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Anne Frank in Japan

Julian Ryall; hm;hjh2. März 2015

Anne Franks Tagebuch wird auf der ganzen Welt gelesen, besonders in Japan ist es beliebt. Auch 70 Jahre nach dem 2. Weltkrieg ist das Mädchen aus Amsterdam für junge Japaner eine Identifikationsfigur.

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Japan: Bronzefigut von Anne im Garten der Holocaust-Gedenkstätte
Bild: DW/J. Ryall

Mehr als 9000 Kilometer und eine ganze Menge kulturelle, historische und sprachliche Barrieren trennen Japan und die Niederlande voneinander. Und doch weiß jeder Teenager in Japan, wer Anne Frank war. Die Übersetzung des Tagebuchs, das das jüdische Mädchen in ihrem Amsterdamer Hinterhaus-Versteck während der Besatzungszeit der Nazis schrieb, steht heutzutage in den Bücherregalen jeder japanischen Schule, ganz zu schweigen von den öffentlichen Bibliotheken.

Annes Geschichte ist auch als Manga-Comic im japanischen Stil erschienen, bearbeitet und animiert fürs Fernsehen. Japaner gehören zu den häufigsten Besuchern des Anne-Frank Hauses in der Amsterdamer Prinsengracht. Dort versteckte sich das Mädchen mit seiner Familie zwei Jahre lang, bevor sie 1944 verhaftet und nach Auschwitz deportiert wurde. 1945 kamen sie und ihre Schwester ins Konzentrationslager Bergen-Belsen. Jeder Japaner, der Anne Franks Tagebuch gelesen hat, weiß inzwischen, dass sie dort nur wenige Wochen vor Kriegsende starb - gerade mal 15 Jahre alt.

"Nachdem das Tagebuch der Anne Frank 1952 zum ersten Mal auch in Japan erschien, wurde sie hier zum Symbol für die 1,5 Millionen Kinder und Jugendlichen, die als Opfer des Holocaust ums Leben kamen und umgebracht wurden", sagt Makoto Otsuka, der Gründer des Holocaust Education Center in Fukuyama City, einer Stadt im Süden des Landes. Otsuka hat das Zentrum im Jahr 1971 nach einem persönlichen Treffen mit Annes Vater, Otto Frank, ins Leben gerufen, um hier eigene Recherchen über den Holocaust in Europa durchzuführen.

Anne Frank Tagebuch mit ihrer Handschrift und eingeklebten Fotos
Bild: picture-alliance/dpa

"Gegensätze ziehen sich an…"

"Die Menschen besuchen unser Zentrum, um etwas über die europäische Geschichte in der Zeit zwischen 1933 und 1945 zu erfahren und darüber, was in der Nazi-Zeit mit den Juden geschah", sagt Makoto Otsuka im DW-Gespräch. "Unser Ziel ist es, dass Besucher, insbesondere Kinder und Jugendliche, darüber nachdenken, wie wir Frieden in der Welt schaffen können."

Als einzige Einrichtung dieser Art in Japan besitzt das Holocaust Education Center in Fukuyama City eine Sammlung von gespendenten Gegenständen aus aller Welt, die die Geschichte der Juden in Europa in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erzählen. Und es gibt auch eine Abteilung, die ausschließlich Anne Frank gewidmet ist. Im Garten des Zentrums steht ein junges Bäumchen, das am 27. Januar 2011, dem Internationalen Holocaust-Gedenktag, gepflanzt wurde. Es ist ein Ableger des Kastanienbaums, der in Amsterdam vor dem Fenster von Annes Versteck stand.

Otsuka glaubt, dass die kulturellen Beziehungen zwischen Juden und Japanern Jahrhunderte zurückreichen und daraus eine ganz spezielle Bindung erwachsen ist. "Es gibt zwar keine historisch überprüfbaren Fakten, aber manche glauben, dass jüdische und japanische Menschen die gleichen Vorfahren haben", sagt er. "Es gibt Leute, die Übereinstimmungen im Judentum und in der Shinto-Religion gefunden haben, genauso wie in der Aussprache des Hebräischen und des Japanischen."

