren auch Vertrieben, und zwar aus der heutigen Ukraine. "Aber wir versuchen zu zeigen, dass wir auch diese Grenze irgendwie passieren können", sagt der Stadtpräsident, dessen Amt ungefähr dem eines deutschen Oberbürgermeisters entspricht. "Heute ist es eine wunderschöne polnische Stadt, aber die Stadt gehört allen Einwohnern, auch allen Deutschen, Österreichern, Tschechen, Juden, die hier irgendwann gewohnt haben. Das ist auch eine Botschaft, die wir 2016 senden wollen", so Rafal Dutkiewicz. Diese Vielfalt soll die Grundlange für die Kulturhauptstadt sein. "Damit ist Breslau ein Superbeispiel für Europa", findet der Stadtpräsident.

Nationales Forum für Musik mit Zwerg (Foto: DW)
Offen für Europa: Rafal DutkiewiczBild: DW/B. Riegert

Von der Europa-Skepsis der neuen national-konservativen Regierung in Warschau will der Breslauer Stadtpräsident, der parteilos ist, nichts wissen. "Ich lehne Nationalismus jedweder Art ab", so Dutkiewicz, der in seinem Amtszimmer im historischen Rathaus die blaue Europaflagge mit dem gelben Sternenkranz stehen hat. Die polnische Ministerpräsidentin hatte die EU-Flagge aus ihrem Amtssitz in Warschau demonstrativ entfernen lassen.

Breslau war immer kritisch

Druck von der neuen Regierung auf die Macher der Europäischen Kulturhauptstadt gebe sich nicht, sagt der Leiter des Projektes, Krzysztof Maj. Breslau sei schon immer kritisch und avantgardistisch gewesen. Das werde auch im Jahr der Kulturhauptstadt so bleiben. Dass Breslau immer schon ein wenig anders war, daran erinnern über 300 kleine Bronzezwerge, die überall in der Stadt verteilt sind. Sie sind Symbol für den Widerstand gegen die kommunistischen Machthaber in den 1980er Jahren, erklärt die Stadtführerin Malgorzata Urlich-Kornacka. "Die Leute haben damals beschlossen, sich als Zwerge zu verkleiden. Mit orangenen Zipfelmützen und T-Shirts wollten sie mit Humor und Ironie gegen die damalige kommunistische Regierung kämpfen." Seit 2001 wird daran mit den Metall-Zwergen erinnert. Jeder kann sich einen gießen lassen und vor die Haustür stellen.

Rafal Dutkiewicz (Foto: DW)
Ein Zwerg dirigiert das Orchester: Nationales Forum für MusikBild: DW/B. Riegert

Ein ganzes Zwergenorchester spielt vor dem neuen Nationalen Forum für Musik in Breslau auf. Der ultramoderne Konzertsaal wurde gerade rechtzeitig vor dem Europäischen Kulturjahr fertig. Auch andere Kulturstätten werden saniert und modernisiert. Das sind Dinge, die auch nach 2016, für die Menschen vom Europäischen Jahr bleiben werden, meint Direktor Krzystzof Maj.

Kultureller Olymp

Für Breslau werde das Kulturjahr eine gute Sache, glaubt der Musikstudent Jonasz Dziuba. Es würden viele Besucher kommen und die sehr lebendige Musikszene kennenlernen. Breslau ist eine junge Stadt. 20 Prozent der Einwohner sind Studenten. Jonasz Dzuiba bläst im weiß-roten Informationszelt der Kulturhauptstadt seine Trompete. Mit dicken Wollhandschuhen, denn es ist eiskalt. "Die Kulturhauptstadt ist für uns das, was die Olympischen Spiele im Sport sind. Dabeisein ist alles." Das wird ein gutes Jahr, glaubt er.