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Jerofejew: "Der Anfang vom Ende Putins"

Anastassia Boutsko / MN21. März 2014

Sein Thriller "Akimuden" weist deutliche Parallelen zu den aktuellen Ereignissen auf der Krim auf. Im DW-Interview sagt der russische Schriftsteller Viktor Jerofejew, wie er die Lage auf der Halbinsel einschätzt.

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Viktor Jerofejew (Foto: imago/ITAR-TASS)
Bild: imago/ITAR-TASS

Der russische Schriftsteller Viktor Jerofejew hat in seinem Roman "Akimuden" ein Szenario beschrieben, das angesichts der Ereignisse auf der Krim fast wie eine Prophezeiung erscheint. Im Buch erklärt Russland einem unbekannten Staat den Krieg und erobert ein Gebiet, das gar nicht existiert. All das führt zu euphorischem Patriotismus.

DW-Korrespondentin Anastassia Boutsko sprach mit dem Schriftsteller in Köln am Rande des Literaturfestivals Lit.COLOGNE. Bei einer Podiumsdiskussion gratulierte Viktor Jerofejew den Ukrainern, die es nicht zugelassen hätten, dass der russische Präsident Wladimir Putin ihr Land "zu einem Hinterrad des russischen Imperiums macht".

DW: Die Krim ist für Sie nicht nur ein literarisches Thema. Sie haben auch einen direkten Bezug zur Halbinsel, weil Sie dort ein Haus besitzen. Wie schätzen Sie die aktuelle Lage dort ein?

Viktor Jerofejew: Diese Situation ist für mich eine Art weitere Lebensprüfung. In meinen Augen ist die Krim ein Ort der russischen Kultur. Ich habe in dem Ort Koktebel auf der Krim zu mir selbst gefunden. Warum? Weil vor mir schon sehr viele russische Literaten dort gewesen sind und ihre Werke geschrieben haben, wie Andrei Bely, Marina Zwetajewa, Anna Achmatowa, Michail Bulgakow, Ossip Mandelstam, Alexei Tolstoi und natürlich Maximilian Woloschin. Es ist ein Land des Streits und der Versöhnung. Die Krim steht für mich für die Fähigkeit der Russen, eine gemeinsame Idee zu finden. Aber das, was jetzt auf der Krim passiert, ist eine offene Aggression, die völkerrechtlich unbegreiflich ist. Man marschierte da einfach rein. So etwas tut man einfach nicht.

Russische Soldaten auf der Krim (Foto: Reuters)
Russische Soldaten auf der KrimBild: Reuters

Das Thema ist offensichtlich sehr schmerzhaft für Sie?

Natürlich. Nicht zuletzt, weil meine Tochter zur Hälfte Ukrainerin ist. Wir beginnen gerade damit, die Beziehung zwischen Russland und der Ukraine zu vergiften. Für die Menschen in der Ukraine ist die territoriale Integrität ein unverzichtbarer Teil der Staatsmentalität. Wäre ich ein ukrainischer Schriftsteller, wäre ich zutiefst entsetzt. Als Russe bin ich aber nur erschrocken. Nicht, weil ich keinen Schmerz empfinde - den empfinde ich durchaus -, sondern weil ich nicht unmittelbar unter Druck stehe.

Auch ein russischer Schriftsteller könnte viele Gründe haben, entsetzt zu sein.

Ich bin entsetzt über die Propaganda im Fernsehen. Ich habe noch nie in meinem Leben so viele Lügen gehört, so viel Täuschung gesehen. Fernsehbilder werden manipuliert, Ereignisse falsch wiedergegeben. So schlimm war es weder als sowjetische Panzer in die Tschechoslowakei rollten, noch im Laufe des sowjetischen Afghanistan-Krieges oder in der Kuba-Krise. Es ist schwer für mich, in einem Land zu leben, das sein eigenes Volk belügt.

Die Halbinsel Krim hat etwa zwei Millionen Einwohner. Wenn man den Ergebnissen des Referendums glaubt, dann haben sich die meisten dafür ausgesprochen, zu Russland gehören zu wollen. Ist so eine Abstimmung in Ihren Augen legitim?