Fotos an den Wänden: Innenraum der Anne Frank-Gedenkstätte in Japan.
Gedenkraum des Holocaust Education Center in FukuyamaBild: DW/J. Ryall

Rabbi Abraham Cooper, der stellvertretende Direktor des Simon Wiesenthal Centers in Los Angeles und regelmäßiger Gast in Japan, vermutet, die Faszination der Japaner für das Judentum könne auf dem Phänomen "Gegensätze ziehen sich an" beruhen. "Ich glaube, dass beide Seiten den Anderen als einzigartig ansehen – und das nicht in einem negativen Sinn. Der andere Punkt, der uns näher zusammenbrachte, ist die Tatsache, dass die Juden während des Kriegs in Japan und besonders in Shanghai, einen sicheren Hafen gefunden haben."

Der japanische Oskar Schindler

Die Geschichte des japanischen Vizekonsuls Chiune Sugihara, der in der Botschaft in Litauen stationiert war, ist weitgehend unbekannt. Während des Krieges half er mehr als 6000 litauischen Juden, vor den Nazis zu fliehen und im relativ sicheren japanischem Territorium in Fernost unterzukommen. Sugihara, der "japanische Oskar Schindler", wurde nach dem deutschen Industriellen und Judenretter Oskar Schindler benannt. Er widersetzte sich dem Befehl aus Tokio, nur Transitvisa für Juden mit den nötigen Geldmitteln und Dokumente auszustellen, die ihnen nach einem Zwischenstopp in Japan die Weiterreise in andere Länder ermöglichen sollten. Sugihara stellte jedem ein Visum aus.

Trotz des militärischen Bündnisses mit Nazi-Deutschland entschied sich Japan dafür, bei der Einreise europäischer Juden ein Auge zuzudrücken und sie nicht zurückzuschicken. Japanische Historiker schätzen, dass Sugihara bis zu 20 Stunden am Tag Visa ausstellte, bis er am 4. September 1941 seinen Posten verlassen musste, weil das Konsulat in Kaunas geschlossen wurde. Für den Rest des Krieges wurde Chiune Sugihara in Osteuropa für andere Aufgaben eingeteilt. Als sowjetische Truppen die rumänische Hauptstadt Bukarest eroberten, wurde er festgenommen. Sugihara kam zusammen mit seiner Familie für 18 Monate in Kriegsgefangenenschaft, bevor sie alle nach Japan zurückgeschickt wurden. Zurück in Tokio wurde er wegen seines zivilen Ungehorsams in Litauen aus dem Dienst im japanischen Außenministerium entlassen.

1985 wurde der ehemalige Botschafter vom Staat Israel zu einem "Gerechten unter den Völkern" ernannt, einer Auszeichnung für Nichtjuden, die Juden in der Nazi-Zeit vor der Ermordung retteten. Ein Jahr später starb Chiune Sugihara.

Deutschland Anne-Frank-Zentrum in Berlin
Weltweiter Lesestoff: Das Tagebuch der Anne Frank kann man in mehr als 100 Ländern kaufenBild: DW/H. Mund

Anne als Identifikationsfigur

Heute wird Suhiharas Geschichte in japanischen Schulen unterrichtet - zusammen mit der Lebensgeschichte von Anne Frank "Anne ist ein sehr wichtiger Maßstab hinsichtlich unserer erzieherischen Bemühungen in Japan", sagt Rabbi Cooper, dessen Organisation schon mehrere Ausstellungen über den Holocaust in Japan organisiert hat.

Er glaubt, dass es mehrere Gründe gibt, wieso Annes Geschichte so einen großen Eindruck auf die japanische Bevölkerung hat. "Es ist die Geschichte eines Kindes, dass sich unverschuldet in einer schrecklichen Lage wiederfindet. Und dieses Mädchen ist aufrichtig, es öffnet sich auf so vielen verschiedenen Ebenen. Sie spricht von ihrem ersten Kuss und von ihren Hoffnungen für die Zukunft." Weil Anne Frank nicht damit gerechnet hat, dass jemals jemand ihr Tagebuch lesen würde, habe es eine besondere Authentizität, fügt der Rabbi hinzu.

"Viele junge Japaner haben kaum eine Privatsphäre, daher können sie sich auch mit Annes vehementen Kampf um Freiräume identifizieren", sagt Cooper. "Aber vor allem spricht hier ein junges Mädchen, dessen Leben doch bedroht war, ohne Zensur von ihren Hoffnungen und Ängsten. Von denselben Gefühlen, die die Jugendlichen von heute noch haben."