Nobelpreisträger Kenzaburo Oe gestorben
13. März 2023Wie sein Verlag Kodansha mitteilte, starb Kenzaburo Oe bereits am 3. März im Alter von 88 Jahren. Als Todesursache wurde Altersschwäche genannt.
Oe machte sich in Japan und weit darüber hinaus einen Namen durch sein Engagement als Friedensaktivist und Atomkraftgegner. Bis ins hohe Alter war er ein steter Mahner und Warner und bezog auch gegen die regierende konservative Regierung Stellung, als diese die pazifistische Nachkriegsverfassung ändern wollte. Immer wieder meldete sich Oe, der lange als literarischer Einzelgänger oder linksintellektueller Bürgerschreck galt, zu dem Thema zu Wort.
Als die Regierung des kürzlich ermordeten rechtskonservativen Ex-Regierungschefs Shinzo Abe unter anderem ein Gesetz zur verschärften Bestrafung von Geheimnisverrat erließ und eine Stärkung der Rolle des Militärs vorantrieb, warnte Oe schon vor einem Rückfall Japans in die Zeiten, die zum Zweiten Weltkrieg führten.
Literaturnobelpreis für das "schwarze Schaf"
Den Literaturnobelpreis erhielt Oe im Jahr 1994. Das schwedische Nobelpreiskomitee würdigte damals nicht nur Oes literarisches Schaffen, sondern auch seine Rolle als Sozialkritiker sowie Mahner vor kritikloser Verwestlichung seines Heimatlandes.
Oe, der sich selbst einmal das "schwarze Schaf der japanischen Literatur" nannte, zählte Thomas Mann zu seinen Vorbildern, wenn es um die Verbindung von literarischer und gesellschaftspolitischer Bedeutung geht.
Herausragender Schriftsteller
Für viele war Oe der erste moderne Schriftsteller Japans mit starken europäischen Einflüssen und Prägungen, nicht zuletzt durch den französischen Existenzialismus. Seinen literarischen Durchbruch erzielte Oe allerdings mit seiner frühen Erzählung "Der Fang" (1958) über die Erlebnis- und Erfahrungswelt von Kindern durch Kriegseindrücke.
Nicht immer war er - vor allem für Leser in der westlichen Welt - leicht lesbar und konsumierbar. Gern stellte Oe europäische Lesegewohnheiten auf den Kopf ("Ich mache es meinen Lesern nicht leicht"), sein literarischer Rang war aber bald und schon vor der Nobelpreisverleihung anerkannt - Henry Miller rückte Oe sogar in die Nähe eines Dostojewski.
Oe selbst nannte seinen Erzählstil grotesken Realismus und berief sich dabei gern auf den französischen Dichter François Rabelais (1494-1553). Aber auch deutsche Autoren wie Grimmelshausen und Goethe beeindruckten ihn.
Umstritten, aber eine moralische Instanz
In seiner Heimat war Oe wegen seiner eindeutigen Positionen nicht unumstritten, galt aber gleichwohl als das soziale Gewissen Japans. Der frühere Bundeskanzler Willy Brandt meinte einmal, Oe spiele in seinem Land offenbar dieselbe Rolle wie Günter Grass in Deutschland - den Nestbeschmutzer.
Beide Literaturnobelpreisträger - Oes Briefwechsel mit Grass erschien in Deutschland 1995 - thematisierten in Werk als auch in Tat die Lehren aus der schmerzlichen Vergangenheit ihrer Länder.
Hiroshima als Lebensthema
Ein weiteres zentrales Thema für Oe, der am 31. Januar 1935 auf der Insel Shikoku im Südwesten Japans als Spross einer adligen Samurai-Familie geboren wurde und von seiner ländlichen Herkunft geprägt blieb, war der Atombombenabwurf auf Hiroshima am 6. August 1945.
"Hiroshima muss in unseren Erinnerungen eingeprägt sein: Es ist eine Katastrophe, die noch dramatischer als Naturkatastrophen ist, weil sie von Menschen gemacht ist. Dies durch dieselbe Missachtung für menschliches Leben in Atomkraftwerken zu wiederholen, ist der schlimmste Verrat an die Erinnerung der Opfer von Hiroshima", sagte Oe in einem Interview nach der Atomkatastrophe von Fukushima.
Schicksalsschläge in Romanen verarbeitet
Kurz vor seinem 80. Geburtstag kamen in deutscher Übersetzung seine autobiografischen Essays in "Licht scheint auf mein Dach" heraus. Darin geht es um seinen 1963 geborenen und von Geburt an geistig behinderten Sohn Hikari, der klassische Musik komponiert. Die Geburt seines Sohnes war auch Thema seines vielleicht bekanntesten Romans, des Meisterwerks "Eine persönliche Erfahrung" von 1964. Ein "Akt der Selbstentblößung, wie ihn die europäische Literatur kaum kennt", schrieb ein Kritiker dazu.
Auch den Suizid seines Schwagers, des Filmregisseurs Jūzō Itami, im Jahr 1997 verarbeitete Oe in einem Roman. "Torikaeko" (deutsch: "Der Wechselbalg") von 2002 wurde von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung als "über weite Strecken dialogisch angelegter Künstlerroman, Familienroman und kritisches, nachdenkliches Essay zugleich" gewürdigt. Und auch in dem Buch "Tagame. Berlin - Tokyo" (2005) beschreibt Oe die verstörenden Folgen des Selbstmords eines Regisseurs auf dessen Freunde und Familie.
mak/fab (rtr, afp, dpa)
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