Ich halte dieses Referendum auf der Krim für absolut illegitim. Trotzdem kann man nachvollziehen, dass die Bevölkerung in irgendeiner Weise aufbrechen will. Erstens gibt es historische Verbindungen zwischen der Halbinsel und Russland. Zweitens könnte man die Ukraine dafür kritisieren, dass sie nur sehr wenig für die Krim getan hat. Außerdem ist die Krim zum wesentlichen Teil mit Menschen besiedelt, die sehr stark von der sowjetischen Mentalität geprägt sind und eine gewisse UdSSR-Nostalgie haben. Sie haben sicherlich kaum darüber nachgedacht, wie es nun weitergehen wird. Ihre Söhne werden in der russischen Armee dienen müssen, ihre Meinungsfreiheit, die Versammlungsfreiheit und sonstige Freiheiten werden eingeschränkt, weil solche demokratischen Gepflogenheiten bei uns in Russland nicht wirklich gepflegt werden. Sicher ist, dass sie sich jetzt einem Staatssystem angeschlossen haben, in dem es viel weniger Freiheit und Freiheiten gibt. Ich glaube, die Krim-Bewohner ließen sich von einer Arglosigkeit leiten, die generell auch für Menschen in Russland gilt. Unsere jetzige Lage ist einer solchen Gutgläubigkeit geschuldet. Wir glauben, dass Gesetze nicht wichtig sind. Wenn wir etwas wollen, dann machen wir das einfach. Das zeigt, dass wir nicht im 21. Jahrhundert angekommen sind.

US-Außenminister John Kerry meint, dass Putin wie ein Herrscher im 19. Jahrhundert handele.

Man kann Putin mit einem Uhrmacher vergleichen, der die Zeit manipuliert. Heute stellen wir unsere Zeitmesser auf das 21. Jahrhundert, morgen auf das 18. Jahrhundert. Unser Hauptproblem ist eine erstaunliche politische Unreife. Solange wir diese Unreife nicht loswerden, werden wir keine spürbaren Veränderungen erreichen.

Wladimir Putin (Foto: Reuters)
Russlands Präsident Wladimir PutinBild: Reuters

Mit Ihrem Roman über das imaginäre Land Akimuden haben Sie gezeigt, dass Sie in die Zukunft sehen können. Wie ist Ihre Prognose für die Krim?

Die Krim ist ein gefährliches Pflaster für russische Herrscher. Eine Invasion auf der Krim ist der Anfang vom Ende Putins.

Warum? Seine Umfragewerte sind so gut wie noch nie.

Ein Mensch, der die Grenzen eines fremden Landes missachtet und dabei das Völkerrecht und eigene Versprechen bricht, wird über sich selbst stolpern. Die russischen Gebiete zusammenzusammeln, ist keine weitsichtige Vorgehensweise. Mit solchen ungeschickten und gesetzeswidrigen Handlungen kann man kein Land aufbauen. Ganz zu schweigen davon, dass solche Vorgehensweisen Argumente für Länder liefern, die eigene Atomwaffen entwickeln und besitzen möchten.

Ukrainische Blogger glauben, dass Putin das ukrainische Volk vereine, weil es durch seine Politik jetzt näher zusammenrücke. Wie wird diese ukrainische Identität aussehen?

Ich denke, dass die ukrainische Nation bereits eine Identität hat. Ich würde diese als einen "bequemen Hedonismus" bezeichnen. Damit meine ich die Fähigkeit, das Leben zu genießen, zu arbeiten, das traditionelle, kulturelle Erbe zu pflegen und der Familie besondere Wertschätzung beizumessen. Natürlich rückt die Bevölkerung durch die russische Invasion eng zusammen. Ich wäre aber sehr traurig, wenn diese neue Nation auf dem Fundament des Hasses aufgebaut würde. Aber die Geschichte will es anscheinend so.

Das Interview führte Anastassia Boutsko.